22. Dez 2021
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Business
Journalist: Theo Hoffmann
Die deutsche Autoindustrie investiert in China kräftig. Günstige Produktionsbedingungen und ein gigantischer Absatzmarkt in China zwingen dazu.
Der Schutzwall deutscher Autohersteller gegen chinesische Autoimporte bröckelt kräftig. Durch günstige Preise von Modellen aus dem Land der weltweit größten Automobilherstellung, die Effizienz ihrer E-Autos und oft auch die technischen Innovationen, die die Chinesen in einer schwindelerregenden Geschwindigkeit umsetzen, werden die deutschen, aber auch viele internationale Konzerne zunehmend in die Enge getrieben.
Bis vor kurzem waren chinesische Autos auf deutschen Straßen noch eine exotische Ausnahme. Das hat sich gewaltig geändert, denn mit preiswerten Autos sind die Chinesen in der Lage, den Weltmarkt zu fluten. Ein Preisvergleich zeigt das nur zu deutlich: Während man in China schon Elektroautos ab 3.700 Euro kaufen kann, gibt es die günstigsten Modelle bei uns in Deutschland erst ab knapp 16.000 Euro, Tendenz steigend. Und in den USA sogar erst ab knapp 25.000 Euro.
Man sollte allerdings auf keinen Fall vergessen, dass Autoimporte nach wie vor mit hohen Nebenkosten verbunden sind. Das erinnert an die Zeiten, als Fans alter amerikanischer, Sprit schluckender Autos solche „Schlitten“ liebend gern nach Deutschland holen wollten, wegen der Zollgebühren und der Einfuhrsteuer dann aber schnell wieder Abstand davon nahmen. Das gilt auch heute für den Import chinesischer Elektroautos. Kauft man nicht über einen Händler, dann muss man alle notwendigen Papiere für den Zoll bereithalten, wozu natürlich der Fahrzeugschein im Original, der Kaufvertrag und Ausweispapiere gehören.
Obwohl einige chinesische Autohersteller den Sprung nach Deutschland längst gewagt haben, darunter Great Wall als einer der größten und ältesten Autobauer in China, läuft der Handel doch hauptsächlich über Zwischenhändler. Das fängt bei großen Händlerketten und Online-Fahrzeugbörsen an und endet mittlerweile selbst bei kleinen Autowerkstätten wie der Firma Eichner in Bergedorf bei Hamburg, die sich auf den Import chinesischer Autos spezialisiert haben. Die Eroberung europäischer Märkte und speziell des deutschen durch chinesische Autohersteller läuft schleichend, oft im Verborgenen, aber mit ungebrochener Intensität. Da haben wir etwa einen Hersteller wie BAIC Motors, der es geschafft hat, in Deutschland ein verzweigtes Händlernetz über den in Landstuhl ansässigen Importeur Indimo zu spannen. Wir dürfen nicht verkennen: Chinesische Autos sind nicht erst im Kommen, sie sind längst da. Das haben viele Käuferinnen und Käufer, aber auch einige Händler noch immer nicht in ganzer Tragweite realisiert.
Die chinesische Marke MG, eine Tochter des VW-Partners SAIC, hat 25 Händler in Deutschland für den Verkauf seiner Produkte gewinnen können. Und es werden immer mehr, denn bis Ende 2021 sollen gleich dreimal so viele noch dazukommen. Die Marke Wey von Great Wall ist mit dem Vertrieb vor Ort ebenfalls gestartet. Ein Newcomer ist Nio, ein chinesisches Start-up für Elektroautos aus Shanghai, das mit seiner effizienten Batteriewechseltechnik in Europa Fuß fassen will. Noch in diesem Jahr geht der Vertrieb in Norwegen mit dem Modell ES8 los. 2022 startet die Marke auch in Deutschland.
Abgesehen von jüngeren Herstellern ist der chinesische Automarkt einfach gigantisch groß. Welche Hersteller sind führend? Die 1958 gegründete Beijing Automotive Group gehört dazu, aber auch BYD (2003 gegründet) oder Denza (2010), an denen die Daimler AG mit
50 % beteiligt ist. Dann haben wir auch noch Chang’an Motors, Changhe, Chery (Qirui), Dadi, Dongfeng, die China FAW Group (FAW) oder Forta. Great Wall hat bereits vor zwei Jahren allein 1.079.000 PKW abgesetzt, BAIC 1.079.000, Dongfeng 1.212.000, SAIC Motors beeindruckende 2.946.000 PKW und Changan 1.499.000.
All das sollte den deutschen Herstellern zu denken geben und tut es ja auch. Auf den deutschen Markt und die Entwicklung der Automobilbranche und -herstellung hat das hierzulande erhebliche Auswirkungen. Man braucht nur auf die aktuellen und für die Belegschaft etwa in Wolfsburg beängstigenden Aussagen des VW-Chefs Herbert Diess zu schauen. „Für VW ist China der wichtigste Zukunftsmarkt“, sagte Diess in der Zeitung WELT erst zu Beginn dieses Jahres, und lobte auf dem digitalen Weltwirtschaftsforum „die zaghafte Öffnung der Volksrepublik“. Kein Geringerer als unser ehemaliger Wirtschaftsminister Peter Altmaier unterstützt seine Ansichten, wohlwissend, dass China angesichts seines rigiden Kurses und seiner Menschenrechtsverletzungen weltweit Sorge bereitet. Die „Ehe“ mit dem Kapitalismus war und ist sowohl für die Chinesen als auch für Chinas weltweite Handelspartner ein Schwert mit zwei Schneiden. „Wir sehen, dass die Demokratie in China nicht vorankommt“, zitieren wir noch einmal Herbert Diess in der WELT, „aber mit dem Land Handel zu treiben, miteinander zu kommunizieren, dort aktiv zu sein ist viel besser, als sich herauszuziehen aus China.“
Diess weiß es, seine Mitbewerber und die internationale Gemeinschaft wissen es, dass China trotz seiner Defizite dem Westen in Vielem weit voraus ist. Das betrifft zu Zeiten des Wandels zur E-Mobilität vor allem die fortschrittliche Digitalisierung im Reich der Mitte. Und last but not least die unschlagbar günstigen Produktionsbedingungen in China. Dass die erschreckend vernachlässige Digitalisierung künftig eine Achillesferse der europäischen Märkte und allem voran des deutschen Marktes ist und bleiben wird, steht außer Zweifel. Und die Chinesen sind schnell darin, solche Schwachstellen auszumachen und für sich zu nutzen. Chinesische Autos auf deutschen Straßen werden uns jedenfalls, so viel ist sicher, von jetzt an immer mehr begegnen.