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4. Jul 2025

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Wirtschaft

Zukunft der Gesundheits-Versorgung: Neue Trends der Gesundheits-IT – mit Melanie Wendling

Journalist: Jakob Bratsch

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Foto: bvitg e. V., MedPoint24/pexels

„Das Digitale ist keine Option. Es ist Voraussetzung“, meint Melanie Wendling, Geschäftsführerin des Bundesverbands Gesundheits-IT e. V. (bvitg).

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Melanie Wendling, Geschäftsführerin Bundesverband Gesundheits-IT – bvitg e. V.

Wie beurteilen Sie den Status quo der Gesundheits-IT? Wir reden gern in Zukunftsform, wenn es um Gesundheits-IT geht. So, als stünde uns noch ein großer, visionärer Wurf bevor. Dabei ist längst klar: Digitale Technologien im Gesundheitswesen sind kein Trend. Sie sind unabdingbar. Ohne sie lässt sich die medizinische Versorgung der Zukunft weder sichern noch verbessern. Das Digitale ist keine Option. Es ist Voraussetzung. Trotzdem tun wir so, als sei Digitalisierung im Gesundheitswesen ein Nice-to-have. Dabei stehen die Lösungen bereit: Interoperabilität, elektronische Patientenakten, datengestützte Versorgungspfade, KI in der Radiologie, digitale Therapieangebote: All das ist nicht visionär – sondern bereits Realität. Nur nutzen wir davon derzeit oft weniger als 20 Prozent. Die restlichen 80 Prozent bleiben ungenutzt – nicht, weil sie technisch unmöglich wären, sondern weil wir es strukturell, regulatorisch oder kulturell nicht hinbekommen, sie sinnvoll einzubinden.

Wenn wir ernst machen wollen mit einer besseren Gesundheitsversorgung, dann müssen wir die digitale Realität endlich zur Grundlage unseres Handelns machen. Dazu gehört, dass wir Regulierung neu denken: schneller, adaptiver, dynamischer.

Vor welchen Herausforderungen steht die Gesundheits-IT aktuell? Die Gesundheits-IT steht vor einer zentralen Herausforderung: Es fehlt weniger an Innovation als an Integration. Wir verschwenden Ressourcen, Zeit und Geld – das liegt nicht an einem Mangel an Technologie. Sondern an einem Mangel an Mut. Und an Strukturen, die das Neue systematisch ausbremsen. Wer heute eine digitale Lösung in die Regelversorgung bringen will, muss sich durch ein regulatorisches Dickicht kämpfen, das jedem Fortschritt die Luft abschnürt. Das ist keine Innovationsbremse mehr – das ist Innovationsverhinderung.

Gleichzeitig fehlt ein Bewusstsein dafür, wie viel wir durch Nichtnutzung verlieren. Wir verschwenden Ressourcen – personell, finanziell, infrastrukturell. Wir lassen Potenziale ungenutzt, weil wir uns an alten Prozessen festhalten. Dabei könnten wir längst schneller, sicherer und zielgerichteter versorgen. Nicht irgendwann. Jetzt.

Es gibt viel Kritik an der „Regulierungswut“ in Deutschland. Wie beurteilen Sie das? Regulierung ist wichtig. Aber sie muss dem Tempo der Entwicklung gerecht werden. Im Moment hinkt sie – oft um Jahre – hinterher. Sie reagiert, statt zu gestalten. In einem System, das sich täglich verändert, brauchen wir regulatorische Mechanismen, die beweglich sind. Die lernen und mitwachsen. Die klassische Logik von Regulierung – erst beobachten, dann bewerten, dann regeln – funktioniert in einer digital getriebenen Welt nur noch bedingt. In der Zeit, in der ein Gesetz beschlossen wird, hat sich die technologische Grundlage bereits verändert. Wenn wir ernst machen wollen mit einer besseren Gesundheitsversorgung, dann müssen wir die digitale Realität endlich zur Grundlage unseres Handelns machen. Dazu gehört, dass wir Regulierung neu denken: schneller, adaptiver, dynamischer. Dass wir Bestehendes mutiger anwenden und nicht permanent auf das Nächste warten. Und, dass wir endlich akzeptieren: Die Zukunft der Gesundheitsversorgung beginnt nicht morgen – sie ist schon heute da. Wir müssen sie nur nutzen.

4. Jul 2025

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Wirtschaft

Chancen für die Zukunft der Versorgung – mit Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Jürgen Debus & Dr. Johannes Danckert

![Dr_Johannes_Danckert_Copyright_Kevin_Kuka_Vivantes_online.jpg](https://cwbucket.fra1.digitaloceanspaces.com/Dr_Johannes_Danckert_Copyright_Kevin_Kuka_Vivantes_online_6e3b6d01f5.jpg) ``` Dr. Johannes Danckert, Vorsitzender der Geschäftsführung, Vivantes – Netzwerk für Gesundheit GmbH ``` **Dr. Johannes Danckert, Vorsitzender der Geschäftsführung, Vivantes – Netzwerk für Gesundheit GmbH** Digitalisierung kann die Patientenversorgung schneller, besser und sicherer machen. Immer öfter werden dabei auch die traditionellen Grenzen zwischen ambulanten und stationären Bereichen sowie einzelnen Versorgungseinrichtungen abgebaut. So kann die ‚Patient Journey‘, also der gesamte Behandlungsweg eines Patienten von Diagnose bis Nachsorge, zu einer vernetzten Gesundheitsregion verbunden werden. Trotz deutlicher digitaler Fortschritte haben deutsche Krankenhäuser allerdings weiterhin erheblichen Entwicklungsbedarf, bedingt vor allem durch kleinteilige Strukturen und unzureichende Finanzierung. Denn die Implementierung innovativer Lösungen setzt bereits einen hohen Digitalisierungsgrad voraus. Bei Vivantes wurden zentrale Prozesse wie die Patientenkurve, Medikation, Pflegeprozesssteuerung sowie Anforderungs- und Befundungsprozesse digitalisiert. Auch große Teile der Medizintechnik sind eingebunden. KI-gestützte Systeme helfen uns, Frakturen und Embolien schneller zu erkennen oder warnen vor Komplikationen wie Delir oder Nierenversagen. Künstliche Intelligenz unterstützt uns auch dabei, Patientendaten direkt aus dem Rettungswagen in das Klinik-Informationssystem (KIS) zu übertragen, sodass die Krankenakte bei Ankunft bereits angelegt ist. Eine von uns entwickelte, interoperable Datenplattform ermöglicht zudem den automatisierten Datenaustausch von inzwischen 15 Klinikträgern in der Region Berlin-Brandenburg. Damit entstehen telemedizinische Versorgungskonzepte weit über Berlin hinaus. ![prof.dr.dr.jurgendebus_online.jpg](https://cwbucket.fra1.digitaloceanspaces.com/prof_dr_dr_jurgendebus_online_d7f732ea04.jpg) ``` Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Jürgen Debus, Vorstandsvorsitzender und Leitender Ärztlicher Direktor des Universitätsklinikums Heidelberg ``` **Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Jürgen Debus, Vorstandsvorsitzender und Leitender Ärztlicher Direktor Universitätsklinikum Heidelberg** Smarte Technologien und eine optimale Datennutzung verbessern den Klinikalltag und die Patientenversorgung. Das zukünftige Herzzentrum am Universitätsklinikum Heidelberg planen wir als Smart Hospital: Dort werden z. B. OPs gefilmt und das KI-System warnt automatisch bei Veränderungen des Patienten oder ungewöhnlichen Vorgängen. So werden Risiken früh erkannt und die Sicherheit erhöht. Dank verknüpfter Patientendaten und digitalem Terminmanagement läuft auch die Vorbereitung auf Eingriffe effizienter, da benötigte Ressourcen wie CT-Termine frühzeitig ersichtlich sind. Ein smartes Entlassmanagement stellt relevante Dokumente für den Patienten automatisch bereit und koordiniert Sozialdienst, Pflege und Medikamentenbedarf, sodass der Übergang in die weitere Versorgung optimal organisiert ist. In all diesen Algorithmen und Systemen steckt das gebündelte Wissen von Ärztinnen und Ärzten, Pflegepersonal und Forschenden. Die meisten KI-Anwendungen basieren auf maschinellen Lernmodellen, die mit Patientendaten trainiert werden, um Muster zu erkennen. Je größer der verfügbare Datensatz, desto exakter fallen Diagnosen und Prognosen aus – ein wichtiger Faktor angesichts des steigenden Versorgungsbedarfs bei gleichzeitig sinkender Zahl an Fachkräften. Smarte Technologien helfen, diese Lücke zu schließen und die Versorgung weiterhin auf hohem Niveau zu gewährleisten. Damit es nicht bei Insellösungen bleibt, treiben wir die übergreifende Datenintegration voran, ähnlich wie sie in der internationalen Forschung etabliert ist.

30. Jun 2025

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Wirtschaft

Krise als Chance: Wie KI und strategisches Supply Chain Management Europas Rolle stärken können – Ein Beitrag von Dr. Lars Kleeberg, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands für Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik e.V. (BME)

Globale Lieferketten stehen unter massivem Druck. Handelskonflikte, Protektionismus und geopolitische Krisen haben die Weltwirtschaft grundlegend verändert – mit direkten Auswirkungen auf Produktion, Versorgungssicherheit und Wettbewerbsfähigkeit. Seit Trumps Zoll-Eskalationen ist klar: Lieferketten sind keine stille Infrastruktur im Hintergrund mehr – sie sind kritische Erfolgsfaktoren für Unternehmen und Volkswirtschaften. Just-in-time ist out, just-in-case-Konzepte sind jetzt notwendig. Es ist höchste Zeit, dass Deutschland und Europa ihre Abhängigkeiten hinterfragen und ihre Versorgungssicherheit neu denken. Politik und Wirtschaft sind gleichermaßen gefordert, die Schlüsselrolle von Einkauf, Logistik und Supply Chain Management strategisch anzuerkennen und aktiv zu stärken. Gerade Deutschland als Exportnation ist in besonderem Maße auf stabile, resiliente Lieferketten angewiesen. Steigende regulatorische Anforderungen wie CSRD, CSDDD, EUDR oder REACH verschärfen den Druck auf die Unternehmen zusätzlich: Einkauf, Supply Chain Management und Logistik müssen heute ökologische, soziale und wirtschaftliche Ziele gleichzeitig erfüllen – ein Spagat, der die Komplexität erheblich erhöht und insbesondere den Mittelstand herausfordert. In diesem Spannungsfeld wächst die Bedeutung von Künstlicher Intelligenz. Mithilfe von KI können Supply Chain-Manager Transparenz entlang globaler Lieferketten herstellen, Risiken frühzeitig erkennen, Compliance-Anforderungen effizienter erfüllen und Prozesse automatisieren. Doch trotz des enormen Potenzials sind KI- Anwendungen heute oft noch Pilotprojekte – gehemmt durch mangelnde Integration, rechtliche Unsicherheiten und zögerliche Entscheidungen in der Unternehmensführung. Es braucht deshalb eine klare Haltung in den Vorstandsetagen: Der strategische Einsatz von KI muss Chefsache werden. Nur, wer Technologie gezielt integriert und daraus neue Fähigkeiten entwickelt, sichert sich langfristige Wettbewerbsvorteile. Gleichzeitig müssen die politischen Entscheidungsträger in Berlin und Brüssel an einem Strang ziehen. Angesichts geopolitischer Spannungen, zunehmenden Protektionismus und wirtschaftlicher Entkopplung muss die EU mit einer Stimme zentrale Handelsabkommen und strategische Partnerschaften vorantreiben. Die neue Bundesregierung muss zügig die wirtschaftliche Resilienz unserer Unternehmen durch ein neues Außenwirtschaftsgesetz stärken und die versprochene Expertenkommission zur Risikoanalyse globaler Abhängigkeiten einsetzen. Europa kann gestärkt aus dieser Krise hervorgehen, wenn es gelingt, strategische Rohstoffe zu sichern, Handelsbeziehungen auf Augenhöhe auszubauen und ein level playing field – insbesondere im Verhältnis zu China – durchzusetzen. Ein strategischer Wandel ist unumgänglich. Insbesondere für Deutschland und Europa gilt: Versorgungssicherheit, Innovationsfähigkeit und wirtschaftliche Souveränität sind untrennbar mit robusten Lieferketten verbunden. Supply Chain Management, Einkauf und Logistik sind längst keine operativen Randfunktionen mehr – sie sind zentrale Erfolgsfaktoren in einer zunehmend fragmentierten Weltwirtschaft. Die internationale Wettbewerbsfähigkeit Europas entscheidet sich nicht in der nächsten Krise – sie entscheidet sich jetzt. >Angesichts geopolitischer Spannungen, zunehmenden Protektionismus und wirtschaftlicher Entkopplung muss die EU mit einer Stimme zentrale Handelsabkommen und strategische Partnerschaften vorantreiben.