30. Jun 2025
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Wirtschaft
Journalist: Thomas Soltau
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Foto: Presse
Lieferketten können Unternehmen zum Erfolg tragen, oder sie ins Chaos stürzen. Wolfgang Lehmacher, einer der führenden Supply Chain Management (SCM)-Experten weiß, wie sich Unternehmen jetzt erfolgreich positionieren.
„Lieferketten sind hochkomplexe, sich selbst organisierende Systeme“, erklärt Wolfgang Lehmacher. Er erinnert daran, dass bereits die Sumerer vor über 4.000 Jahren Inventarlisten auf Tontafeln nutzten – und zieht die Brücke zur Gegenwart: „Heute ist Supply Chain Management das Rückgrat moderner Volkswirtschaften und Unternehmen.“ Und sein Credo ist klar: Wer seine Lieferantenbasis diversifiziert, digitale Tools einsetzt und Risiken proaktiv managt, bleibt wettbewerbsfähig. Laut Welthandelsorganisation WTO findet Handel in Billionenhöhe statt und jede Verzögerung wirkt sich unmittelbar auf Lieferzeiten und Umsätze aus. Resilienz und Agilität sind entscheidend: Unternehmen müssen ihre Lieferketten so aufstellen, dass sie Pandemien, Handelskonflikte oder Naturkatastrophen bewältigen können.
Nachhaltigkeit war im SCM schon immer ein Herzstück und wird künftig selbstverständlich sein. Gerade mit Blick auf den EU Green Deal, der Unternehmen zu mehr ökologischer Verantwortung verpflichtet, sieht der Experte klare Signale für einen Wandel. „Nachhaltigkeit ist längst vom Trend zur unternehmerischen und volkswirtschaftlichen Notwendigkeit geworden.“ Lehmacher warnt jedoch, dass viele Unternehmen Nachhaltigkeit kommunizieren, die Umsetzung aber oft an Kosten und Komplexität scheitert und stellt fest: „Ich sehe Nachhaltigkeit als ein Treiber für Kostensenkung und Umsatzsteigerung.“ Dabei verweist er auf die junge Käuferschicht: Besonders jüngere Generationen legen Wert auf nachhaltige Produkte – das verändert die gesamte Lieferkette. Branchen wie die Modeindustrie setzen etwa verstärkt auf Kreislaufwirtschaft, um Ressourcen zu schonen und Abfälle zu reduzieren. Die Dekarbonisierung von Produktion und Transport wird ebenfalls zunehmend zur zentralen Anforderung von Markt und Gesetzgebenden.
Handelskonflikte, Sanktionen, politische Krisen und Kriege stellen Lieferketten vor große Herausforderungen. Sollte der Trend zu mehr Protektionismus anhalten, werden Unternehmen weiterhin mit Unsicherheiten rechnen müssen. Sein klarer Rat: „Strategien wie Multi-Sourcing, der Aufbau regionaler Netzwerke und die Lagerung kritischer Komponenten sind wichtige Gegenmaßnahmen.“ An den Chip-Engpass von 2021 erinnert er mahnend: Ohne Resilienz drohen Produktionsstopps. Um fit zu sein, empfiehlt Wolfgang Lehmacher regelmäßige Worst-Case-Tests, strategische Puffer für kritische Komponenten und eine enge Zusammenarbeit mit regionalen Partnern.
Technologien wie Künstliche Intelligenz (KI) revolutionieren das Supply Chain Management. Unternehmen wie IBM nutzen KI für präzise Nachfrageprognosen, Amazon automatisiert Lagerprozesse mit Robotik, und UPS optimiert Lieferwege mittels KI-gestützter Routenplanung. Unternehmen wie DHL, FedEx und UPS testen Blockchain-Lösungen, um Lieferungen lückenlos nachzuverfolgen und Fälschungen zu vermeiden. Traditionelle Spediteure, wie Kühne & Nagel können heute zu den digitalen Pionieren gezählt werden. Das Resultat: geringere Kosten, höhere Effizienz und eine verbesserte Reaktionsfähigkeit auf Marktveränderungen. „KI revolutioniert das Supply Chain Management“, führt Lehmacher aus. Und er legt nach: „Digitale Produktpässe und Blockchain-Technologien erhöhen die Transparenz in Lieferketten.“ Voraussetzung sei allerdings die Kooperation aller Beteiligten, denn ohne Daten¬austausch kein Mehrwert.
Wenn man ihn fragt, was „gutes SCM“ ausmacht, liefert Lehmacher eine punktgenaue Definition: „Ein effektives Supply Chain Management zeichnet sich durch Digitalisierung, Transparenz entlang der Wertschöpfungskette, eine abteilungsübergreifende Zusammenarbeit, regelmäßige Stresstests für Krisenfälle und den gezielten Einsatz moderner Technologien zur Resilienz, Standardisierung, und Automatisierung aus.“ Er erinnert zudem an den Menschen: „Der Faktor Mensch war ebenfalls entscheidend in der Coronakrise und wird auch im Zeitalter der KI weiterhin seine Bedeutung haben. Die Delegation von Verantwortung auf Maschinen wäre der Weg in die Sackgasse.“ Die Kraft von Partnerschaften sieht der Experte als Schlüssel zum Erfolg: „Coopetition, also die Kooperation von Wettbewerbern, fördert Synergien und Innovationen entlang der Lieferkette.“ Supply Chain Management ist heute Hightech, Teamwork und kontinuierliche Anpassung zugleich. Resilienz ist kein Kostenfaktor, sondern ein echter Wettbewerbsvorteil – und hinter jeder erfolgreichen Lieferung steckt oft eine Geschichte, die bis in die Antike zurückreicht.