22. Mär 2022
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Business
Journalist: Kirsten Schwieger
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Foto: Presse, Amy Hirschi/unsplash
M&A-Experte Prof. Kai Lucks über den Einfluss der Coronakrise, clevere Strategien sowie die Digitalisierung als Treiber von Transaktionen und Prozessen.
Prof. Kai Lucks, Vorsitzender des Bundesverbandes Mergers & Acquisitions
Welchen Einfluss hat die Coronakrise auf das M&A-Geschäft?
Das M&A-Gesch ft lief w hrend Corona erstaunlich gut weiter. Die gro en St rungen der letzten beiden Jahre resultierten nicht aus Corona, sondern aus den Streitigkeiten zwischen den USA und China, sodass das Transaktionen zwischen diesen beiden Ländern zeitweise sogar ganz ausblieben. Corona-bedingt hatten wir Einreiseverbote in Länder wie USA und China. Dadurch mussten lokal-basierte M&A-Aktivitäten unterbrochen werden, wie sie etwa bei der Due Diligence und bei der Integration vor Ort anfallen. Relativ wenig Projekte, die in der Anschubphase lagen, wurden abgebrochen. Das erstaunlichste war, wie schnell sich die Parteien auf Web-basierte Kommunikation einstellten, quasi als Ersatz für Reisen in die Zielländer.
Was sind die wichtigsten Treiber für M&A-Transaktionen dieses Jahr?
Die Treiber wechseln ja nicht jährlich, aber wir beobachten in den letzten Jahren deutliche Veränderungen. Diese sind so gravierend, dass man davon sprechen kann, M&A würde sich zurzeit ganz neu erfinden. Das hat vor allem zwei Gründe. Einerseits die allumfassende Digitalisierung und Vernetzungen der Unternehmen, mit dem Begriff „Industrie 4.0“ gekennzeichnet werden. In diesem Zuge entstehen ja zum Beispiel online-basierte Geschäfte, die sogar das Potenzial haben, rein stationär orientierte Unternehmen in ihrer Existenz zu gefährden.
Dazu gibt es neue Begriffe wie „digitale Ökosysteme“, „Prosumer“, „Virtuelle Abbilder von Produkten“, „Software-as-a-Service“ und viele andere. Zeitgleich zieht die Digitalisierung in die M&A-Prozesse ein, etwa durch einzelne Software-basierte Instrumente, durch neue gesamt-Ansätze zum M&A-Management und durch Übertragung aus einzelnen Fachdisziplinen – etwa zur Automatisierung von Vertragsanalysen mithilfe „Legal Tech“. Die andere Hauptquelle des M&A-Wandels sind die vielfältigen Transformationen, die unsere Wirtschaft und Gesellschaft derzeit durchmachen, wie etwa die ökologische Wende, der energetische Umbau, Taxonomien und grundsätzliche Umbauten des Gesundheitssektors und der Verwaltungen.
Welche Rolle spielt M&A bei der Digitalisierung von Geschäften – insbesondere für den Mittelstand?
Die gängigen Pfade zur Digitalisierung von Geschäften sind vielfältig. Das kann der Vorstand von „oben“ machen, das kann „von unten“ – etwa aus einer IT-Abteilung bei FuE oder in der Fertigung – erfolgen, also wenn die Zelle zur Digitalisierung im Unternehmen selber liegt.
Erst bei den anderen Pfaden, die auf einen Entwicklungskern von „außen“ setzen, kommen Partnerschaften, Kooperationsmodelle und M&A ins Spiel. In den Kreisen der mittelständischen Wirtschaft wird häufig diskutiert, ob etwa digital-orientierte Start-ups herangezogen werden sollten. Die Erfahrungen damit sind sehr unterschiedlich. Einerseits können Start-ups eine große „Sprunghöhe“ bei der Digitalisierung verschaffen, andererseits können kulturelle und Verhaltensunterschiede so groß sein, dass sich neue und digitale Geschäftsansätze nur am äußersten Rande des Mittelständlers entwickeln, dann keine Chance haben, in den Kern des Unternehmens vorzudringen und schließlich wieder abgestoßen werden. Der Kauf eines Start-ups mit anschließender Integration – also M&A – sollte sehr überlegt und in mehreren Schritten vollzogen werden, um Kulturschocks und Abwehrreaktionen zu vermeiden. Einfacher ist, wenn eine „Online“-Division addiert werden soll, mit eher geringerer Integration in die angestammten Strukturen und Prozesse. Das lie e sich dann auch durch „Add-on M&A“ l sen, also etwa Kauf und Anhängung eines digital-getriebenen Unternehmens, das auch einen Start-up-Hintergrund haben kann.
Welche Relevanz haben M&A-Deals für die Nachfolgeregelung?
Wir beobachten in den letzten Jahren deutliche Verschiebungen: Die Übergaben von der Gründergeneration in die nächste nehmen ab und der Einstieg von gestandenen „Profi-Unternehmern“, die h ufig aus gro en Unternehmen kommen, nimmt zu. Solche Wechsel sind oft auch mit Eigentumsänderungen verbunden, oft in Form von Beteiligungen oder Gesamtübernahmen seitens Private Equity.
Wie wichtig sind M&A-Strategien für mittelständische Online-Unternehmen im Hinblick auf die Globalisierung?
Dort liegen die Hürden zum Einstieg in neue Regionalmärkte niedriger als im stationären Geschäftsbetrieb und man muss nicht unbedingt große nationale Truppen aufbauen. Manchmal reicht eine Agentur, die die lokalen Interessen in neuen Regionalmärkten vertritt. Das kann man meist mit eigenen Kräften stemmen, ohne M&A.
Lässt sich digitale Expertise „akquirieren“?
Ja, es ist durchaus üblich, dass große Spieler kleine Einsteiger, die den Markt destabilisieren könnten, nur kaufen, um die „St rer“ aufzul sen und vom Markt zu nehmen. Damit können auch Start-ups eliminiert werden. Angesichts enger Personalmärkte, gerade im IT-Sektor, wo uns rund 100.000 Informatiker fehlen, kann das eigentliche Ziel einer Unternehmensübername darin liegen, ein starkes Entwicklerteam herauszulösen und mit einem Schlag neue Mitarbeiter einstellen zu können. Der erworbene Unternehmensrumpf kann weiterverkauft, geschlossen oder auch als leere Gesellschaftshülle für neue Geschäfte weiterverwendet werden.