Europas Cybermoment: Zwischen Regulierung und Resilienz – Ein Beitrag von Florian Jörgens, Chief Information Security Officer (CISO) bei der Vorwerk Gruppe
Die europäische Cybersicherheitslandschaft steht vor einem tiefgreifenden Wandel. Mit der NIS2-Richtlinie und dem EU AI Act treten in kürzester Zeit zwei Regulierungsrahmen in Kraft, die nicht nur IT-Abteilungen, sondern ganze Organisationen betreffen. Wer jetzt noch glaubt, dass es sich um rein technische Themen handelt, unterschätzt die Reichweite dieser Vorgaben, als auch die Chancen, die sich daraus ergeben.
Die NIS2-Richtlinie verschärft nicht nur Anforderungen, sondern verschiebt auch Verantwortung: Sie bringt das Thema Cybersecurity endgültig auf Vorstandsebene. Unternehmen müssen heute nicht mehr nur Schutzmaßnahmen ergreifen, sondern ihre digitale Resilienz im täglichen Betrieb, wie auch im Krisenfall beweisen. Dies verlangt proaktive Strategien, die Technologie, Prozesse und Menschen gleichermaßen einbinden. Durch diesen Paradigmenwechsel ergibt sich aber auch die Chance einer Sicherheit vom Verhinderer zur Enablerin digitaler Wertschöpfung.
Gleichzeitig wirft der EU AI Act seine Schatten voraus. Er adressiert nicht nur KI-Modelle, sondern stellt – als neue Vertrauensebene – die Schaffung von Transparenz, Nachvollziehbarkeit und Sicherheit in den Mittelpunkt. Für Unternehmen bedeutet dies, dass KI kein blindes Tool bleiben darf, sondern in Governance-Strukturen eingebettet sein muss, insbesondere dort, wo sie sicherheitsrelevant agiert. Die Fähigkeit, regulatorische Anforderungen frühzeitig zu antizipieren und in praktikable Prozesse zu übersetzen, wird zur neuen Kernkompetenz.
Diese Entwicklungen treffen auf eine Welt, die geopolitisch instabiler und digital verwundbarer geworden ist. Europa steht damit vor einer strategischen Weichenstellung. Wollen wir in der digitalen Welt souverän handeln, brauchen wir neben gesetzlichen Mindeststandards auch eine neue Sicherheitskultur, die geprägt ist von Kooperation, Mut zur Transparenz und technischem Exzellenzdenken.
Unternehmen tragen in diesem Kontext eine besondere Verantwortung. Gefragt sind resiliente Lieferketten, adaptive Sicherheitsarchitekturen und moderne Governance-Strukturen, die verbunden sind durch ein partnerschaftliches Ökosystem. Klar ist dabei auch, dass kein Unternehmen diese Transformation allein bewältigen kann. Nur durch sektorübergreifende Zusammenarbeit und einen kontinuierlichen Wissensaustausch mit Politik und Forschung lässt sich Europas digitale Handlungsfähigkeit sichern.
Wir stehen an einem Punkt, an dem Security nicht länger reaktiv, sondern integrativ gedacht werden muss. Sicherheit ist nicht der Stolperstein der Digitalisierung, sondern ihr Fundament. Um das zu verankern, braucht es nicht nur neue Technologien oder Prozesse, sondern vor allem eine gemeinsame Haltung. In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage nach der strukturellen Verankerung von Verantwortung: Wer digitale Resilienz ernst nimmt, sollte sich ein Beispiel an den USA nehmen und den CISO perspektivisch als feste Instanz im Vorstand verankern.
Diese Sonderausgabe zeigt eindrucksvoll, wie sich führende Köpfe in Europa dieser Herausforderung stellen. Ich freue mich, Teil dieses Austauschs zu sein – und lade Sie ein, Sicherheit nicht nur als Pflicht, sondern als strategischen Erfolgsfaktor der digitalen Transformation zu verstehen.
>Wollen wir in der digitalen Welt souverän handeln, brauchen wir neben gesetzlichen Mindeststandards auch eine neue Sicherheitskultur, die geprägt ist von Kooperation, Mut zur Transparenz und technischem Exzellenzdenken.
**Mehr zur Person Florian Jörgens :** www.linkedin.com/in/florian-j%C3%B6rgens/?originalSubdomain=de