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19. Jun 2024

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Wirtschaft

„Der Pauschalvorwurf nervt“ - mit Frank Huster

Journalist: Kerstin Kloss

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Foto: Presse DSLV

Frank Huster, Hauptgeschäftsführer Bundesverband Spedition und Logistik (DSLV), zur Verkehrswende durch Güterverlagerung und alternative Antriebe.

Wie sehr nervt es Sie, dass der Gütertransport als Umweltverschmutzer gilt?

Ohne Zweifel belastet auch der Gütertransport wie viele andere Industriezweige die Umwelt. Weil sie den höchsten Mengenanteil haben, führen der Straßengüterverkehr und die Seeschifffahrt das Ranking der CO2-Emittenten absolut an. Und bezogen auf die transportierte Menge hat die Luftfracht relativ die höchste CO2-Emission.

Daraus entsteht ein Pauschalvorwurf gegen den Logistik- und Verkehrssektor, er würde seine Umweltprobleme nicht in den Griff bekommen. Das nervt tatsächlich, denn dafür gibt es eine Erklärung.

Welche?

Industrie und Bevölkerung, also wir alle, wollen und müssen mit der breiten Palette von Rostoffen, Waren, Produkten und Hilfsgütern in der Fläche 24/7 versorgt werden. Perspektivisch wird die Güterverkehrsnachfrage deshalb sogar steigen. Damit der CO2-Ausstoß gleichzeitig sinkt, braucht es alternative Antriebstechnologien und emissionsärmere Verkehrssysteme. Doch für E-Lkw fehlen die Lade- und Stromnetze, und die Schieneninfrastruktur ist so marode, dass sie absehbar noch nicht einmal Teile des Güterverkehrswachstums wird auffangen können. Bis die politisch angekündigte Verkehrswende Realität wird, werden leider noch Jahre vergehen.

Wie weit ist die Technologiewende Lkw-Transport?

Für eine Antriebswende sind drei Kriterien entscheidend: es muss ein echter Umweltvorteil entstehen, es braucht eine länderübergreifende Lade-Infrastruktur und die Gesamtbetriebskosten müssen für den Flottenbetreiber passen. Für zwei, wenn nicht drei dieser Kriterien gibt es noch kein grünes Licht. Weltweit werden deshalb 99,99 Prozent der Lkw immer noch mit Verbrennermotoren betrieben. Bei den wenigen elektrischen Lkw handelt es sich ausnahmslos um Pilotprojekte, mit denen die Unternehmen prüfen, wie sie in die logistischen Prozesse integrierbar sind.

Wo hakt es?

Vor allem an falschen politischen Entscheidungen, mit denen Abgaben erhöht, aber zu wenig Anreize geschaffen wurden – zum Beispiel für den Einsatz CO2-neutraler Kraftstoffe. Damit könnten sofort mehr als 80 Prozent CO2 eingespart werden. Diese Alternativen wurden in Brüssel durch das faktische Lkw-Verbrennerverbot ab 2040 bewusst blockiert, anstatt sie steuerlich zu fördern oder gegen die Lkw-Maut anzurechnen. Aber auch die E-Mobilität im Lkw-Sektor kommt nicht wirklich voran. Betreiber von Logistikanlagen schlagen endlose bürokratische Schlachten bei der Beantragung von Stromtrassen und Lkw-Ladesäulen. Heute zahlt der Straßengüterverkehr bereits mehr als 240 Euro pro Tonne CO2, die zum Großteil in das Großprojekt Schienensanierung gesteckt werden. Bei der Verkehrswende fordert Politik vor allem, aber sie fördert nicht!

Welche alternativen Antriebe halten Sie für zukunftsträchtig?

Sicher nimmt der E-Lkw noch Fahrt auf. Es wird eine längere Zeit aber wohl auf einen Dreiklang aus batterieelektrischem, wasserstoffbetriebenem und klassischem Verbrennermotor hinauslaufen. Wichtig ist zu verstehen, dass in der Fahrzeugindustrie und in der Energiewirtschaft derzeit Märkte neu verteilt werden – und zwar weltweit. Hier wird politisch mit harten Bandagen gekämpft. Am Ende muss der Logistiksektor aber mit einer bestimmten Technologie arbeiten können, um sein Geld zu verdienen.

Welche Handlungsoptionen hat der Logistiksektor bei der Verkehrswende?

Logistik ist ein Synonym für Effizienz. Speditionen arbeiten täglich an ihren Prozessen, indem sie Sendungen bündeln, Güter dezentral zwischenlagern, die Routenplanungen mit KI optimieren und den besten Verkehrsträger – Lkw, Schiff, Flugzeug oder Eisenbahn – auswählen. Das ist die originäre Verantwortung der Speditionshäuser, und sie trägt zur Verkehrsvermeidung und zur Begrenzung von CO2-Emisionen bei. Zur technologischen Unterstützung müssen andere Sektoren liefern.

Interessanter Fakt:

Als Schüler fand Frank Huster einen Ferienjob auf einem Binnenschiff, der später in eine Ausbildung zum Speditionskaufmann mündete. Seit über drei Jahrzehnten arbeitet der Volkswirt für Interessenvertretungen der Logistikbranche. Privat interessiert ihn expressionistische Kunst; er malt auch selbst.

4. Jul 2025

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Wirtschaft

Chancen für die Zukunft der Versorgung – mit Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Jürgen Debus & Dr. Johannes Danckert

![Dr_Johannes_Danckert_Copyright_Kevin_Kuka_Vivantes_online.jpg](https://cwbucket.fra1.digitaloceanspaces.com/Dr_Johannes_Danckert_Copyright_Kevin_Kuka_Vivantes_online_6e3b6d01f5.jpg) ``` Dr. Johannes Danckert, Vorsitzender der Geschäftsführung, Vivantes – Netzwerk für Gesundheit GmbH ``` **Dr. Johannes Danckert, Vorsitzender der Geschäftsführung, Vivantes – Netzwerk für Gesundheit GmbH** Digitalisierung kann die Patientenversorgung schneller, besser und sicherer machen. Immer öfter werden dabei auch die traditionellen Grenzen zwischen ambulanten und stationären Bereichen sowie einzelnen Versorgungseinrichtungen abgebaut. So kann die ‚Patient Journey‘, also der gesamte Behandlungsweg eines Patienten von Diagnose bis Nachsorge, zu einer vernetzten Gesundheitsregion verbunden werden. Trotz deutlicher digitaler Fortschritte haben deutsche Krankenhäuser allerdings weiterhin erheblichen Entwicklungsbedarf, bedingt vor allem durch kleinteilige Strukturen und unzureichende Finanzierung. Denn die Implementierung innovativer Lösungen setzt bereits einen hohen Digitalisierungsgrad voraus. Bei Vivantes wurden zentrale Prozesse wie die Patientenkurve, Medikation, Pflegeprozesssteuerung sowie Anforderungs- und Befundungsprozesse digitalisiert. Auch große Teile der Medizintechnik sind eingebunden. KI-gestützte Systeme helfen uns, Frakturen und Embolien schneller zu erkennen oder warnen vor Komplikationen wie Delir oder Nierenversagen. Künstliche Intelligenz unterstützt uns auch dabei, Patientendaten direkt aus dem Rettungswagen in das Klinik-Informationssystem (KIS) zu übertragen, sodass die Krankenakte bei Ankunft bereits angelegt ist. Eine von uns entwickelte, interoperable Datenplattform ermöglicht zudem den automatisierten Datenaustausch von inzwischen 15 Klinikträgern in der Region Berlin-Brandenburg. Damit entstehen telemedizinische Versorgungskonzepte weit über Berlin hinaus. ![prof.dr.dr.jurgendebus_online.jpg](https://cwbucket.fra1.digitaloceanspaces.com/prof_dr_dr_jurgendebus_online_d7f732ea04.jpg) ``` Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Jürgen Debus, Vorstandsvorsitzender und Leitender Ärztlicher Direktor des Universitätsklinikums Heidelberg ``` **Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Jürgen Debus, Vorstandsvorsitzender und Leitender Ärztlicher Direktor Universitätsklinikum Heidelberg** Smarte Technologien und eine optimale Datennutzung verbessern den Klinikalltag und die Patientenversorgung. Das zukünftige Herzzentrum am Universitätsklinikum Heidelberg planen wir als Smart Hospital: Dort werden z. B. OPs gefilmt und das KI-System warnt automatisch bei Veränderungen des Patienten oder ungewöhnlichen Vorgängen. So werden Risiken früh erkannt und die Sicherheit erhöht. Dank verknüpfter Patientendaten und digitalem Terminmanagement läuft auch die Vorbereitung auf Eingriffe effizienter, da benötigte Ressourcen wie CT-Termine frühzeitig ersichtlich sind. Ein smartes Entlassmanagement stellt relevante Dokumente für den Patienten automatisch bereit und koordiniert Sozialdienst, Pflege und Medikamentenbedarf, sodass der Übergang in die weitere Versorgung optimal organisiert ist. In all diesen Algorithmen und Systemen steckt das gebündelte Wissen von Ärztinnen und Ärzten, Pflegepersonal und Forschenden. Die meisten KI-Anwendungen basieren auf maschinellen Lernmodellen, die mit Patientendaten trainiert werden, um Muster zu erkennen. Je größer der verfügbare Datensatz, desto exakter fallen Diagnosen und Prognosen aus – ein wichtiger Faktor angesichts des steigenden Versorgungsbedarfs bei gleichzeitig sinkender Zahl an Fachkräften. Smarte Technologien helfen, diese Lücke zu schließen und die Versorgung weiterhin auf hohem Niveau zu gewährleisten. Damit es nicht bei Insellösungen bleibt, treiben wir die übergreifende Datenintegration voran, ähnlich wie sie in der internationalen Forschung etabliert ist.

30. Jun 2025

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Wirtschaft

Krise als Chance: Wie KI und strategisches Supply Chain Management Europas Rolle stärken können – Ein Beitrag von Dr. Lars Kleeberg, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands für Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik e.V. (BME)

Globale Lieferketten stehen unter massivem Druck. Handelskonflikte, Protektionismus und geopolitische Krisen haben die Weltwirtschaft grundlegend verändert – mit direkten Auswirkungen auf Produktion, Versorgungssicherheit und Wettbewerbsfähigkeit. Seit Trumps Zoll-Eskalationen ist klar: Lieferketten sind keine stille Infrastruktur im Hintergrund mehr – sie sind kritische Erfolgsfaktoren für Unternehmen und Volkswirtschaften. Just-in-time ist out, just-in-case-Konzepte sind jetzt notwendig. Es ist höchste Zeit, dass Deutschland und Europa ihre Abhängigkeiten hinterfragen und ihre Versorgungssicherheit neu denken. Politik und Wirtschaft sind gleichermaßen gefordert, die Schlüsselrolle von Einkauf, Logistik und Supply Chain Management strategisch anzuerkennen und aktiv zu stärken. Gerade Deutschland als Exportnation ist in besonderem Maße auf stabile, resiliente Lieferketten angewiesen. Steigende regulatorische Anforderungen wie CSRD, CSDDD, EUDR oder REACH verschärfen den Druck auf die Unternehmen zusätzlich: Einkauf, Supply Chain Management und Logistik müssen heute ökologische, soziale und wirtschaftliche Ziele gleichzeitig erfüllen – ein Spagat, der die Komplexität erheblich erhöht und insbesondere den Mittelstand herausfordert. In diesem Spannungsfeld wächst die Bedeutung von Künstlicher Intelligenz. Mithilfe von KI können Supply Chain-Manager Transparenz entlang globaler Lieferketten herstellen, Risiken frühzeitig erkennen, Compliance-Anforderungen effizienter erfüllen und Prozesse automatisieren. Doch trotz des enormen Potenzials sind KI- Anwendungen heute oft noch Pilotprojekte – gehemmt durch mangelnde Integration, rechtliche Unsicherheiten und zögerliche Entscheidungen in der Unternehmensführung. Es braucht deshalb eine klare Haltung in den Vorstandsetagen: Der strategische Einsatz von KI muss Chefsache werden. Nur, wer Technologie gezielt integriert und daraus neue Fähigkeiten entwickelt, sichert sich langfristige Wettbewerbsvorteile. Gleichzeitig müssen die politischen Entscheidungsträger in Berlin und Brüssel an einem Strang ziehen. Angesichts geopolitischer Spannungen, zunehmenden Protektionismus und wirtschaftlicher Entkopplung muss die EU mit einer Stimme zentrale Handelsabkommen und strategische Partnerschaften vorantreiben. Die neue Bundesregierung muss zügig die wirtschaftliche Resilienz unserer Unternehmen durch ein neues Außenwirtschaftsgesetz stärken und die versprochene Expertenkommission zur Risikoanalyse globaler Abhängigkeiten einsetzen. Europa kann gestärkt aus dieser Krise hervorgehen, wenn es gelingt, strategische Rohstoffe zu sichern, Handelsbeziehungen auf Augenhöhe auszubauen und ein level playing field – insbesondere im Verhältnis zu China – durchzusetzen. Ein strategischer Wandel ist unumgänglich. Insbesondere für Deutschland und Europa gilt: Versorgungssicherheit, Innovationsfähigkeit und wirtschaftliche Souveränität sind untrennbar mit robusten Lieferketten verbunden. Supply Chain Management, Einkauf und Logistik sind längst keine operativen Randfunktionen mehr – sie sind zentrale Erfolgsfaktoren in einer zunehmend fragmentierten Weltwirtschaft. Die internationale Wettbewerbsfähigkeit Europas entscheidet sich nicht in der nächsten Krise – sie entscheidet sich jetzt. >Angesichts geopolitischer Spannungen, zunehmenden Protektionismus und wirtschaftlicher Entkopplung muss die EU mit einer Stimme zentrale Handelsabkommen und strategische Partnerschaften vorantreiben.