Diesen Artikel teilen:

28. Okt 2019

|

Wirtschaft

Die Landwirtschaft auf der Suche nach der Nachhaltigkeit

Journalist: Jörg Wernien

Zwei Dürresommer in Folge, die Debatte um das CO2 – die Bauern in Deutschland geraten immer mehr unter Druck. 

Wie kann sich die Landwirtschaft neu aufstellen? Auf dem Wege in die Digitalisierung sind die deutschen Bauern weit vorne. Doch Technik ist schon lange nicht mehr alles. Wie sollen die Bauern den Spagat zwischen moderner Landwirtschaft und dem Willen der Verbraucher nach mehr Nachhaltigkeit bewältigen? Wir haben mit dem Dipl. Ing. Hubertus Paetow, dem Präsidenten der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG), gesprochen.

Herr Paetow – die Bauern geraten immer mehr unter Druck – die Menschen wollen eine andere Landwirtschaft. Was raten Sie den Bauern?

Die Landwirtschaft muss sich dieser Debatte stellen. Das ist in der Vergangenheit vielleicht nicht ausreichend geschehen, aber die Landwirte bringen sich längst in die Diskussion ein. Was "eine andere Landwirtschaft" konkret bedeutet, kann nur im Konsens mit fachlichen Argumenten geklärt werden. Bereitschaft zur Veränderung und der Wille diese umzusetzen sind gefragt.

Foto: Presse
Dipl. Ing. Hubertus Paetow, Präsident der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft.

Der hohe Fleischkonsum und die Massentierhaltung werden genauso angeprangert wie die Monokulturen im Anbau der Feldfrüchte. Was muss sich aus Ihrer Sicht kurzfristig ändern und wo sollten wir langfristig hinstreben?

Ob Schlagworte wie "Massentierhaltung" und "Monokulturen" in der Debatte, und vor allem in der landwirtschaftlichen Praxis, weiterhelfen, bezweifle ich. Kurzfristig geht es darum, aus den teilweise widersprüchlichen Forderungen einen realistischen Plan zu entwickeln. Daran arbeitet die DLG intensiv mit. Mehr Tierwohl in den Ställen und eine nachhaltige Intensivierung im Pflanzenbau sind übergeordnete langfristige, sprich dauerhafte, Strategien. Dem Klimawandel aktiv zu begegnen und einen wirksamen Schutz in die Produktion integrieren bildet für die Landwirtschaft die größte Herausforderung.  

Welche Ansätze und Strategien sehen Sie, um die Landwirtschaft nachhaltiger zu machen?

Alles zielt auf eine nachhaltigere Landwirtschaft. Das ist kein Wunschbild, sondern geschieht bereits, wenngleich noch Defizite bestehen. Wir Landwirte müssen uns über zwei Punkte im Klaren sein: Nachhaltigkeit ist kein einmalig erreichter Status, sondern ein fortlaufender Prozess. Und Nachhaltigkeit lässt sich messen, unter anderem über Nährstoffbilanzen im Pflanzenbau, Klimawandeleffekte und Biodiversität auf landwirtschaftlich genutzten Flächen. Dafür ist Technologie und Know-how entscheidend. In beides investieren fortschrittliche Landwirte.

Und wie kann eine nachhaltige Landwirtschaft gerecht belohnt werden?

Nachhaltigkeit umfasst ökologische, soziale und ökonomische Aspekte. Einen davon zu vernachlässigen, stellt einen Verlust an Nachhaltigkeit dar. Für den wirtschaftlichen Blickwinkel ist klar: Nachhaltigkeit muss am Markt entlohnt werden. Das ist derzeit noch nicht durchgehend der Fall, aber Landwirtschaft und Gesellschaft sind gleichermaßen gefordert, wenn sich Nachhaltigkeit rechnen soll.   

Der Digitalverbund Bitkom hat eine Zahl rausgegeben. Jeder sechste Verbraucher informiert sich im Supermarkt über die Produkte, ihre Nachhaltigkeit und den Produzenten. Wie sollte man den Verbraucher am POS gezielt informieren?

Am Point of Sale ist schnelle Information angesagt. Wer möchte dort lange nach Info suchen? Digitale Instrumente sind prädestiniert, um einen raschen Überblick zu bieten. Die Digitalisierung der land- und ernährungswirtschaftlichem Wertschöpfungskette ist in vollem Gange. Für die von den Verbrauchern gewünschte Info bieten sich damit mittelfristig vollkommen neue Optionen, wie die individuelle Rückverfolgbarkeit von Lebensmitteln und deren Zutaten bis zum Erzeuger. Wenn Landwirtschaft und Verbraucher so wieder näher zusammenrücken, wäre das ein großer Erfolg.

1. Okt 2025

|

Wirtschaft

Die nächsten 24 Monate entscheiden: Deutschland im Transformationsfenster – Ein Beitrag von Prof. Dr. Henning Wilts

An den Begriff „Kreislaufwirtschaft“ haben die meisten Unternehmen lange Zeit einen gedanklichen Haken gemacht: Die eigenen Abfälle werden fachmännisch entsorgt, man hatte seine Hausaufgaben gemacht. Mit der Zeitenwende als Reaktion auf den russischen Angriffskrieg und seitdem völlig veränderten geopolitischen Rahmenbedingungen hat sich jedoch auch das Verständnis von Kreislaufwirtschaft fundamental verändert: Von „Nice-to-have“ zur Schlüsselherausforderung eines auch mittel- und langfristig wettbewerbsfähigen Wirtschaftsstandorts, der sich schlagartig bewusst wurde, wie abhängig man doch ist von Rohstoffimporten – und der Bereitschaft vieler Länder, den Zugang zu diesen als strategisches Druckmittel zu nutzen. Dementsprechend gewinnen auch zirkuläre Geschäftsmodelle zunehmend an Bedeutung, die von Anfang an mitdenken, wie die Produkte – und damit auch die darin enthaltenen Rohstoffe – am Ende der Nutzungsphase wieder zurückkommen. Immer mehr Unternehmen experimentieren daher mit Pfandsystemen oder Leasingkonzepten – getrieben von der Idee, damit die Resilienz ihrer Rohstoffversorgung zu verbessern. Ein weiterer wichtiger Treiber sind die gesetzlichen Verpflichtungen der Unternehmen, ihre Prozesse klimaneutral aufzustellen – hier ist der Einsatz recycelter Rohstoffe natürlich nicht zum Nulltarif zu haben; auf lange Sicht sind die dafür notwendigen Technologien aber schon deutlich ausgereifter und die Kosten pro eingesparter Tonne CO2 bei entsprechender Skalierung niedriger. Aber obwohl das Thema Kreislaufwirtschaft damit immer stärker auch in den Strategieabteilungen der Unternehmen ankommt, faktisch fehlt es an einer selbsttragenden Innovationsdynamik. Noch immer beträgt das Verhältnis von recycelten Rohstoffen und Gesamtrohstoffbedarf gerade mal 13 Prozent; rechnerisch sind also 87 Prozent aller Rohstoffe noch immer Primärmaterial. Die dafür von vielen genannten Gründe sind einerseits rational: In wirtschaftlich schwierigen Zeiten fehlt es an finanziellen Ressourcen, um ausreichend in die Transformation zur zirkulären Wertschöpfung zu investieren. Gleichzeitig ist den meisten sehr bewusst, dass Deutschland damit droht, seine eigentliche hervorragende Ausgangsbedingungen in diesem zentralen Zukunftsmarkt zu verspielen. Die Bundesregierung hat vor diesem Hintergrund im Dezember 2024 ihre „Nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie“ (NKWS) verabschiedet. Erklärtes Ziel ist es, die Transformation zur Kreislaufwirtschaft zu beschleunigen. Dafür benennt die Strategie ambitionierte Ziele, beispielsweise die faktische Halbierung des Bedarfs an primären Rohstoffen; im Kern aber vor allem über 130 konkrete Maßnahmen. Diese gehen weit über Abfallwirtschaft hinaus, sondern betreffen z. B. die fokussierte Digitalisierung im Recyclingsektor, innovative Finanzierungsmechanismen oder auch Mindestrezyklatquoten, um so einen sicheren Absatzmarkt für hochwertige Sekundärrohstoffe zu schaffen. Aber natürlich ist Papier geduldig und die eigentliche Herausforderung liegt in der jetzt anstehenden Umsetzung. Ein zentraler Schlüssel wird dabei sein, Allianzen zu schaffen – zwischen all den Akteuren, die in einer Kreislaufwirtschaft profitieren wollen von den erhofften positiven Effekten für Klimaschutz, einheimische Beschäftigung, Aufträgen für den Maschinenbau usw. Die in der NKWS angekündigte Plattform muss es daher schaffen, genau solche Allianzen zu bilden und sich nicht in endlosen Debatten über die 100 Prozent perfekte Lösung zu verlieren – denn die internationale Konkurrenz schläft nicht und es ist überhaupt nicht gegeben, dass die erhofften Vorteile tatsächlich am Standort Deutschland realisiert werden. Die nächsten 24 Monate werden daher maßgeblich darüber entscheiden, ob Deutschland am Ende zu den Gewinnern oder den Verlierern der zirkulären Transformation gehören wird.