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16. Dez 2022

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Wirtschaft

Die Ernährungswende ist nötig und machbar

Journalist: Armin Fuhrer

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Foto: Pascal Debrunner / unsplash

Hunger, ungesunde Ernährung und Überfluss, Klima und Krieg: Es gibt viele Gründe, um einen Wandel unserer Essgewohnheiten herbeizuführen.

Die Zahlen sind erschreckend: Weltweit litten im Jahr 2021 rund 768 Millionen Menschen an Hunger. Damit ist diese, vor allem bedingt durch die Pandemie, um 150 Millionen auf 9,8 Prozent der Weltbevölkerung gewachsen. Und der russische Angriff auf die Ukraine befeuert weitere Verschlechterungen, denn Russland und die Ukraine gehören zu den weltweit wichtigsten Produzenten von Getreide und Mais.

Und damit nicht genug, denn neben den an Hunger leidenden Menschen gibt es noch diejenigen, die keinen sicheren und zuverlässigen Zugang zu angemessener und ausreichender Ernährung haben. So waren 2021 insgesamt rund 2,3 Milliarden Menschen bzw. fast 30 Prozent der Weltbevölkerung von Problemen mit der Versorgung von Lebensmitteln betroffen. Vor diesem Hintergrund erscheint es absurd, dass andererseits, in den reichen Industriestaaten, die Fehlernährung zunimmt. Übergewicht und Adipositas haben sich im Zeitraum von 2000 bis 2021 prozentual auf 13,8 Prozent fast verdoppelt. Derzeit leiden allein rund 675 Millionen Menschen an den Erscheinungen falscher Ernährung. Zählt man alles zusammen, so kommt man zu dem Ergebnis, dass drei der acht Milliarden auf der Erde lebenden Menschen nicht angemessen ernährt sind.

Es liegt also auf der Hand, dass das derzeitige System nicht in der Lage ist, die Probleme der Ernährung zu lösen. Die Landwirtschaft, die hauptsächlich auf der Produktion von billigem Fleisch ausgerichtet ist, befindet sich in einem Teufelskreis, der sich nicht nur fatal auf die Menschen auswirkt, die von ihr leben, sondern auch Auswirkungen auf die gesamte Menschheit hat. Denn einerseits wird die Landwirtschaft von den Auswirkungen des Klimawandels wie Stürme, Überschwemmungen und Dürren zunehmend getroffen, andererseits aber ist sie an führender Stelle selbst für diese Auswirkungen verantwortlich. Vor allem die Produktion von Fleisch belastet das Klima stark. Gut 30 Prozent der menschlichen Emissionen an Klimagasen werden der Ernährung zugeordnet und der größte Teil davon fällt auf die Produktion tierischer Lebensmittel. Beim extrem schädlichen Methangas liegt der Anteil der Herstellung tierischer Lebensmittel sogar bei mehr als 50 Prozent.

Für viele Experten und Klimaschützer ist daher klar: Eine Ernährungswende muss kommen, und zwar je schneller, umso besser. Denn damit könnten ihrer Auffassung nach die Probleme von Unter- und Fehlernährung beseitigt und der Kampf gegen den Klimawandel massiv unterstützt werden. Ebenso ist klar, dass das Problem auf vielen Ebenen angepackt werden muss und eine Reihe von Akteuren gefragt sind: Politik, Wirtschaft und nicht zuletzt die Konsumenten und Konsumentinnen.

Das hat auch die Bundesregierung erkannt. Die Ampel plant daher eine Ernährungsstrategie, deren Ziel es laut Bundesagrarministerium ist, „eine gesundheitsfördernde und nachhaltige Ernährungsweise für Verbraucherinnen und Verbraucher einfacher zu machen“. Denn, so betont Minister Cem Özdemir: „Alle sollten die Möglichkeit haben, sich gut zu ernähren.“ Darüber sind sich auch alle Akteure einig, die Frage ist aber das Wie.

Vorschläge und Forderungen kommen von vielen Seiten. So stellten beispielsweise, initiiert vom World Wide Fund for Nature Deutschland (WWF), 15 Organisationen wie der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte, der Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft e.V.  (BÖLW) und die Deutsche Adipositas Gesellschaft e.V. (DAG) einen Forderungskatalog mit zehn Punkten auf. Dazu gehören unter anderem eine „Überprüfung der Lebensmittelbesteuerung auf ihre Wirkung in Bezug auf eine sozial gerechte, gesundheitsfördernde, umweltverträgliche und dem Tierwohl zuträgliche Ernährung“ und eine sozial gerechte Ernährungspolitik, die es allen Menschen ermöglicht, sich gesundheitsfördernd und nachhaltig zu ernähren. Die Ernährungskompetenz der Bevölkerung soll gesteigert und öffentliche Kantinen Vorreiter für eine nachhaltige und gesunde Ernährung werden. Schließlich soll der nachhaltige Anbau von mehr Obst und Gemüse gefördert werden.

Zu den Maßnahmen, die relativ rasch durchgeführt werden könnten, gehört ebenso eine von manchen Organisationen und Experten geforderte Änderung der Besteuerung, um über die Kosten für Lebensmittel den Konsum auf nachhaltige und gesunde Lebensmittel zu verlagern. Während die Mehrwertsteuer für gesundes Obst und Gemüse abgeschafft würde, sollte im Gegenzug Fleisch höher als bisher besteuert werden. Die Experten sind sich allerdings nicht einig, ob diese Maßnahme wirklich zu einem Umdenken der Konsumentinnen und Konsumenten führen würde. Ob sie zur Ernährungs-Strategie der Bundesregierung zählt, die Ende 2023 vorgelegt werden soll, bleibt abzuwarten.

Aber eins ist klar: Ohne das Umdenken der Verbraucherinnen und Verbraucher wird es nicht gehen. Dazu gehört auch die Erkenntnis, dass nachhaltig produzierte Lebensmittel teurer sind als billig hergestellte herkömmliche.

4. Jul 2025

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Wirtschaft

Chancen für die Zukunft der Versorgung – mit Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Jürgen Debus & Dr. Johannes Danckert

![Dr_Johannes_Danckert_Copyright_Kevin_Kuka_Vivantes_online.jpg](https://cwbucket.fra1.digitaloceanspaces.com/Dr_Johannes_Danckert_Copyright_Kevin_Kuka_Vivantes_online_6e3b6d01f5.jpg) ``` Dr. Johannes Danckert, Vorsitzender der Geschäftsführung, Vivantes – Netzwerk für Gesundheit GmbH ``` **Dr. Johannes Danckert, Vorsitzender der Geschäftsführung, Vivantes – Netzwerk für Gesundheit GmbH** Digitalisierung kann die Patientenversorgung schneller, besser und sicherer machen. Immer öfter werden dabei auch die traditionellen Grenzen zwischen ambulanten und stationären Bereichen sowie einzelnen Versorgungseinrichtungen abgebaut. So kann die ‚Patient Journey‘, also der gesamte Behandlungsweg eines Patienten von Diagnose bis Nachsorge, zu einer vernetzten Gesundheitsregion verbunden werden. Trotz deutlicher digitaler Fortschritte haben deutsche Krankenhäuser allerdings weiterhin erheblichen Entwicklungsbedarf, bedingt vor allem durch kleinteilige Strukturen und unzureichende Finanzierung. Denn die Implementierung innovativer Lösungen setzt bereits einen hohen Digitalisierungsgrad voraus. Bei Vivantes wurden zentrale Prozesse wie die Patientenkurve, Medikation, Pflegeprozesssteuerung sowie Anforderungs- und Befundungsprozesse digitalisiert. Auch große Teile der Medizintechnik sind eingebunden. KI-gestützte Systeme helfen uns, Frakturen und Embolien schneller zu erkennen oder warnen vor Komplikationen wie Delir oder Nierenversagen. Künstliche Intelligenz unterstützt uns auch dabei, Patientendaten direkt aus dem Rettungswagen in das Klinik-Informationssystem (KIS) zu übertragen, sodass die Krankenakte bei Ankunft bereits angelegt ist. Eine von uns entwickelte, interoperable Datenplattform ermöglicht zudem den automatisierten Datenaustausch von inzwischen 15 Klinikträgern in der Region Berlin-Brandenburg. Damit entstehen telemedizinische Versorgungskonzepte weit über Berlin hinaus. ![prof.dr.dr.jurgendebus_online.jpg](https://cwbucket.fra1.digitaloceanspaces.com/prof_dr_dr_jurgendebus_online_d7f732ea04.jpg) ``` Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Jürgen Debus, Vorstandsvorsitzender und Leitender Ärztlicher Direktor des Universitätsklinikums Heidelberg ``` **Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Jürgen Debus, Vorstandsvorsitzender und Leitender Ärztlicher Direktor Universitätsklinikum Heidelberg** Smarte Technologien und eine optimale Datennutzung verbessern den Klinikalltag und die Patientenversorgung. Das zukünftige Herzzentrum am Universitätsklinikum Heidelberg planen wir als Smart Hospital: Dort werden z. B. OPs gefilmt und das KI-System warnt automatisch bei Veränderungen des Patienten oder ungewöhnlichen Vorgängen. So werden Risiken früh erkannt und die Sicherheit erhöht. Dank verknüpfter Patientendaten und digitalem Terminmanagement läuft auch die Vorbereitung auf Eingriffe effizienter, da benötigte Ressourcen wie CT-Termine frühzeitig ersichtlich sind. Ein smartes Entlassmanagement stellt relevante Dokumente für den Patienten automatisch bereit und koordiniert Sozialdienst, Pflege und Medikamentenbedarf, sodass der Übergang in die weitere Versorgung optimal organisiert ist. In all diesen Algorithmen und Systemen steckt das gebündelte Wissen von Ärztinnen und Ärzten, Pflegepersonal und Forschenden. Die meisten KI-Anwendungen basieren auf maschinellen Lernmodellen, die mit Patientendaten trainiert werden, um Muster zu erkennen. Je größer der verfügbare Datensatz, desto exakter fallen Diagnosen und Prognosen aus – ein wichtiger Faktor angesichts des steigenden Versorgungsbedarfs bei gleichzeitig sinkender Zahl an Fachkräften. Smarte Technologien helfen, diese Lücke zu schließen und die Versorgung weiterhin auf hohem Niveau zu gewährleisten. Damit es nicht bei Insellösungen bleibt, treiben wir die übergreifende Datenintegration voran, ähnlich wie sie in der internationalen Forschung etabliert ist.

30. Jun 2025

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Wirtschaft

Krise als Chance: Wie KI und strategisches Supply Chain Management Europas Rolle stärken können – Ein Beitrag von Dr. Lars Kleeberg, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands für Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik e.V. (BME)

Globale Lieferketten stehen unter massivem Druck. Handelskonflikte, Protektionismus und geopolitische Krisen haben die Weltwirtschaft grundlegend verändert – mit direkten Auswirkungen auf Produktion, Versorgungssicherheit und Wettbewerbsfähigkeit. Seit Trumps Zoll-Eskalationen ist klar: Lieferketten sind keine stille Infrastruktur im Hintergrund mehr – sie sind kritische Erfolgsfaktoren für Unternehmen und Volkswirtschaften. Just-in-time ist out, just-in-case-Konzepte sind jetzt notwendig. Es ist höchste Zeit, dass Deutschland und Europa ihre Abhängigkeiten hinterfragen und ihre Versorgungssicherheit neu denken. Politik und Wirtschaft sind gleichermaßen gefordert, die Schlüsselrolle von Einkauf, Logistik und Supply Chain Management strategisch anzuerkennen und aktiv zu stärken. Gerade Deutschland als Exportnation ist in besonderem Maße auf stabile, resiliente Lieferketten angewiesen. Steigende regulatorische Anforderungen wie CSRD, CSDDD, EUDR oder REACH verschärfen den Druck auf die Unternehmen zusätzlich: Einkauf, Supply Chain Management und Logistik müssen heute ökologische, soziale und wirtschaftliche Ziele gleichzeitig erfüllen – ein Spagat, der die Komplexität erheblich erhöht und insbesondere den Mittelstand herausfordert. In diesem Spannungsfeld wächst die Bedeutung von Künstlicher Intelligenz. Mithilfe von KI können Supply Chain-Manager Transparenz entlang globaler Lieferketten herstellen, Risiken frühzeitig erkennen, Compliance-Anforderungen effizienter erfüllen und Prozesse automatisieren. Doch trotz des enormen Potenzials sind KI- Anwendungen heute oft noch Pilotprojekte – gehemmt durch mangelnde Integration, rechtliche Unsicherheiten und zögerliche Entscheidungen in der Unternehmensführung. Es braucht deshalb eine klare Haltung in den Vorstandsetagen: Der strategische Einsatz von KI muss Chefsache werden. Nur, wer Technologie gezielt integriert und daraus neue Fähigkeiten entwickelt, sichert sich langfristige Wettbewerbsvorteile. Gleichzeitig müssen die politischen Entscheidungsträger in Berlin und Brüssel an einem Strang ziehen. Angesichts geopolitischer Spannungen, zunehmenden Protektionismus und wirtschaftlicher Entkopplung muss die EU mit einer Stimme zentrale Handelsabkommen und strategische Partnerschaften vorantreiben. Die neue Bundesregierung muss zügig die wirtschaftliche Resilienz unserer Unternehmen durch ein neues Außenwirtschaftsgesetz stärken und die versprochene Expertenkommission zur Risikoanalyse globaler Abhängigkeiten einsetzen. Europa kann gestärkt aus dieser Krise hervorgehen, wenn es gelingt, strategische Rohstoffe zu sichern, Handelsbeziehungen auf Augenhöhe auszubauen und ein level playing field – insbesondere im Verhältnis zu China – durchzusetzen. Ein strategischer Wandel ist unumgänglich. Insbesondere für Deutschland und Europa gilt: Versorgungssicherheit, Innovationsfähigkeit und wirtschaftliche Souveränität sind untrennbar mit robusten Lieferketten verbunden. Supply Chain Management, Einkauf und Logistik sind längst keine operativen Randfunktionen mehr – sie sind zentrale Erfolgsfaktoren in einer zunehmend fragmentierten Weltwirtschaft. Die internationale Wettbewerbsfähigkeit Europas entscheidet sich nicht in der nächsten Krise – sie entscheidet sich jetzt. >Angesichts geopolitischer Spannungen, zunehmenden Protektionismus und wirtschaftlicher Entkopplung muss die EU mit einer Stimme zentrale Handelsabkommen und strategische Partnerschaften vorantreiben.