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7. Jul 2022

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Wirtschaft

„Weniger Bürokratie, mehr Mut“

Journalist: Thomas Soltau

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Foto: Presse

Dr. Christian Weißenberger, Spezialist für Radioonkologie und Leiter des Zentrums für Strahlentherapie Freiburg, über die Zukunft im Gesundheitswesen.

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Dr. Christian Weißenberger, Spezialist für Radioonkologie und Leiter des Zentrums für Strahlentherapie Freiburg

Die digitale Transformation sehen Experten als historische Chance für eine bessere und wirtschaftlichere Medizin. Welche Aufgaben kommen zukünftig auf alle Beteiligten zu?

Die größte Aufgabe ist eigentlich, bei den ärztlichen Kollegen die Akzeptanz für diese Digitalisierung zu finden. Obwohl Digitalisierung politisch gewollt ist, bekommen Ärzte kaum Unterstützung bei der Umsetzung. Das muss sich schnell ändern. Und klar, die Digitalisierung ermöglicht schnellere Abläufe, wenn sie dann richtig läuft. Man vermeidet doppelte Untersuchungen und verbessert die Qualität.

Kann die Digitalisierung dabei helfen, den Fachkräftemangel zu mildern – etwa mit Pflegerobotern wie in Japan? 

Wir haben einen großen Bedarf an Personal in der Pflege. Aber ich denke, in Deutschland wird die Einführung von Robotern wahrscheinlich mal wieder ein wenig schwieriger sein, als in anderen Ländern. Datenschutz und auch ethische Gesichtspunkte spielen hier eine Rolle. Ich glaube, wir müssen insgesamt zu einer Kultur kommen, dass diejenigen beklatscht und gefeiert werden, die mutig sind und nach vorne gehen. Wir brauchen weniger Bürokratie und mehr Mut.

Wie viel Hightech ist in Ihren Augen überhaupt gesund – und wird von Menschen akzeptiert?

Das ist letztlich eine Frage der Sozialisation. Die Generation, die davon lebt, dass man mit vier Jahren schon ganz flink ein iPad bedienen kann, die wird später auch kein Problem haben, mit einem iPad die Anamnese auszufüllen. Zukünftig wird sich da viel verändern.

Die Forschung nach Corona-Impfstoffen hat auch die Krebsforschung und damit mRNA-Impfstoffe weitergebracht. Wann ist mit ersten Vakzinen zu rechnen?

Corona hat bei der Entwicklung einen unglaublichen Schub bewirkt. Mediziner haben jetzt unglaubliches Wissen angehäuft, weil man natürlich durch Corona-Impfungen diesen Impfstoff millionenfach nutzen konnte. Es wird aber immer so sein, dass Vakzine gegen Krebs nur in der Frühphase von Tumorzellen zum Einsatz kommen. Wann das sein wird, weiß bislang niemand genau.

1. Okt 2025

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Wirtschaft

Die nächsten 24 Monate entscheiden: Deutschland im Transformationsfenster – Ein Beitrag von Prof. Dr. Henning Wilts

An den Begriff „Kreislaufwirtschaft“ haben die meisten Unternehmen lange Zeit einen gedanklichen Haken gemacht: Die eigenen Abfälle werden fachmännisch entsorgt, man hatte seine Hausaufgaben gemacht. Mit der Zeitenwende als Reaktion auf den russischen Angriffskrieg und seitdem völlig veränderten geopolitischen Rahmenbedingungen hat sich jedoch auch das Verständnis von Kreislaufwirtschaft fundamental verändert: Von „Nice-to-have“ zur Schlüsselherausforderung eines auch mittel- und langfristig wettbewerbsfähigen Wirtschaftsstandorts, der sich schlagartig bewusst wurde, wie abhängig man doch ist von Rohstoffimporten – und der Bereitschaft vieler Länder, den Zugang zu diesen als strategisches Druckmittel zu nutzen. Dementsprechend gewinnen auch zirkuläre Geschäftsmodelle zunehmend an Bedeutung, die von Anfang an mitdenken, wie die Produkte – und damit auch die darin enthaltenen Rohstoffe – am Ende der Nutzungsphase wieder zurückkommen. Immer mehr Unternehmen experimentieren daher mit Pfandsystemen oder Leasingkonzepten – getrieben von der Idee, damit die Resilienz ihrer Rohstoffversorgung zu verbessern. Ein weiterer wichtiger Treiber sind die gesetzlichen Verpflichtungen der Unternehmen, ihre Prozesse klimaneutral aufzustellen – hier ist der Einsatz recycelter Rohstoffe natürlich nicht zum Nulltarif zu haben; auf lange Sicht sind die dafür notwendigen Technologien aber schon deutlich ausgereifter und die Kosten pro eingesparter Tonne CO2 bei entsprechender Skalierung niedriger. Aber obwohl das Thema Kreislaufwirtschaft damit immer stärker auch in den Strategieabteilungen der Unternehmen ankommt, faktisch fehlt es an einer selbsttragenden Innovationsdynamik. Noch immer beträgt das Verhältnis von recycelten Rohstoffen und Gesamtrohstoffbedarf gerade mal 13 Prozent; rechnerisch sind also 87 Prozent aller Rohstoffe noch immer Primärmaterial. Die dafür von vielen genannten Gründe sind einerseits rational: In wirtschaftlich schwierigen Zeiten fehlt es an finanziellen Ressourcen, um ausreichend in die Transformation zur zirkulären Wertschöpfung zu investieren. Gleichzeitig ist den meisten sehr bewusst, dass Deutschland damit droht, seine eigentliche hervorragende Ausgangsbedingungen in diesem zentralen Zukunftsmarkt zu verspielen. Die Bundesregierung hat vor diesem Hintergrund im Dezember 2024 ihre „Nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie“ (NKWS) verabschiedet. Erklärtes Ziel ist es, die Transformation zur Kreislaufwirtschaft zu beschleunigen. Dafür benennt die Strategie ambitionierte Ziele, beispielsweise die faktische Halbierung des Bedarfs an primären Rohstoffen; im Kern aber vor allem über 130 konkrete Maßnahmen. Diese gehen weit über Abfallwirtschaft hinaus, sondern betreffen z. B. die fokussierte Digitalisierung im Recyclingsektor, innovative Finanzierungsmechanismen oder auch Mindestrezyklatquoten, um so einen sicheren Absatzmarkt für hochwertige Sekundärrohstoffe zu schaffen. Aber natürlich ist Papier geduldig und die eigentliche Herausforderung liegt in der jetzt anstehenden Umsetzung. Ein zentraler Schlüssel wird dabei sein, Allianzen zu schaffen – zwischen all den Akteuren, die in einer Kreislaufwirtschaft profitieren wollen von den erhofften positiven Effekten für Klimaschutz, einheimische Beschäftigung, Aufträgen für den Maschinenbau usw. Die in der NKWS angekündigte Plattform muss es daher schaffen, genau solche Allianzen zu bilden und sich nicht in endlosen Debatten über die 100 Prozent perfekte Lösung zu verlieren – denn die internationale Konkurrenz schläft nicht und es ist überhaupt nicht gegeben, dass die erhofften Vorteile tatsächlich am Standort Deutschland realisiert werden. Die nächsten 24 Monate werden daher maßgeblich darüber entscheiden, ob Deutschland am Ende zu den Gewinnern oder den Verlierern der zirkulären Transformation gehören wird.