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21. Mär 2023

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Wirtschaft

Automatisierung löst den Menschen nicht ab

Journalist: Theo Hoffmann

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Foto: Fraunhofer AT, Tiger Lily/pexels

Digitale Innovation, Automatisierung und Künstliche Intelligenz helfen der Logistikbranche und ihrem steigenden Personalbedarf.

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Dr. Martin Riester, Geschäftsbereichsleitung Logistik und Supply Chain Management am Fraunhofer Institut Austria

Was kann die Logistikbranche tun, um dem Mangel an Fachkräften auch mit Blick auf eine bessere Arbeitsergonomie zu begegnen?
Ein Blick auf die Bevölkerungspyramide macht klar: Zukünftige Arbeitsplätze müssen maximal ergonomisch gestaltet werden, denn das Durchschnittsalter der Arbeitskräfte steigt stetig. Neben den klassischen Ansätzen, wie der Produktplatzierung in der goldenen Zone oder ergonomischen Arbeitsmitteln sind innovative neue Methoden gefragt. In unserem Projekt «ErgoKomm» haben wir zum Beispiel sensorbasierte Schulungen entwickelt. Wir messen das individuelle Kommissionierverhalten einer Person mittels Sensoren und geben Rückmeldung, wie die Aufgabe ergonomischer ausgeführt werden kann. Ein anderer Ansatz, den wir in unserem Forschungsprojekt «Erik» verfolgt haben, ist die intelligente Nutzung von Kommissionierdaten. Unter Berücksichtigung von Grösse und Gewicht der Ware werden die Aufträge z.B. so zugeteilt, dass nicht dieselbe Person mehrmals hintereinander schwer hebt.

«Automatisierung wird nötig sein, um unseren Lebensstandard zu halten und auch weiterhin den Bedarf an Waren zu decken.»

Die Automatisierung in der Logistik ist weit fortgeschritten. An welchen Projekten wird derzeit geforscht, wie sieht die Zukunft der Logistik auch mit Blick auf die Künstliche Intelligenz aus?
Automatisierungstechnik und KI sind in der Theorie sehr weit fortgeschritten, in der Praxis sind sie aber bei Weitem nicht so stark im Einsatz wie man meinen könnte. Es ist schliesslich auch eine Investitionsfrage. Kleine und mittelständische Unternehmen haben häufig nicht die Grösse, ab der sich eine Automatisierung lohnen würde. Fachkräftemangel ist in diesen Fällen der stärkere Treiber. Automatisierung wird nötig sein, um unseren Lebensstandard zu halten und auch weiterhin den Bedarf an Waren zu decken. Sie löst den Menschen aber nicht ab, sondern soll ihn bestmöglich unterstützen. KI wird eingesetzt, um die Produktivität von Menschen zu optimieren, z.B. in der Form eines Assistenzsystems.

Dr. Martin Riester leitet den Bereich Logistik und Supply Chain Management (SCM) bei der 2008 gegründeten Fraunhofer Austria Research GmbH in Wien. Für ihn werden die Logistik- und SCM-Themen angesichts der wachsenden Anforderungen in der Branche immer wichtiger.

1. Okt 2025

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Wirtschaft

Die nächsten 24 Monate entscheiden: Deutschland im Transformationsfenster – Ein Beitrag von Prof. Dr. Henning Wilts

An den Begriff „Kreislaufwirtschaft“ haben die meisten Unternehmen lange Zeit einen gedanklichen Haken gemacht: Die eigenen Abfälle werden fachmännisch entsorgt, man hatte seine Hausaufgaben gemacht. Mit der Zeitenwende als Reaktion auf den russischen Angriffskrieg und seitdem völlig veränderten geopolitischen Rahmenbedingungen hat sich jedoch auch das Verständnis von Kreislaufwirtschaft fundamental verändert: Von „Nice-to-have“ zur Schlüsselherausforderung eines auch mittel- und langfristig wettbewerbsfähigen Wirtschaftsstandorts, der sich schlagartig bewusst wurde, wie abhängig man doch ist von Rohstoffimporten – und der Bereitschaft vieler Länder, den Zugang zu diesen als strategisches Druckmittel zu nutzen. Dementsprechend gewinnen auch zirkuläre Geschäftsmodelle zunehmend an Bedeutung, die von Anfang an mitdenken, wie die Produkte – und damit auch die darin enthaltenen Rohstoffe – am Ende der Nutzungsphase wieder zurückkommen. Immer mehr Unternehmen experimentieren daher mit Pfandsystemen oder Leasingkonzepten – getrieben von der Idee, damit die Resilienz ihrer Rohstoffversorgung zu verbessern. Ein weiterer wichtiger Treiber sind die gesetzlichen Verpflichtungen der Unternehmen, ihre Prozesse klimaneutral aufzustellen – hier ist der Einsatz recycelter Rohstoffe natürlich nicht zum Nulltarif zu haben; auf lange Sicht sind die dafür notwendigen Technologien aber schon deutlich ausgereifter und die Kosten pro eingesparter Tonne CO2 bei entsprechender Skalierung niedriger. Aber obwohl das Thema Kreislaufwirtschaft damit immer stärker auch in den Strategieabteilungen der Unternehmen ankommt, faktisch fehlt es an einer selbsttragenden Innovationsdynamik. Noch immer beträgt das Verhältnis von recycelten Rohstoffen und Gesamtrohstoffbedarf gerade mal 13 Prozent; rechnerisch sind also 87 Prozent aller Rohstoffe noch immer Primärmaterial. Die dafür von vielen genannten Gründe sind einerseits rational: In wirtschaftlich schwierigen Zeiten fehlt es an finanziellen Ressourcen, um ausreichend in die Transformation zur zirkulären Wertschöpfung zu investieren. Gleichzeitig ist den meisten sehr bewusst, dass Deutschland damit droht, seine eigentliche hervorragende Ausgangsbedingungen in diesem zentralen Zukunftsmarkt zu verspielen. Die Bundesregierung hat vor diesem Hintergrund im Dezember 2024 ihre „Nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie“ (NKWS) verabschiedet. Erklärtes Ziel ist es, die Transformation zur Kreislaufwirtschaft zu beschleunigen. Dafür benennt die Strategie ambitionierte Ziele, beispielsweise die faktische Halbierung des Bedarfs an primären Rohstoffen; im Kern aber vor allem über 130 konkrete Maßnahmen. Diese gehen weit über Abfallwirtschaft hinaus, sondern betreffen z. B. die fokussierte Digitalisierung im Recyclingsektor, innovative Finanzierungsmechanismen oder auch Mindestrezyklatquoten, um so einen sicheren Absatzmarkt für hochwertige Sekundärrohstoffe zu schaffen. Aber natürlich ist Papier geduldig und die eigentliche Herausforderung liegt in der jetzt anstehenden Umsetzung. Ein zentraler Schlüssel wird dabei sein, Allianzen zu schaffen – zwischen all den Akteuren, die in einer Kreislaufwirtschaft profitieren wollen von den erhofften positiven Effekten für Klimaschutz, einheimische Beschäftigung, Aufträgen für den Maschinenbau usw. Die in der NKWS angekündigte Plattform muss es daher schaffen, genau solche Allianzen zu bilden und sich nicht in endlosen Debatten über die 100 Prozent perfekte Lösung zu verlieren – denn die internationale Konkurrenz schläft nicht und es ist überhaupt nicht gegeben, dass die erhofften Vorteile tatsächlich am Standort Deutschland realisiert werden. Die nächsten 24 Monate werden daher maßgeblich darüber entscheiden, ob Deutschland am Ende zu den Gewinnern oder den Verlierern der zirkulären Transformation gehören wird.