22. Dez 2021
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Business
Journalist: Thomas Soltau
Klimaneutralität gibt es nicht ohne radikale Verkehrswende. Torsten Gollewski, Leiter Autonomous Mobility Systems der ZF Friedrichshafen AG, weiß, wie das gelingt. Mit mehr autonomen Fahrsystemen, innovativer Technik, sinnvoller Infrastruktur – und vor allem weniger Bürokratie.
Wie sehen Sie allgemein die Zukunft autonomer Mobilität?
Wir müssen und werden die Mobilität nachhaltiger gestalten – das sind wir schon unseren Kindern schuldig. Die Gesellschaft steht vor gewaltigen Herausforderungen in den nächsten Jahren. Aber wir haben auch viele Möglichkeiten, diese technische Revolution umzusetzen. Und das ist das, was mich und mein Team jeden Tag antreibt. Ich sage das mit aller Deutlichkeit: Wir müssen unsere technischen Möglichkeiten endlich auf die Straße bringen.
Eine Möglichkeit sind autonom fahren-de, elektrische Kleinbusse, wie etwa ihr ZF-Shuttle Group Rapid Transport 3. Er soll den ÖPNV in und um Friedrichshafen ergänzen. Wie sieht der Bedarf in anderen Metropolen aus?
Transformation von Mobilität der Zukunft zu gestalten, ist eine der spannendsten Aufgaben. Autonome Shuttles gehören als Ergänzung des ÖPNV für die „Next Generation Mobility“ dazu. Wir haben bereits Kooperationen mit DB Regio und weiteren europäischen Partnern abgeschlossen. Der Bedarf ist also vorhanden. Unsere autonomen Systeme haben sich in jahrelangen Tests bewiesen. Wir würden am Stau vorbeigleiten, sind doppelt so schnell am Ziel wie mit dem PKW und müssten nicht auf den Verkehr achten. Statt mehr Grünflächen und Lebensqualität in Städten zu entwickeln, fahren wir heute noch mit dem Auto kurze Strecken von der Wohnung zum Parkhaus an der U-Bahn-Station. Das ist mit Blick auf die CO2-Bilanz blanker Wahnsinn. Wenn uns für die Mobilität der Zukunft nichts Besseres einfällt, ist das traurig.
Warum ist die Umsetzung so schwierig?
Die Umsetzung von zukunftsorientierten Gesamtkonzepten mit Städten, Verkehrsplanern und die Nutzung neuer Möglichkeiten, gestalten sich zäh. Manchmal dauern Planungsverfahren bis zu acht Jahre – und dann stellt man mitunter fest, dass sich der Stadtteil in dieser Zeit schon so stark verändert hat, dass die ursprünglichen Planungen gar nicht mehr passen. Warum leben wir nicht mal die Verkehrswende? Warum reden wir immer nur davon, wenn wir doch jetzt schon moderne Technologien zur Verfügung haben? Hier appelliere ich an die Politik. Während wir über Freigaben reden, hat China im gleichen Zeitraum ungefähr 400 Kilometer autonome Shuttle-Strecken gebaut. Unser Land ist bei der Verkehrswende und neuer Mobilität over controled und under innovated. Die beste Idee bringt nichts, wenn sie nicht beim Bürger ankommt.
Die Technik beim autonomen Fahren ist weit fortgeschritten. Der rechtliche Rahmen für dessen Einsatz fehlt häufig in Europa. Gucken Sie neidvoll auf China oder die USA?
Nein, höchstens auf die schnelle Umsetzung von Projekten. Wir haben in Deutschland das weltweit einzige Gesetz zur Zulassung von autonomen Level-4-Fahrzeugen. Bei technischen Innovationen gehören wir zu den führenden Nationen. Die Frage lautet eher, was machen wir jetzt daraus? Generieren wir einen technologischen Vorsprung, der uns im internationalen Wettbewerb in eine noch bessere Position bringt? Wir müssen mal wieder auf unsere Tugenden setzen, die uns stets Erfolg brachten: Mut und Pioniergeist. Und Hindernisse wie ausufernde Bürokratie aus dem Weg räumen.
Wenn wir mal ins Ausland blicken: Welches Land oder welche Region dient jetzt schon als Blaupause für unsere zukünftige Mobilitätsausrichtung?
Punktuell finden wir ein paar gute Beispiele. Etwa in Passau oder Rotterdam, wo wir Lösungen fürs autonome Fahren anbieten. Aber es bleiben Punkte, ein Gesamtkonzept fehlt. Aber raten Sie mal, woher wir die meisten Anfragen dazu bekommen? Aus UK, Schweden und Norwegen. Wenn man nach Kopenhagen oder auch Oslo schaut, stellt man fest, dass hier nachhaltige Konzepte existieren. Kopenhagen setzt auf das Fahrrad als Fortbewegungsmittel und Oslo gilt als Stadt mit dem saubersten Verkehr. Das eigene Auto ist in den Innenstädten im täglichen Berufsverkehr eher ein Auslaufmodell.
Lässt sich autonomes Fahren überall umsetzen?
In Indien wird autonomes Fahren wahrscheinlich nicht der erste Gedanke sein. Letztlich geht es darum, welche Massen wohin transportiert werden müssen. Dazu benötigt es intelligente Vernetzung von Verkehrskonzepten. Natürlich sind autonomen Shuttles kein Ersatz für S- und U-Bahn. Aber sie können eben auf speziellen Strecken auch am Stau vorbeifahren und dem Nutzer damit Zeitschenken. Er will ja nicht autonom im Stau stehen, sondern gar nicht. Und gerade im ländlichen Raum, wo der Bus nicht häufig verkehrt, sind autonome Shuttles eine perfekte Ergänzung, um Menschen mobil zu machen. Wir benötigen Mobilitätslösungen für jedes Bedürfnis – sie sollten die der Jugend, aber auch älterer Generationen, abdecken.