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14. Dez 2022

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Wirtschaft

Das Ende der Discountpreise für Energie

Journalist: Thomas Soltau

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Foto: Anna Nekrashevich / pexels

Der Strompreis in Deutschland explodiert und scheint kein Limit zu kennen. Das liegt am sogenannten Merit-Order-Prinzip, das kontrovers diskutiert wird.

Wer aktuell auf seine Stromrechnung schaut, bekommt vor Entsetzten schnell graue Haare. Fast täglich steigen die Energiepreise ins Astronomische und viele Verbraucher können die verlangten Summen nicht mehr bezahlen. Dadurch erleidet die Volkswirtschaft einen ökonomischen Schock, der nicht nur durch die weltweiten Krisen zu erklären ist. Klar ist, dass durch den Angriff Russlands auf das Nachbarland Ukraine russisches Erdgas zur strategischen Waffe wurde, um die Energiemärkte in Europa zu destabilisieren. Das alleine erklärt aber noch nicht die absurden Strompreise.

Gut 41 Prozent des Stroms in Deutschland im Jahr 2021 kommt laut Bundesumweltamt aus erneuerbaren Quellen, weitere 19 Prozent aus Braunkohle und knapp zwölf Prozent aus Atomkraft. Diese Produzenten könnten eigentlich weiterhin auf unveränderte Preise setzten. Das Problem liegt beim Erdgas, das durch die Abhängigkeit von russischen Lieferungen extrem teurer wurde. Denn der Preis für den an der Strombörse, dem Spotmarkt, gehandelten Strom ist direkt an den Gaspreis gekoppelt. Deshalb zahlen Privatkunden sowie Unternehmen teils das Zehnfache dessen, was sie 2021 zahlen mussten.

Grund für den hohen Strompreis ist das Merit-Order-Prinzip an der Strombörse. Alle Anbieter rechnen dabei nach dem Preis des teuersten Erzeugers ab – und das sind derzeit die Gaskraftwerke, die ebenfalls zur Stromerzeugung beitragen. Als Merit-Order (Reihenfolge der Vorteilhaftigkeit) bezeichnet man die Einsatzreihenfolgen von Kraftwerken. Schuld an dieser Regelung ist die Öffnung des Energiemarktes auf Druck der EU. Bis 1998 war der Strommarkt in Deutschland strikt reguliert, die Preise unterlagen in der Regel keinen großen Schwankungen. Seit der Öffnung des Marktes ist Strom zur handelbaren Ware geworden. Die Hälfte des Stroms beziehen Großkunden meist über spezialisierte Broker, wobei die Konditionen privat bleiben. Der Rest wird an der Strombörse zu öffentlich einsehbaren Konditionen gehandelt.

Zudem wird großer Teil der Stromkontingente mehrere Jahre im Voraus gekauft. So können etwa Stadtwerke ihre Kosten auf Jahre hinaus planen. Zusätzlich benötigter Strom besorgt man sich von Anbietern kurzfristig am sogenannten Day-Ahead-Markt. Das Problem: Dort erhalten zwar die günstigsten Anbieter den Zuschlag zuerst. Müssen die Energieversorger jedoch kurzfristig ihren Bedarf einkaufen und erhalten nur noch Strom von den teuren Gaskraftwerken, bestimmen sie den Börsenpreis, zu dem alle Geschäfte abgewickelt werden: das Merit-Order-Prinzip. Unabhängig davon, ob der Strom aus preiswerten Photovoltaikanlagen kommt.

Fast alle Energieversorger gelten als Gewinner in diesem Spiel. Sie verkaufen den billigen Strom teuer an die Verbraucher, die keine anderen Angebote wahrnehmen können. Solange alle Stromerzeuger ähnliche Preise anboten, funktionierte das Prinzip auch für die Kunden. Als der Gaspreis plötzlich kräftig anzog und damit die Produktion von Strom durch Gaskraftwerke extrem teuer wurde, kippte der lange anhaltende Gleichtakt der Preise. Diese neue Schieflage im Preisgefüge betrifft vor allem Energiediscounter, die Strom über kurzfristige Verträge möglichst günstig einkaufen und Kunden mit langfristiger Preisbindung ködern. Zuerst mussten sie massiv die Preise erhöhen und später das Geschäft häufig komplett einstellen. Durch den Wechsel zu Stadtwerken mussten Neukunden teilweise weit über 80 Cent pro Kilowattstunde zahlen.

Besonders regenerative Energie profitiert vom Preisboom. Da weder bei Solar- noch bei Windkraftanlagen vorher klar ist, wie viel Strom sie produzieren, handeln Betreiber ihre Energie am kurzfristigen Spotmarkt. Das bringt momentan viel Profit. So ist der Marktwert des Stroms aus Land-Windkraftanlagen von 2020 um fast das Zehnfache gestiegen. Ein schöner Zufall für die Betreiber, ein Ärgernis für alle Kunden. Die Preisbildung an der Strombörse wird seitdem kontrovers diskutiert. Der ursprüngliche Sinn vom Merit-Order-Prinzip ist nachzuvollziehen, weil es preiswertere Anbieter begünstigt. Der Gedanke: Wer seine Produktionskosten gering hält, verdient am meisten Geld und spornt weitere Unternehmen an, Billigstrom zu produzieren.

Mittlerweile gerät der gesamte Markt aus den Fugen – mit fatalen Folgen für die Wirtschaft und Privatkunden. Eine zufriedenstellende Lösung lässt jedoch auf sich warten. Das liegt vor allem daran, dass bislang kein Konzept deutliche Einsparungen bieten kann. Robert Habeck plant nun, den Strompreis vom Gaspreis abzukoppeln. Die Richtung ist eindeutig: Zukünftig wollen Bundesregierung und EU-Kommission die Rahmenbedingungen für den Stromhandel reformieren. Alleine die neuen Technologien und der dadurch veränderte Energieerzeugungsmix gelten als Treiber für eine Reform. Dazu gesellt sich die Erkenntnis aus der aktuellen Krise, möglichst unabhängig zu agieren. Doch die Umsetzung von Reformen benötigen viel Zeit. Firmen und Verbraucher können bis dahin nur auf Hilfspakete der Bundesregierung hoffen. Die EU hat etwa beschlossen, die Übergewinne der Stromkonzerne abzuschöpfen. Ihre Einnahmen sollen künftig bei 180 Euro pro Megawattstunde gedeckelt werden. Der daraus entstandene Überschuss soll Bürger entlasten. Die konkrete Umsetzung ist aber längst nicht geklärt. Klar ist aber, dass Energie auch zukünftig ein kostbares Gut bleibt.

4. Jul 2025

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Wirtschaft

Chancen für die Zukunft der Versorgung – mit Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Jürgen Debus & Dr. Johannes Danckert

![Dr_Johannes_Danckert_Copyright_Kevin_Kuka_Vivantes_online.jpg](https://cwbucket.fra1.digitaloceanspaces.com/Dr_Johannes_Danckert_Copyright_Kevin_Kuka_Vivantes_online_6e3b6d01f5.jpg) ``` Dr. Johannes Danckert, Vorsitzender der Geschäftsführung, Vivantes – Netzwerk für Gesundheit GmbH ``` **Dr. Johannes Danckert, Vorsitzender der Geschäftsführung, Vivantes – Netzwerk für Gesundheit GmbH** Digitalisierung kann die Patientenversorgung schneller, besser und sicherer machen. Immer öfter werden dabei auch die traditionellen Grenzen zwischen ambulanten und stationären Bereichen sowie einzelnen Versorgungseinrichtungen abgebaut. So kann die ‚Patient Journey‘, also der gesamte Behandlungsweg eines Patienten von Diagnose bis Nachsorge, zu einer vernetzten Gesundheitsregion verbunden werden. Trotz deutlicher digitaler Fortschritte haben deutsche Krankenhäuser allerdings weiterhin erheblichen Entwicklungsbedarf, bedingt vor allem durch kleinteilige Strukturen und unzureichende Finanzierung. Denn die Implementierung innovativer Lösungen setzt bereits einen hohen Digitalisierungsgrad voraus. Bei Vivantes wurden zentrale Prozesse wie die Patientenkurve, Medikation, Pflegeprozesssteuerung sowie Anforderungs- und Befundungsprozesse digitalisiert. Auch große Teile der Medizintechnik sind eingebunden. KI-gestützte Systeme helfen uns, Frakturen und Embolien schneller zu erkennen oder warnen vor Komplikationen wie Delir oder Nierenversagen. Künstliche Intelligenz unterstützt uns auch dabei, Patientendaten direkt aus dem Rettungswagen in das Klinik-Informationssystem (KIS) zu übertragen, sodass die Krankenakte bei Ankunft bereits angelegt ist. Eine von uns entwickelte, interoperable Datenplattform ermöglicht zudem den automatisierten Datenaustausch von inzwischen 15 Klinikträgern in der Region Berlin-Brandenburg. Damit entstehen telemedizinische Versorgungskonzepte weit über Berlin hinaus. ![prof.dr.dr.jurgendebus_online.jpg](https://cwbucket.fra1.digitaloceanspaces.com/prof_dr_dr_jurgendebus_online_d7f732ea04.jpg) ``` Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Jürgen Debus, Vorstandsvorsitzender und Leitender Ärztlicher Direktor des Universitätsklinikums Heidelberg ``` **Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Jürgen Debus, Vorstandsvorsitzender und Leitender Ärztlicher Direktor Universitätsklinikum Heidelberg** Smarte Technologien und eine optimale Datennutzung verbessern den Klinikalltag und die Patientenversorgung. Das zukünftige Herzzentrum am Universitätsklinikum Heidelberg planen wir als Smart Hospital: Dort werden z. B. OPs gefilmt und das KI-System warnt automatisch bei Veränderungen des Patienten oder ungewöhnlichen Vorgängen. So werden Risiken früh erkannt und die Sicherheit erhöht. Dank verknüpfter Patientendaten und digitalem Terminmanagement läuft auch die Vorbereitung auf Eingriffe effizienter, da benötigte Ressourcen wie CT-Termine frühzeitig ersichtlich sind. Ein smartes Entlassmanagement stellt relevante Dokumente für den Patienten automatisch bereit und koordiniert Sozialdienst, Pflege und Medikamentenbedarf, sodass der Übergang in die weitere Versorgung optimal organisiert ist. In all diesen Algorithmen und Systemen steckt das gebündelte Wissen von Ärztinnen und Ärzten, Pflegepersonal und Forschenden. Die meisten KI-Anwendungen basieren auf maschinellen Lernmodellen, die mit Patientendaten trainiert werden, um Muster zu erkennen. Je größer der verfügbare Datensatz, desto exakter fallen Diagnosen und Prognosen aus – ein wichtiger Faktor angesichts des steigenden Versorgungsbedarfs bei gleichzeitig sinkender Zahl an Fachkräften. Smarte Technologien helfen, diese Lücke zu schließen und die Versorgung weiterhin auf hohem Niveau zu gewährleisten. Damit es nicht bei Insellösungen bleibt, treiben wir die übergreifende Datenintegration voran, ähnlich wie sie in der internationalen Forschung etabliert ist.

30. Jun 2025

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Wirtschaft

Krise als Chance: Wie KI und strategisches Supply Chain Management Europas Rolle stärken können – Ein Beitrag von Dr. Lars Kleeberg, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands für Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik e.V. (BME)

Globale Lieferketten stehen unter massivem Druck. Handelskonflikte, Protektionismus und geopolitische Krisen haben die Weltwirtschaft grundlegend verändert – mit direkten Auswirkungen auf Produktion, Versorgungssicherheit und Wettbewerbsfähigkeit. Seit Trumps Zoll-Eskalationen ist klar: Lieferketten sind keine stille Infrastruktur im Hintergrund mehr – sie sind kritische Erfolgsfaktoren für Unternehmen und Volkswirtschaften. Just-in-time ist out, just-in-case-Konzepte sind jetzt notwendig. Es ist höchste Zeit, dass Deutschland und Europa ihre Abhängigkeiten hinterfragen und ihre Versorgungssicherheit neu denken. Politik und Wirtschaft sind gleichermaßen gefordert, die Schlüsselrolle von Einkauf, Logistik und Supply Chain Management strategisch anzuerkennen und aktiv zu stärken. Gerade Deutschland als Exportnation ist in besonderem Maße auf stabile, resiliente Lieferketten angewiesen. Steigende regulatorische Anforderungen wie CSRD, CSDDD, EUDR oder REACH verschärfen den Druck auf die Unternehmen zusätzlich: Einkauf, Supply Chain Management und Logistik müssen heute ökologische, soziale und wirtschaftliche Ziele gleichzeitig erfüllen – ein Spagat, der die Komplexität erheblich erhöht und insbesondere den Mittelstand herausfordert. In diesem Spannungsfeld wächst die Bedeutung von Künstlicher Intelligenz. Mithilfe von KI können Supply Chain-Manager Transparenz entlang globaler Lieferketten herstellen, Risiken frühzeitig erkennen, Compliance-Anforderungen effizienter erfüllen und Prozesse automatisieren. Doch trotz des enormen Potenzials sind KI- Anwendungen heute oft noch Pilotprojekte – gehemmt durch mangelnde Integration, rechtliche Unsicherheiten und zögerliche Entscheidungen in der Unternehmensführung. Es braucht deshalb eine klare Haltung in den Vorstandsetagen: Der strategische Einsatz von KI muss Chefsache werden. Nur, wer Technologie gezielt integriert und daraus neue Fähigkeiten entwickelt, sichert sich langfristige Wettbewerbsvorteile. Gleichzeitig müssen die politischen Entscheidungsträger in Berlin und Brüssel an einem Strang ziehen. Angesichts geopolitischer Spannungen, zunehmenden Protektionismus und wirtschaftlicher Entkopplung muss die EU mit einer Stimme zentrale Handelsabkommen und strategische Partnerschaften vorantreiben. Die neue Bundesregierung muss zügig die wirtschaftliche Resilienz unserer Unternehmen durch ein neues Außenwirtschaftsgesetz stärken und die versprochene Expertenkommission zur Risikoanalyse globaler Abhängigkeiten einsetzen. Europa kann gestärkt aus dieser Krise hervorgehen, wenn es gelingt, strategische Rohstoffe zu sichern, Handelsbeziehungen auf Augenhöhe auszubauen und ein level playing field – insbesondere im Verhältnis zu China – durchzusetzen. Ein strategischer Wandel ist unumgänglich. Insbesondere für Deutschland und Europa gilt: Versorgungssicherheit, Innovationsfähigkeit und wirtschaftliche Souveränität sind untrennbar mit robusten Lieferketten verbunden. Supply Chain Management, Einkauf und Logistik sind längst keine operativen Randfunktionen mehr – sie sind zentrale Erfolgsfaktoren in einer zunehmend fragmentierten Weltwirtschaft. Die internationale Wettbewerbsfähigkeit Europas entscheidet sich nicht in der nächsten Krise – sie entscheidet sich jetzt. >Angesichts geopolitischer Spannungen, zunehmenden Protektionismus und wirtschaftlicher Entkopplung muss die EU mit einer Stimme zentrale Handelsabkommen und strategische Partnerschaften vorantreiben.