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27. Jun 2024

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Wirtschaft

„Der Mensch muss im Mittelpunkt stehen“ – Jochen Kaiser

Journalist: Armin Fuhrer

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Foto: Presse

Die digitale Transformation steht im Gesundheitswesen noch am Anfang, erklärt Experte und Finalist des Wettbewerbs CIO des Jahres 2023, Jochen Kaiser.

Herr Kaiser, der Fachkräftemangel ist schon heute ein sehr großes Problem für das Gesundheitswesen, besonders für die Kliniken. Aber rollt die eigentliche Lawine nicht gerade erst auf uns zu?

Wenn man bedenkt, dass uns insgesamt bis zum Jahr 2035 rund 15 Prozent weniger Personal zur Verfügung steht, kann man erkennen, dass wir vor einer gesamtgesellschaftlichen Herausforderung stehen. Nehmen Sie nur mal als Beispiel ein Krankenhaus mit 5.000 Beschäftigten – es wird nach dieser Prognose 750 davon verlieren. Es muss aber zugleich aufgrund der alternden Gesellschaft mehr Patienten versorgen. Und was im Gesundheitsbereich oft vergessen wird: Diese Entwicklung betrifft auch die Verwaltung und selbst unsere Dienstleister.

Was kann man dagegen tun? Welche Dämme kann man errichten?

Zunächst einmal müssen die Gehälter und die Jobs mehr an die Bedürfnisse der Beschäftigen angepasst werden, um sie attraktiver zu machen. Aber das reicht nicht aus. Die Beschäftigten müssen von den stetig wachsenden Dokumentationspflichten entlastet werden. Und sie müssen dringend wieder mehr Zeit für die Patienten haben, denn um sie geht es doch letztlich im Gesundheitswesen. Vieles davon kann durch Digitalisierung und den Einsatz Künstlicher Intelligenz erreicht werden. Wenn zum Beispiel die Beschäftigten die Dokumentation direkt und sicher in ein System schreiben können, dann spart das viel Zeit.

Wo stehen wir derzeit in Deutschland bei der Digitalisierung?

Man kann den Stand der Digitalisierung anhand eines Digitalradars ablesen. Legt man den in den USA aufgestellten Maßstab mit sieben Stufen an, kommen rund 70 Prozent der deutschen Krankenhäuser auf den Wert 0 und kein einziges auf den obersten Wert. Es gibt also noch viel zu tun bei der digitalen Transformation.

Was verstehen Sie unter dem Begriff „digitale Transformation“?

Das Wichtigste ist, dass die Beschäftigten nicht das Gefühl bekommen, einfach digitalisiert zu werden. Sie müssen einbezogen, ihre Bedürfnisse müssen berücksichtigt werden. Niemand darf bei dieser Entwicklung zurückgelassen werden. Denn am Ende steht immer der Mensch im Mittelpunkt. Das erfordert Kompetenz und intelligente Leader, die das verstehen und denen die Beschäftigten vertrauen.

Immerhin hat die Bundesregierung mit den Ländern das Krankenhauszukunftsgesetz erlassen. Ist es sinnvoll?

Grundsätzlich ja, denn immerhin stehen damit jetzt 4,3 Milliarden Euro für die Digitalisierung der Krankenhäuser zur Verfügung. Aber jetzt haben wir ein anderes Problem: Weil nun alle Krankenhäuser gleichzeitig loslegen wollen, sind die Hersteller und Dienstleister völlig überlastet und es entstehen lange Wartezeiten.

Was steht am Anfang der digitalen Transformation einer Klinik oder eines Klinikverbundes?

Sie muss unbedingt von der Leitung gewollt und gefördert werden. Aber es ist das mittlere Management, das sie umsetzt. Es muss ein Chief Digital Officer, kurz CDO, eingeführt werden, der die Bemühungen im Unternehmen zusammenführt und dafür sorgt, dass die einzelnen Einrichtungen effektiv diese digitale Transformation durchführen. Und ganz am Anfang müssen für die Klinik oder den Klinikverbund Standards beschlossen werden, mit denen alle Stellen arbeiten.

Sie haben in ihrer Klinik ein zentrales Projektmanagement-Office eingeführt. Was ist dessen Aufgabe?

Es ist eine zentrale Stelle, die – das ist wichtig – interdisziplinär zusammengesetzt ist. Sie muss eine Architektur entwerfen, mit der die zunächst scheinbar unlösbare Aufgabe in lösbare Arbeitspakete umgewandelt wird. Sie braucht die Kompetenz, um solche riesigen Projekte zu strukturieren. Ich halte es für sehr wichtig, dass man nicht einen Projektleiter hat, sondern mit Projektmachern arbeitet.

Es geht aber gar nicht nur um technologische Schritte, sondern – wir sind in Deutschland – auch um regulatorische. Wäre an dieser Stelle manchmal weniger mehr?

Ja, ganz bestimmt. Wir haben eine zu starke Regulierung, die viele Krankenhäuser gar nicht umsetzen können. Ein Beispiel aus meiner eigenen Arbeit: Ich musste 1.400 Seiten Anträge ausdrucken und dann wieder einscannen, um sie an die Behörden schicken zu können. Das ist Irrsinn.

Als Fazit: Wie sollte das Krankenhaus in zehn Jahren aussehen?

Der Mensch wird zum Supervisor der KI, die ihm viel alltägliche Arbeit annimmt, sodass er für die eigentliche Arbeit mit den Patienten mehr Zeit haben wird.

Interessanter Fakt:

Jochen Kaiser arbeitet seit über 20 Jahren voller Leidenschaft im Gesundheitswesen in den Bereichen IT-Sicherheit, IT und Digitalisierung. 2023 gehörte er zu den Finalisten des Wettbewerbs: CIO des Jahres im öffentlichen Bereich. Entspannung findet er im Kreis seiner Familie, aber auch Fahrradfahren und viel Kultur helfen ihm dabei.

1. Okt 2025

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Wirtschaft

Die nächsten 24 Monate entscheiden: Deutschland im Transformationsfenster – Ein Beitrag von Prof. Dr. Henning Wilts

An den Begriff „Kreislaufwirtschaft“ haben die meisten Unternehmen lange Zeit einen gedanklichen Haken gemacht: Die eigenen Abfälle werden fachmännisch entsorgt, man hatte seine Hausaufgaben gemacht. Mit der Zeitenwende als Reaktion auf den russischen Angriffskrieg und seitdem völlig veränderten geopolitischen Rahmenbedingungen hat sich jedoch auch das Verständnis von Kreislaufwirtschaft fundamental verändert: Von „Nice-to-have“ zur Schlüsselherausforderung eines auch mittel- und langfristig wettbewerbsfähigen Wirtschaftsstandorts, der sich schlagartig bewusst wurde, wie abhängig man doch ist von Rohstoffimporten – und der Bereitschaft vieler Länder, den Zugang zu diesen als strategisches Druckmittel zu nutzen. Dementsprechend gewinnen auch zirkuläre Geschäftsmodelle zunehmend an Bedeutung, die von Anfang an mitdenken, wie die Produkte – und damit auch die darin enthaltenen Rohstoffe – am Ende der Nutzungsphase wieder zurückkommen. Immer mehr Unternehmen experimentieren daher mit Pfandsystemen oder Leasingkonzepten – getrieben von der Idee, damit die Resilienz ihrer Rohstoffversorgung zu verbessern. Ein weiterer wichtiger Treiber sind die gesetzlichen Verpflichtungen der Unternehmen, ihre Prozesse klimaneutral aufzustellen – hier ist der Einsatz recycelter Rohstoffe natürlich nicht zum Nulltarif zu haben; auf lange Sicht sind die dafür notwendigen Technologien aber schon deutlich ausgereifter und die Kosten pro eingesparter Tonne CO2 bei entsprechender Skalierung niedriger. Aber obwohl das Thema Kreislaufwirtschaft damit immer stärker auch in den Strategieabteilungen der Unternehmen ankommt, faktisch fehlt es an einer selbsttragenden Innovationsdynamik. Noch immer beträgt das Verhältnis von recycelten Rohstoffen und Gesamtrohstoffbedarf gerade mal 13 Prozent; rechnerisch sind also 87 Prozent aller Rohstoffe noch immer Primärmaterial. Die dafür von vielen genannten Gründe sind einerseits rational: In wirtschaftlich schwierigen Zeiten fehlt es an finanziellen Ressourcen, um ausreichend in die Transformation zur zirkulären Wertschöpfung zu investieren. Gleichzeitig ist den meisten sehr bewusst, dass Deutschland damit droht, seine eigentliche hervorragende Ausgangsbedingungen in diesem zentralen Zukunftsmarkt zu verspielen. Die Bundesregierung hat vor diesem Hintergrund im Dezember 2024 ihre „Nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie“ (NKWS) verabschiedet. Erklärtes Ziel ist es, die Transformation zur Kreislaufwirtschaft zu beschleunigen. Dafür benennt die Strategie ambitionierte Ziele, beispielsweise die faktische Halbierung des Bedarfs an primären Rohstoffen; im Kern aber vor allem über 130 konkrete Maßnahmen. Diese gehen weit über Abfallwirtschaft hinaus, sondern betreffen z. B. die fokussierte Digitalisierung im Recyclingsektor, innovative Finanzierungsmechanismen oder auch Mindestrezyklatquoten, um so einen sicheren Absatzmarkt für hochwertige Sekundärrohstoffe zu schaffen. Aber natürlich ist Papier geduldig und die eigentliche Herausforderung liegt in der jetzt anstehenden Umsetzung. Ein zentraler Schlüssel wird dabei sein, Allianzen zu schaffen – zwischen all den Akteuren, die in einer Kreislaufwirtschaft profitieren wollen von den erhofften positiven Effekten für Klimaschutz, einheimische Beschäftigung, Aufträgen für den Maschinenbau usw. Die in der NKWS angekündigte Plattform muss es daher schaffen, genau solche Allianzen zu bilden und sich nicht in endlosen Debatten über die 100 Prozent perfekte Lösung zu verlieren – denn die internationale Konkurrenz schläft nicht und es ist überhaupt nicht gegeben, dass die erhofften Vorteile tatsächlich am Standort Deutschland realisiert werden. Die nächsten 24 Monate werden daher maßgeblich darüber entscheiden, ob Deutschland am Ende zu den Gewinnern oder den Verlierern der zirkulären Transformation gehören wird.

1. Okt 2025

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Wirtschaft

Rohstoffkreisläufe für Umreifungsbänder schließen – mit Jürgen Scheiblehner, Geschäftsführer von Strapping Solutions bei Teufelberger, weltweit größter, systemunabhängiger Hersteller von High-Performance-Umreifungsbändern

![Scheiblehner_Jürgen_bettercollect2 ONLINE.jpg](https://cwbucket.fra1.digitaloceanspaces.com/Scheiblehner_Juergen_bettercollect2_ONLINE_a360744382.jpg) ```Jürgen Scheiblehner, Geschäftsführer von Strapping Solutions bei Teufelberger, weltweit größter, systemunabhängiger Hersteller von High-Performance-Umreifungsbändern.``` Mit better.collect haben wir den Kreis zwischen Sammlung, Aufbereitung und Wiederverwertung von Umreifungsbänder geschlossen. Es ist ein bereits funktionierender Kreislauf – und eine Einladung an die gesamte Industrie, sich dieser Win-Win-Situation anzuschließen. Unsere Erfahrung der letzten fünf Jahre zeigt klar: Die eigene Abholung und Sammlung bei einzelnen Unternehmen ist weder wirtschaftlich noch ökologisch sinnvoll. Nur durch die Nutzung bestehender Entsorger-Logistik, die für die anderen Materialströme ohnehin regelmäßig zahlreiche Firmen anfahren, kann der Rohstoffkreislauf für Umreifungsbänder effizient geschlossen werden. Unser Ziel ist es, diesen Closed Loop gemeinsam zu etablieren und damit einen Standard für verantwortungsvollen Materialeinsatz zu setzen. Mein Appell an die gesamte Branche, einschließlich Wettbewerbender: Nutzen wir diese Synergien. Allein ist dieser Weg weder kosteneffizient noch nachhaltig darstellbar. Gemeinsam aber wird er zu einer starken Lösung für Unternehmen und Umwelt. >Nur durch die Nutzung bestehender Entsorger-Logistik, die für die anderen Materialströme ohnehin regelmäßig zahlreiche Firmen anfahren, kann der Rohstoffkreislauf für Umreifungsbänder effizient geschlossen werden.