22. Mär 2022
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Business
Journalist: Armin Fuhrer
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Foto: Presse
Digitalisierung wirkt dem Fachkräftemangel entgegen, wenn Firmen auf die eigenen Mitarbeiter setzen. Interview mit der Unternehmerin Dagmar Wöhrl.
Die Digitalisierung schreitet voran. Aber gibt es unter den mittelständischen Familienbetrieben noch Luft nach oben?
Die Corona-Pandemie hat wohl auch letzte Zweifler überzeugt: Digitalisierung ist kein vorübergehender Trend, sondern der Grundstein für ein modernes Leben. Viele mittelständische Familienbetriebe haben aber beim Change-Management großen Nachholbedarf. Damit verschenken sie ihre Position, in Zukunft wettbewerbsfähig zu bleiben. Sie sind auf einem sehr engen Markt mit wenigen Produkten beschränkt und könnten durch das enorme Potential digitaler Technologien aus der Nischen-Abhängigkeit kommen. Allerdings leiden Mittelst ndler unter dem schleppenden Ausbau der öffentlichen Infrastruktur wie fehlendes schnelles Internet gerade im ländlichen Raum. Man kann sagen, kleine und mittelständische Betriebe werden regelrecht ausgebremst.
Was waren Ihre wichtigsten Erfahrungen auf dem Weg der digitalen Transformation?
Aus meiner Erfahrung müssen Unternehmen experimentierfreudig bleiben. In unserem Familienbetrieb haben wir schon früh Dinge ausprobiert und sind auch vor Rückschlägen nicht zurückgewichen. Risiko spielt im Unternehmertum eine entscheidende Rolle. Gerade Digitalisierungsmaßnahmen werden nicht sofort den Umsatz oder Gewinn steigern, eher umgekehrt. Es geht vielmehr darum, schon heute in die Zukunft zu investieren.
Kann die Digitalisierung ein Mittel sein, die Nachteile durch den Fachkräftemangel ein Stück weit abzufedern?
Der Schlüssel liegt in der Weiterbildung. Denn auch wenn digitale Systeme neue Möglichkeiten bieten, so sind sie nur mit Hilfe von menschlicher Arbeit zu stemmen. Durch Fachkräftemangel und demographischen Wandel fehlt allerdings der dringend gebrauchte Nachwuchs. Betriebe müssen im eigenen Interesse die vorhandenen Beschäftigten schulen und für die neuen fachlichen Aufgaben qualifizieren. Natürlich wird das allein nicht reichen, um das digitale Know-how der zukünftigen Branchenstandards schnell genug aufholen. Nur Expertinnen und Experten können diese Wissenslücken schließen und die sind leider rar.
Wie groß ist denn dieses Problem für den Mittelstand?
Laut einer aktuellen Studie fehlen bis zum Jahr 2030 rund zwei Millionen MINT-Fachkräfte, bis 2040 werden es sogar fünf Millionen sein. Gerade für den Mittelstand ist das ein gewaltiges Problem. Denn einerseits k nnen kleine und mittelständische Betriebe nur mit digitalen Kompetenzen wettbewerbsfähig bleiben, andererseits fehlen Fachkräfte, um die technologische Weiterentwicklung voranzutreiben – ein Teufelskreis. Allerdings stelle ich fest, dass Start-ups hier schon oft andere Wege gehen. Viele stellen sich von Anfang an global auf und bieten durch digitale Work-Spaces vor allem Talenten aus dem Ausland eine Chance, beruflich Fuß zu fassen.
Und welche Folgen hat der Fachkräftemangel?
Viele Betriebe arbeiten bereits am Limit und können wegen fehlender Fachkräfte keine neuen Aufträge annehmen. Daraus resultieren Umsatzeinbußen, die auch die deutsche Wirtschaft schwer treffen. Aber der Fachkräftemangel wirkt sich auch auf andere Bereiche aus, zum Beispiel den Klimaschutz. Wer baut oder saniert energetisch die Häuser und Wohnungen, wenn spezialisierte Handwerkerinnen und Handwerker fehlen? Doch es ergeben sich auch Chancen. Unternehmen müssen zum Beispiel in Zukunft die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erleichtern.
Bleibt die Frage: Was können Unternehmen tun, um Fachkräfte anzulocken?
Der Arbeitsmarkt hat sich verändert, heute bewerben sich Arbeitgeber bei Arbeitnehmern. Work-Life-Balance, ein gutes Betriebsklima, flexible Arbeitszeiten und Weiterbildungschancen sind unabdingbar, um als Unternehmen attraktiv zu bleiben und sich gegen die Konkurrenz zu positionieren. Man muss die zukünftigen Mitarbeiter dort abholen, wo sie unterwegs sind. Auf Social-Media-Kanälen und Stellenportalen. Und wer die Kunst beherrscht, zukünftige Mitarbeiter spüren zu lassen, sie unbedingt zu wollen, betreibt erfolgreiches Recruiting. Die wenigen Arbeitskräfte, die verfügbar sind, haben Ansprüche und wollen sich im Unternehmen wohlfühlen. Erfolg und ein gutes Miteinander sind oft eng miteinander verknüpft. Wer das Gefühl hat wertgeschätzt zu werden, bleibt.
Haben Sie Forderungen an die Politik?
Zwingend notwendig ist eine massive Entbürokratisierung. Und sehr wichtig ist Vollgas bei der Digitalisierung. Der Staat sollte eine Vorbildrolle übernehmen und endlich anfangen, digital zu agieren.