Diesen Artikel teilen:

15. Sep 2022

|

Lifestyle

Endlich hochprozentig zufrieden

Journalist: Chan Sidki-Lundius

|

Foto: Elina Sazonova/Pexels

Dank therapeutisch-klinischem Intensivprogramm weg vom Alkohol. Eine Betroffene erzählt.

Antonia ist alleinerziehende Mama zweier Kinder, die sich beruflich erfolgreich in einer Männerdomäne etabliert hat. Die 43-Jährige aus Bayern hat Eltern und Freunde, die zu ihr halten. Und sie kann heute ein Leben ohne die Fesseln der Alkoholabhängigkeit führen. „Ich habe im vergangenen Jahr mehr über mich und das Leben gelernt als in meiner gefühlt 100-jährigen Schulzeit“, erzählt Antonia, die auf ihrem Weg aus der Alkoholsucht, der kein „Spaziergang“ gewesen sei, ihren Humor und ihre Zuversicht nicht verloren hat. Sie bedauert, dass Trinken in unserer Gesellschaft quasi zum guten Ton gehört – und somit der Grundstein für ihre Alkoholsucht schon als junge Frau gelegt wurde. Eskaliert sei der Konsum nur an „echt miesen Tagen“, an denen sie „bis zur Besinnungslosigkeit“ getrunken habe. Vertraute rieten ihr zu einem Entzug, da war Antonia etwa 30. Es folgten drei Klinikaufenthalte, jeweils vier bis sechs Wochen, die Antonia kaum was gebracht haben: „Das war eher Urlaub vom Alltag mit Bespaßung.“ Danach hat sie immer wieder zur Flasche gegriffen, zumeist heimlich: „Meine Kinder haben mich nie betrunken erlebt.“ Dann kam der 2. Januar 2020: Antonia wurde abends zu Hause von einem Bekannten überfallen. Die bis dato selbstbewusste, furchtlose Frau entwickelte daraufhin Panikattacken und sogar Todesängste. „Um trotzdem wie gewohnt perfekt zu funktionieren, fing ich an, schon morgens meine Angst vor der Angst zu betäuben. Noch vor dem Büro führte mein erster Weg zur Tanke, um Wodka zu kaufen und diesen gleich vor Ort zu trinken.“ Irgendwann erkannte Antonia, dass sie um einen weiteren Klinikaufenthalt nicht herumkommt – und trat nach dreiwöchiger Wartezeit ihre Reise nach Bad Bayersoien an. Auf der Alm, zwischen Bergen, Wiesen und Kühen – ihre Klinik. Antonia fügte sich ihrem Schicksal, wie sich herausstellte, ihr Jackpot. Antonia wurde von einem Profiteam aus Ärzten und Therapeuten an die Hand genommen und zusammen mit wenigen Mitpatienten durch intensive drei Wochen geführt: „Zum ersten Mal wurden mir Zusammenhänge und Fakten dieser Krankheit verständlich erklärt. Dadurch konnte ich meinen persönlichen Ursprung des Übels finden und an Lösungen arbeiten. Ein Haus mit einem Schrott-Fundament wird schließlich auch immer wieder zusammenfallen.“ 

Dass sie in der kurzen Zeit gesunden konnte, liegt für sie hauptsächlich an der übergreifenden Zusammenarbeit des Klinikteams, die eine individuelle Betreuung ermöglichte: „Trotz des straffen Programms aus Einzel- und Gruppentherapien, Sport bei Wind und Wetter, Achtsamkeits- und Mentaltraining hatte ich viel Freizeit und musste mich, fernab des gewohnten Trubels, zwangsläufig mit meinem ICH beschäftigen. Resultat war die Erkenntnis, dass ich für mich gut genug bin, anstatt auf ewig dem Lob und der Anerkennung anderer hinterher zu hetzen.“ Durch regelmäßige Auffrischungsseminare und die Unterstützung ihrer liebgewonnenen Therapeutin hat sie seit diesem Klinikaufenthalt keinen Alkohol mehr getrunken. Vor allem aber ist Antonia zufriedener und stärker als je zuvor. Und sie hilft Betroffenen, die für sie passende Therapieform zu finden. Ihr Fazit: „Ich bin meinem Schicksal dankbar und schäme mich nicht dafür. Es ist ja schließlich kein Manko, den besten Architekten für sein Fundament zu engagieren!“