Ein Sack voll Plastikmüll

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21. Mär 2024

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Wirtschaft

Circular Plastics – Interview mit Prof. Dr. Rainer Dahlmann

Journalist: Julia Butz

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Foto: Claudio Schwarz/unsplash

„Sowohl Verarbeiter als auch In-Marktbringer wollen Rezyklate nutzen und nehmen dazu auch gewisse Einbußen hin – allerdings nicht in dem hohen Maße, wie es aktuell der Fall ist“, sagt Prof. Dr. rer. nat. Rainer Dahlmann, Wissenschaftlicher Direktor am IKV Aachen.

Portrait Dahlmann.pngProf. Dr. rer. nat. Rainer Dahlmann, Wissenschaftlicher Direktor am IKV Aachen

Zum einen reiche die Qualität der Rezyklate derzeit i. d. R. nicht aus, um daraus wieder gleichwertige Produkte herzustellen. Zum anderen treibe jeder Behandlungsschritt zur Qualitätssteigerung der Rezyklate die Kosten weiter in die Höhe. Denn ihr Einsatz ist ohnehin schon etwas teurer als Neuware und bedingt durch langsamere, instabile Prozesse längst nicht ökonomisch. „Natürlich könnten die Recycler bessere Qualitäten herstellen“, so Dr. Dahlmann, „müssten dazu aber investieren und bekommen keine Garantien, dass die Produkte auch abgenommen werden“.

Einen wichtigen Lösungsansatz bieten die viel diskutierten „Design for Recycling“-Ansätze. Insbesondere Multimaterialverbunde sollten dabei aufgrund der schwierigen werkstofflichen Trennung vermieden werden. Beschichtungen aus Siliziumoxid (SiOx) oder Aluminiumoxid (AlOx) werden beispielsweise als voll recyclingfähig eingestuft, ohne jegliche Abstriche an Funktionalität und Qualität. In einer Rezyklatquote, die einen zwingenden Einsatz in neue Produkte vorsieht und der Digitalisierung (Stichwort: „Digitaler Produktpass“) sieht Dr. Dahlmann ebenfalls mächtige Werkzeuge, um die Gesamtsituation zu verbessern. Hingegen verzerre man durch Regularien wie einer „Plastiksteuer“ auf Kunststoffe den Markt: „Das führt dann dazu, dass z. B. ein Materialverbund wie ein beschichtetes Papier wieder konkurrenzfähig wird. Einfach, weil die Kunststoffprodukte teurer sind. Damit tut man der Umwelt nichts Gutes.“

1. Okt 2025

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Wirtschaft

Die nächsten 24 Monate entscheiden: Deutschland im Transformationsfenster – Ein Beitrag von Prof. Dr. Henning Wilts

An den Begriff „Kreislaufwirtschaft“ haben die meisten Unternehmen lange Zeit einen gedanklichen Haken gemacht: Die eigenen Abfälle werden fachmännisch entsorgt, man hatte seine Hausaufgaben gemacht. Mit der Zeitenwende als Reaktion auf den russischen Angriffskrieg und seitdem völlig veränderten geopolitischen Rahmenbedingungen hat sich jedoch auch das Verständnis von Kreislaufwirtschaft fundamental verändert: Von „Nice-to-have“ zur Schlüsselherausforderung eines auch mittel- und langfristig wettbewerbsfähigen Wirtschaftsstandorts, der sich schlagartig bewusst wurde, wie abhängig man doch ist von Rohstoffimporten – und der Bereitschaft vieler Länder, den Zugang zu diesen als strategisches Druckmittel zu nutzen. Dementsprechend gewinnen auch zirkuläre Geschäftsmodelle zunehmend an Bedeutung, die von Anfang an mitdenken, wie die Produkte – und damit auch die darin enthaltenen Rohstoffe – am Ende der Nutzungsphase wieder zurückkommen. Immer mehr Unternehmen experimentieren daher mit Pfandsystemen oder Leasingkonzepten – getrieben von der Idee, damit die Resilienz ihrer Rohstoffversorgung zu verbessern. Ein weiterer wichtiger Treiber sind die gesetzlichen Verpflichtungen der Unternehmen, ihre Prozesse klimaneutral aufzustellen – hier ist der Einsatz recycelter Rohstoffe natürlich nicht zum Nulltarif zu haben; auf lange Sicht sind die dafür notwendigen Technologien aber schon deutlich ausgereifter und die Kosten pro eingesparter Tonne CO2 bei entsprechender Skalierung niedriger. Aber obwohl das Thema Kreislaufwirtschaft damit immer stärker auch in den Strategieabteilungen der Unternehmen ankommt, faktisch fehlt es an einer selbsttragenden Innovationsdynamik. Noch immer beträgt das Verhältnis von recycelten Rohstoffen und Gesamtrohstoffbedarf gerade mal 13 Prozent; rechnerisch sind also 87 Prozent aller Rohstoffe noch immer Primärmaterial. Die dafür von vielen genannten Gründe sind einerseits rational: In wirtschaftlich schwierigen Zeiten fehlt es an finanziellen Ressourcen, um ausreichend in die Transformation zur zirkulären Wertschöpfung zu investieren. Gleichzeitig ist den meisten sehr bewusst, dass Deutschland damit droht, seine eigentliche hervorragende Ausgangsbedingungen in diesem zentralen Zukunftsmarkt zu verspielen. Die Bundesregierung hat vor diesem Hintergrund im Dezember 2024 ihre „Nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie“ (NKWS) verabschiedet. Erklärtes Ziel ist es, die Transformation zur Kreislaufwirtschaft zu beschleunigen. Dafür benennt die Strategie ambitionierte Ziele, beispielsweise die faktische Halbierung des Bedarfs an primären Rohstoffen; im Kern aber vor allem über 130 konkrete Maßnahmen. Diese gehen weit über Abfallwirtschaft hinaus, sondern betreffen z. B. die fokussierte Digitalisierung im Recyclingsektor, innovative Finanzierungsmechanismen oder auch Mindestrezyklatquoten, um so einen sicheren Absatzmarkt für hochwertige Sekundärrohstoffe zu schaffen. Aber natürlich ist Papier geduldig und die eigentliche Herausforderung liegt in der jetzt anstehenden Umsetzung. Ein zentraler Schlüssel wird dabei sein, Allianzen zu schaffen – zwischen all den Akteuren, die in einer Kreislaufwirtschaft profitieren wollen von den erhofften positiven Effekten für Klimaschutz, einheimische Beschäftigung, Aufträgen für den Maschinenbau usw. Die in der NKWS angekündigte Plattform muss es daher schaffen, genau solche Allianzen zu bilden und sich nicht in endlosen Debatten über die 100 Prozent perfekte Lösung zu verlieren – denn die internationale Konkurrenz schläft nicht und es ist überhaupt nicht gegeben, dass die erhofften Vorteile tatsächlich am Standort Deutschland realisiert werden. Die nächsten 24 Monate werden daher maßgeblich darüber entscheiden, ob Deutschland am Ende zu den Gewinnern oder den Verlierern der zirkulären Transformation gehören wird.