6. Aug 2020
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Wirtschaft
Journalist: Katja Deutsch
Wer von seinem Bauvorhaben vorab einen digitalen Zwilling anfertigt, hat nicht nur jederzeit das virtuelle Abbild seines Bauwerkes vor Augen, sondern die Möglichkeit, dessen gesamten Lebenszyklus zu planen. Denn ein digitaler Zwilling umfasst sowohl Entwicklung als auch Fertigung und vor allem Betrieb des Bauwerkes, ganz gleich, ob es sich um ein Gebäude, eine Brücke oder ein Schienennetz handelt.
Hat man verschiedene Fachplaner, verwendet jeder Planer seine eigene digitale Abbildung“, sagt Prof. Dr.-Ing. Joaquín Díaz von der Technischen Hochschule Mittelhessen in Gießen. „Deshalb kommen hierbei verschiedene abgeleitete Modelle für jeden einzelnen Planer zum Einsatz.“
Der große Vorteil eines digitalen Zwillings liegt darin, dass man das, was entsteht, schon im Vorfeld simulieren kann – und somit mögliche Problemstellungen entdecken und sich darüber abstimmen kann.
„Denn hier liegt das größte Problem der Baubranche: Dass Probleme immer erst auf der Baustelle erkannt werden und dann auf der Baustelle gelöst werden müssen, wo-durch sie Kosten verursachen. Die Nutzung eines digitalen Zwillings, bereits im Vorfeld, ermöglicht dagegen die Beseitigung des Problems.“ Den Stufenplan der Bundesregierung „Digital planen, real bauen“ möchte der BIM-Experte deshalb gerne ergänzen zu „Digital planen, dann digital optimieren und danach erst real bauen.“
Während man in Dänemark und Schweden immer öfter in interdisziplinären Arbeitsgruppen mögliche Bauprobleme anhand digitaler Abbildungen diskutiert, schätzt Prof. Díaz den Anteil der Planungsbüros in Deutschland, die derzeit unternehmensübergreifend mit digitalen Zwillingen arbeiten, auf weniger als zehn Prozent. „Umgesetzt wird das bisher kaum. Vorzeigeunternehmen ist hierbei die Deutsche Bahn, die erst nach ausgiebiger Prüfung anhand der digitalen Modelle baut. Auch Bundesautobahnen haben ihren digitalen Zwilling, besonders im Brückenbau.“
Wie wird der Nachwuchs auf das Arbeiten mit digitalen Abbildern vorbereitet? Professor Joaquín Díaz bestätigt den Universitäten und Hochschulen zwar ein allgemeines Bewusstsein für Digital Twins, doch praktisch werde das Thema vor allem in einzelnen Modulen gelehrt, denn dabei gehe es auch um eine Veränderung der Vermittlung der Inhalte. Auch im Bereich der Lehre lobt der Experte erneut das kleine Dänemark, in dem das so genannte „Problem Based Learning“ gleich über ein ganzes Semester gelehrt wird. Im Gegensatz zur herkömmlichen Ausbildung steht hier das „Problem“, das Bauwerk, im Mittelpunkt und wird von allen Planern gemeinsam betrachtet. Hierbei kommen viele Studierende erstmals auch mit Planungsänderungen und den dadurch verursachten Kosten in Berührung: „Wird ein Detail verändert, steigen oder sinken die Kosten – und vielleicht auch die Statik. Das kann zu Verzögerungen führen, die wiederum Kosten verursachen. Die beste Lösung muss von den Studierenden gemeinsam gefunden werden.“In den seltenen Genuss des durchgängigen Arbeitens mit einem digitalen Ebenbild kommt man derzeit in Deutschland im 5D-Masterstudiengang der Technischen Hochschule Mittelhessen in Gießen.