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27. Jun 2024

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Wirtschaft

Die nächsten zehn Jahre werden ein wilder Ritt, danach wird es verrückt – mit Professor Dr. Felix Nensa

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Foto: Presse, Accuray/unsplash

Professor Dr. Felix Nensa, Radiologe mit Schwerpunkt KI, leitet seit 2019 die Gruppe KI und intelligente Krankenhausinformationsplattform am UK Essen. Er vergleicht die KI in der Medizin mit der Entwicklung des World Wide Web und wagt den Blick in die Zukunft.

Online.jpg Professor Dr. Felix Nensa, Radiologe mit Schwerpunkt KI am UK Essen

Professor Dr. Nensa, wo findet KI in der klinischen Versorgung bereits Anwendung?

In meiner Disziplin, der Radiologie, hat KI früh im Bereich der Bildanalyse Einzug gehalten. Auch im Bereich der Vermessung von Bildbefunden sowie in modernen CT- oder MRT-Scannern werden KI-basierte Rekonstruktionsverfahren eingesetzt. Wir transkribieren unsere Befunde KI-basiert und werten Langzeit-EKGs KI-basiert aus. Eine der spannendsten Entwicklungen überhaupt ist allerdings AlphaFold: Bei fast allen Vorgängen in unserem Körper sind Proteine beteiligt. Leider ist es ein komplexes Problem, aus einer Gensequenz die daraus entstehende Proteinstruktur vorherzusagen. Der Durchbruch kam mit der KI AlphaFold von DeepMind, die dieses Problem in vielen Fällen bereits erstaunlich gut lösen kann. Wir erwarten hier Durchbrüche beim Verständnis von Krankheiten und der Entwicklung von Medikamenten.

Die häufigsten Krebssorten Darmkrebs, Lungenkrebs, Brustkrebs bzw. Prostatakrebs betreffen ja sehr viele Menschen. Inwiefern zeigt den KI hier Potenzial?

Ein ganz klares Potenzial liegt im Bereich des bildbasierten Screenings: In der Endoskopie zur Früherkennung von Darmkrebs, im Brustkrebsscreening, in der aktuellen Einführung von Lungenkrebsscreening, der zu erwartenden Einführung von Prostatakrebsscreening. Man muss allerdings als Mensch sehr viele Bilder ansehen, bis man eine Auffälligkeit entdeckt, da die meisten Menschen ja zum Glück gesund sind. Die KI unterstützt dabei. Sie macht das derzeit noch keineswegs besser als wir Menschen, sie lässt sich aber nicht ablenken und wird niemals müde. Ein psychologisches Problem ist die „Satisfaction of Search“: Sobald wir eine Auffälligkeit gefunden haben, ist gefühlt unser Ziel erreicht und man schaut danach nicht mehr in jede kleinste Windung. So tickt eine Maschine nicht. Menschen werden mit Erfahrung über die Berufsjahre besser, gehen aber irgendwann in Rente. Maschinen dagegen kann man kontinuierlich verbessern, so dass es eine Frage der Zeit ist, bis die Maschinen so gut wie wir oder besser sind. Außerdem können Maschinen ihre Ergebnisse quasi verzögerungsfrei an andere Maschinen übergeben und so komplette Prozessabläufe enorm beschleunigen, noch dazu fehlerfrei.

Wozu dient Ihre Smart Hospital Information Plattform?

Unsere Smart Hospital Information Platform ist das zentrale Element beim Einsatz von KI, im Sinne einer Orchestrierungsplattform und Informationsdrehscheibe. Bisher haben die meisten Abteilungen eigene Computersysteme für fachspezifische Daten. Ziel unserer Plattform ist es, die Daten aus allen Systemen in einem einheitlichen, maschinenlesbaren Format zusammenbringen. Wir nennen das semantische Interoperabilität. Dieses ist wichtig, da die Leistungsfähigkeit von KI mit der Menge und der Qualität der zur Verfügung stehenden Daten wächst.

Was wird sich in der Medizin durch die Anwendung von KI deutlich verbessern?

In Bezug auf KI in der Medizin werden die nächsten zehn Jahre ein wilder Ritt, danach wird es verrückt. Wenn alle Krankenhäuser eine interoperable IT-Infrastruktur und KI im breitflächigen Einsatz haben, wird das die Medizin grundlegend hin zu einer echten personalisierten Medizin verändern. Wir Menschen unterscheiden uns hinsichtlich Geschlecht, genetischer Disposition, Gewicht, Lifestyle, usw., aber die Einbeziehung aller dieser Faktoren übersteigt die Fähigkeiten menschlicher Ärzte. Dazu brauchen wir die Hilfe von KI.

4. Jul 2025

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Wirtschaft

Chancen für die Zukunft der Versorgung – mit Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Jürgen Debus & Dr. Johannes Danckert

![Dr_Johannes_Danckert_Copyright_Kevin_Kuka_Vivantes_online.jpg](https://cwbucket.fra1.digitaloceanspaces.com/Dr_Johannes_Danckert_Copyright_Kevin_Kuka_Vivantes_online_6e3b6d01f5.jpg) ``` Dr. Johannes Danckert, Vorsitzender der Geschäftsführung, Vivantes – Netzwerk für Gesundheit GmbH ``` **Dr. Johannes Danckert, Vorsitzender der Geschäftsführung, Vivantes – Netzwerk für Gesundheit GmbH** Digitalisierung kann die Patientenversorgung schneller, besser und sicherer machen. Immer öfter werden dabei auch die traditionellen Grenzen zwischen ambulanten und stationären Bereichen sowie einzelnen Versorgungseinrichtungen abgebaut. So kann die ‚Patient Journey‘, also der gesamte Behandlungsweg eines Patienten von Diagnose bis Nachsorge, zu einer vernetzten Gesundheitsregion verbunden werden. Trotz deutlicher digitaler Fortschritte haben deutsche Krankenhäuser allerdings weiterhin erheblichen Entwicklungsbedarf, bedingt vor allem durch kleinteilige Strukturen und unzureichende Finanzierung. Denn die Implementierung innovativer Lösungen setzt bereits einen hohen Digitalisierungsgrad voraus. Bei Vivantes wurden zentrale Prozesse wie die Patientenkurve, Medikation, Pflegeprozesssteuerung sowie Anforderungs- und Befundungsprozesse digitalisiert. Auch große Teile der Medizintechnik sind eingebunden. KI-gestützte Systeme helfen uns, Frakturen und Embolien schneller zu erkennen oder warnen vor Komplikationen wie Delir oder Nierenversagen. Künstliche Intelligenz unterstützt uns auch dabei, Patientendaten direkt aus dem Rettungswagen in das Klinik-Informationssystem (KIS) zu übertragen, sodass die Krankenakte bei Ankunft bereits angelegt ist. Eine von uns entwickelte, interoperable Datenplattform ermöglicht zudem den automatisierten Datenaustausch von inzwischen 15 Klinikträgern in der Region Berlin-Brandenburg. Damit entstehen telemedizinische Versorgungskonzepte weit über Berlin hinaus. ![prof.dr.dr.jurgendebus_online.jpg](https://cwbucket.fra1.digitaloceanspaces.com/prof_dr_dr_jurgendebus_online_d7f732ea04.jpg) ``` Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Jürgen Debus, Vorstandsvorsitzender und Leitender Ärztlicher Direktor des Universitätsklinikums Heidelberg ``` **Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Jürgen Debus, Vorstandsvorsitzender und Leitender Ärztlicher Direktor Universitätsklinikum Heidelberg** Smarte Technologien und eine optimale Datennutzung verbessern den Klinikalltag und die Patientenversorgung. Das zukünftige Herzzentrum am Universitätsklinikum Heidelberg planen wir als Smart Hospital: Dort werden z. B. OPs gefilmt und das KI-System warnt automatisch bei Veränderungen des Patienten oder ungewöhnlichen Vorgängen. So werden Risiken früh erkannt und die Sicherheit erhöht. Dank verknüpfter Patientendaten und digitalem Terminmanagement läuft auch die Vorbereitung auf Eingriffe effizienter, da benötigte Ressourcen wie CT-Termine frühzeitig ersichtlich sind. Ein smartes Entlassmanagement stellt relevante Dokumente für den Patienten automatisch bereit und koordiniert Sozialdienst, Pflege und Medikamentenbedarf, sodass der Übergang in die weitere Versorgung optimal organisiert ist. In all diesen Algorithmen und Systemen steckt das gebündelte Wissen von Ärztinnen und Ärzten, Pflegepersonal und Forschenden. Die meisten KI-Anwendungen basieren auf maschinellen Lernmodellen, die mit Patientendaten trainiert werden, um Muster zu erkennen. Je größer der verfügbare Datensatz, desto exakter fallen Diagnosen und Prognosen aus – ein wichtiger Faktor angesichts des steigenden Versorgungsbedarfs bei gleichzeitig sinkender Zahl an Fachkräften. Smarte Technologien helfen, diese Lücke zu schließen und die Versorgung weiterhin auf hohem Niveau zu gewährleisten. Damit es nicht bei Insellösungen bleibt, treiben wir die übergreifende Datenintegration voran, ähnlich wie sie in der internationalen Forschung etabliert ist.

30. Jun 2025

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Wirtschaft

Krise als Chance: Wie KI und strategisches Supply Chain Management Europas Rolle stärken können – Ein Beitrag von Dr. Lars Kleeberg, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands für Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik e.V. (BME)

Globale Lieferketten stehen unter massivem Druck. Handelskonflikte, Protektionismus und geopolitische Krisen haben die Weltwirtschaft grundlegend verändert – mit direkten Auswirkungen auf Produktion, Versorgungssicherheit und Wettbewerbsfähigkeit. Seit Trumps Zoll-Eskalationen ist klar: Lieferketten sind keine stille Infrastruktur im Hintergrund mehr – sie sind kritische Erfolgsfaktoren für Unternehmen und Volkswirtschaften. Just-in-time ist out, just-in-case-Konzepte sind jetzt notwendig. Es ist höchste Zeit, dass Deutschland und Europa ihre Abhängigkeiten hinterfragen und ihre Versorgungssicherheit neu denken. Politik und Wirtschaft sind gleichermaßen gefordert, die Schlüsselrolle von Einkauf, Logistik und Supply Chain Management strategisch anzuerkennen und aktiv zu stärken. Gerade Deutschland als Exportnation ist in besonderem Maße auf stabile, resiliente Lieferketten angewiesen. Steigende regulatorische Anforderungen wie CSRD, CSDDD, EUDR oder REACH verschärfen den Druck auf die Unternehmen zusätzlich: Einkauf, Supply Chain Management und Logistik müssen heute ökologische, soziale und wirtschaftliche Ziele gleichzeitig erfüllen – ein Spagat, der die Komplexität erheblich erhöht und insbesondere den Mittelstand herausfordert. In diesem Spannungsfeld wächst die Bedeutung von Künstlicher Intelligenz. Mithilfe von KI können Supply Chain-Manager Transparenz entlang globaler Lieferketten herstellen, Risiken frühzeitig erkennen, Compliance-Anforderungen effizienter erfüllen und Prozesse automatisieren. Doch trotz des enormen Potenzials sind KI- Anwendungen heute oft noch Pilotprojekte – gehemmt durch mangelnde Integration, rechtliche Unsicherheiten und zögerliche Entscheidungen in der Unternehmensführung. Es braucht deshalb eine klare Haltung in den Vorstandsetagen: Der strategische Einsatz von KI muss Chefsache werden. Nur, wer Technologie gezielt integriert und daraus neue Fähigkeiten entwickelt, sichert sich langfristige Wettbewerbsvorteile. Gleichzeitig müssen die politischen Entscheidungsträger in Berlin und Brüssel an einem Strang ziehen. Angesichts geopolitischer Spannungen, zunehmenden Protektionismus und wirtschaftlicher Entkopplung muss die EU mit einer Stimme zentrale Handelsabkommen und strategische Partnerschaften vorantreiben. Die neue Bundesregierung muss zügig die wirtschaftliche Resilienz unserer Unternehmen durch ein neues Außenwirtschaftsgesetz stärken und die versprochene Expertenkommission zur Risikoanalyse globaler Abhängigkeiten einsetzen. Europa kann gestärkt aus dieser Krise hervorgehen, wenn es gelingt, strategische Rohstoffe zu sichern, Handelsbeziehungen auf Augenhöhe auszubauen und ein level playing field – insbesondere im Verhältnis zu China – durchzusetzen. Ein strategischer Wandel ist unumgänglich. Insbesondere für Deutschland und Europa gilt: Versorgungssicherheit, Innovationsfähigkeit und wirtschaftliche Souveränität sind untrennbar mit robusten Lieferketten verbunden. Supply Chain Management, Einkauf und Logistik sind längst keine operativen Randfunktionen mehr – sie sind zentrale Erfolgsfaktoren in einer zunehmend fragmentierten Weltwirtschaft. Die internationale Wettbewerbsfähigkeit Europas entscheidet sich nicht in der nächsten Krise – sie entscheidet sich jetzt. >Angesichts geopolitischer Spannungen, zunehmenden Protektionismus und wirtschaftlicher Entkopplung muss die EU mit einer Stimme zentrale Handelsabkommen und strategische Partnerschaften vorantreiben.