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11. Jul 2025

Haarverlust vor lauter Stress

Journalist: Thomas Soltau

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Foto: Mart Production/pexels

Sich vor Stress die Haare zu raufen, ist mehr als nur eine Redensart. Chronischer Druck kann tatsächlich Haarausfall auslösen – und ein kahler Kopf drückt dann wiederum auf die Seele.

Ob Ärger im Job, private Krisen oder schlaflose Nächte – starker Stress schlägt oft auf den Magen und aufs Haupthaar. Viele Männer merken es zuerst unter der Dusche: Plötzlich sind ungewöhnlich viele Haare im Abfluss. Was medizinisch hinter dem Phänomen steckt, ist komplex, aber anschaulich: Unter Dauerstress schaltet der Körper auf Notprogramm. Haare gelten dabei als entbehrlich. Für das Überleben braucht es keine Frisur.

Zwar ist bei lichtem Männerhaar meist die Genetik im Spiel, doch auch psychische Belastung kann die Haarpracht nachhaltig dezimieren. Dermatologisch betrachtet handelt es sich dabei nicht um eine, sondern um mehrere Formen des Haarverlusts. Eine der häufigsten ist der sogenannte diffuse Haarausfall. Dabei geraten die Haarwurzeln durch chronischen Stress in eine verlängerte Ruhephase. Erst Wochen später beginnt das Haar auszufallen – oft gleichmäßig am ganzen Kopf, büschelweise beim Kämmen oder Duschen.

Eine zweite Form, die manchmal durch psychische Belastung ausgelöst oder verstärkt wird, ist der kreisrunde Haarausfall. Dabei greift das Immunsystem fälschlich die Haarfollikel an. Die Folge sind scharf begrenzte, kahle Stellen. Zawar liegt die Ursache meist im Erbgut, doch Stress kann den Verlauf deutlich verschlimmern. Die dritte, seltenere Variante ist eine sogenannte Impulskontrollstörung: Trichotillomanie. Dabei reißen sich Betroffene die eigenen Haare aus – oft unbewusst, aus innerer Unruhe oder Nervosität heraus. Zurück bleiben schüttere Stellen und ein schlechtes Gewissen.

Normalerweise wachsen Haare über Jahre, fallen dann aus, und neue sprießen nach. Bei chronischem Stress wird dieser Zyklus ausgebremst.

Allen drei Formen gemein ist die gestörte Balance im natürlichen Haarzyklus. Normalerweise wachsen Haare über Jahre, fallen dann aus, und neue sprießen nach. Bei chronischem Stress wird dieser Zyklus ausgebremst. Schuld daran ist das Stresshormon Cortisol. Es bringt die Haarfollikel dazu, viel zu früh in die Ruhephase zu wechseln. Die Regeneration bleibt aus. Wie genau dieser Prozess funktioniert, konnten Forschende der Harvard University 2021 zeigen. In einer Studie um die Biologin Ya-Chieh Hsu wiesen sie nach, dass ein dauerhaft erhöhter Corticosteronspiegel – das Cortisol-Äquivalent bei Mäusen – ein bestimmtes Protein namens GAS6 hemmt – und damit die Stammzellen der Haarwurzeln in eine Art Dauerschlaf versetzt. Die Studie erschien in der Fachzeitschrift „Nature“. Die Hoffnung: In Zukunft könnte dieser Mechanismus gezielt beeinflusst werden, um stressbedingten Haarausfall zu verhindern.

So belastend Stress auf die Haarwurzel wirkt, so sehr kann umgekehrt Haarausfall auf die Psyche schlagen. Besonders für Männer ist lichter werdendes Haar ein heikles Thema. Volles Haar steht für Jugend, Vitalität, Männlichkeit – zumindest im kulturellen Selbstverständnis vieler westlicher Gesellschaften. Haarausfall kratzt deshalb nicht nur am Scheitel, sondern auch am Selbstwert. Das bestätigt auch die britische Psychologin Sue McHale: Haarausfall könne das Selbstbild regelrecht zerschlagen. Viele Betroffene schämen sich – und sprechen nicht darüber, selbst wenn die Belastung tief sitzt. Das Ergebnis: Rückzug, Scham, im schlimmsten Fall depressive Verstimmungen.

Und viele stressbedingte Formen des Haarausfalls sind reversibel. Beruhigt sich die Psyche, erholen sich oft auch die Haarwurzeln.

In einer europaweiten Umfrage zu erblich bedingtem Haarausfall, veröffentlicht im Fachjournal „JAMA Dermatology2023“, gaben rund 73 Prozent der Männer im Alter zwischen 25 und 34 Jahren an, dass sie psychische Probleme durch ihren Haarverlust befürchten oder bereits erlebt haben. Fast ein Viertel der Befragten sagte, sie würden lieber auf mehrere Lebensjahre verzichten, um ihre frühere Haarpracht zurückzuerhalten. Für viele Männer sei der Verlust der Haare wie ein Verlust von Kontrolle. Gerade, weil es so sichtbar ist. Volles Haar werde oft mit Durchsetzungskraft, Gesundheit und Potenz assoziiert – selbst, wenn das rational nicht haltbar sei. Das Problem: Der Stress über den Haarausfall kann wiederum selbst neuen Haarverlust auslösen. Dermatologen empfehlen, das Thema frühzeitig ernst zu nehmen. Entweder müsse man lernen, zum Haarausfall zu stehen – oder aktiv etwas dagegen tun. Wer sich fürs Handeln entscheidet, sollte sich nicht auf dubiose Mittelchen verlassen, sondern eine fundierte Diagnose beim Dermatologen einholen. Eine neue Methode setzt auf bioelektrische Stimulation der Haarfollikel: Durch fein dosierte Impulse werden ruhende Stammzellen reaktiviert, sodass sich die Zellen wieder teilen und neues Haar wachsen kann. Ziel ist es, die natürliche Regeneration zu fördern – ganz ohne Medikamente oder Operation. Und viele stressbedingte Formen des Haarausfalls sind reversibel. Beruhigt sich die Psyche, erholen sich oft auch die Haarwurzeln. Neue Haare wachsen nach – langsam, aber zuverlässig. Nicht jede Glatze muss also für immer bleiben. Manchmal reicht ein ruhiger Kopf, damit es auch auf dem Kopf wieder wächst.