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28. Sep 2023

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Wirtschaft

Die Proteinwende ist eingeläutet

Journalist: Chan Sidki-Lundius

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Foto: analuisa gamboa/unsplash

2017 war es endlich soweit: Da wurden Insekten als Futtermittel für Nutztiere in der EU zugelassen, zunächst für Fische, wenig später dann auch für Schweine und Hühner.

Um ihre Schweine und ihr Geflügel ausreichend mit dem für die Tiere so wichtigen Eiweiß (Protein) zu versorgen, müssen deutsche Tierhaltungsbetriebe auf den Import nicht nur von Fischmehl, sondern auch von Soja, das hauptsächlich aus Südamerika und den USA kommt, zurückgreifen. Doch sowohl der Anbau als auch der Transport von Soja bringen Umwelt- und Klimaprobleme mit sich. Für den Anbau von Soja müssen beispielsweise auch die für unseren Planeten so wichtigen Regenwälder gerodet werden. Um die Abhängigkeit von Soja zu minimieren, wurde dann in den letzten Jahren der hiesige Anbau von Ackerbohnen, Erbsen und heimischem Soja ausgebaut – und vermehrt Raps- und Sonnenblumenschrot verfüttert. Doch all das ist nicht ausreichend, um den Eiweißbedarf in der Nutztierhaltung zu decken. Insofern ist es nur verständlich, dass immer mehr Landwirte auf Insekten basierendes Futtermittel für ihre Nutztiere setzen.

Das bringt gleich mehrere Vorteile mit sich. Einerseits sind die gegenüber Krankheitserregern nahezu unempfindlichen Insekten eine ausgezeichnete Eiweißquelle. Ihr Eiweißgehalt von 50 bis 60 Prozent liegt sogar über dem von Soja. Aber auch die Qualität des Insekten-Proteins ist herausragend. Darüber hinaus spricht für Insekten als Nutztierfuttermittel, dass ihre Aufzucht klimaschonender als die von importiertem Soja ist und im Vergleich zur traditionellen Viehhaltung nur minimale Ressourcen erfordert. Ein Grund dafür: Die in speziellen Mastanlagen aufwachsenden Insekten kommen als Nahrungsquelle mit heimischen Reststoffen aus und benötigen kaum Platz – also überhaupt keine landwirtschaftlichen Flächen. Außerdem fallen keine langen Transporte an, wenn die Insekten auf in der Region erzeugt werden.

Für Insekten sprechen weiterhin die kurzen Mastzeiten und hohen Reproduktionsraten. Per Gesetz sind in der EU bislang nur sieben Insektenarten erlaubt: die Soldatenfliege, die Stubenfliege, der Mehlkäfer, der Getreideschimmelkäfer, das Heimchen, die Kurzflügelgrille und die Steppengrille. Bei den Käfern und den Fliegen der genannten Arten werden die Larven verfüttert, bei den Grillen die erwachsenen Tiere – allerdings nur an Tiere, die von Natur aus (auch) Tierisches fressen und gut verwerten können. Besonders gut für die Zucht geeignet ist die schwarze Soldatenfliege. Sie entwickelt sich auch in Umgebungen mit einer hohen Larvendichte gut. Nach der Eiablage dauert es etwa eine Woche, bis die Larven „geerntet“ werden können. Da die ausgewachsene Fliege keinen Mund hat, haben die Larven bereits die gesamte Energie und alle Nährstoffe aufgenommen, die sie für ihr Leben benötigen. Sie lassen sich daher bestens zu wertvollem Protein und auch zu Lipiden verarbeiten.

Neu ist, dass Landwirte in hochautomatisierten Mastanlagen für Insektenlarven ihr eigenes Eiweißfuttermittel direkt im heimischen Betrieb erzeugen können.

Bisher gibt es jedoch nur sehr wenige Unternehmen in Deutschland, die Insekten als Futtermittel für Nutztiere erzeugen. Neu ist, dass Landwirte in hochautomatisierten Mastanlagen für Insektenlarven ihr eigenes Eiweißfuttermittel direkt im heimischen Betrieb erzeugen können. Solange die gesamte Produktionskette gemäß den geltenden Bestimmungen erzeugt werde, seien aus Insekten gewonnene tierische Proteine als „sichere Futtermittel“ für Tiere in Aquakulturen sowie für Schweine und Geflügel anzusehen, schreibt die Bundesregierung in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der CDU/CSU im Frühjahr dieses Jahres.

Für die Landwirte ist es vielerlei Hinsicht vorteilhaft, auf Insekten basierendes Futter mit einem hohen Proteinanteil zu nutzen. So sparen sie teilweise bis zu 30 Prozent ihrer Kosten für Futtermittel ein. Gleichzeitig können sie ihre Nachhaltigkeitsbilanz deutlich verbessern. Und schließlich können sie ihren wertvollen Boden sinnvoll nutzen und ihre Tiere mit gesundem Protein versorgen. Wenn das keine gute Perspektive ist!

4. Jul 2025

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Wirtschaft

Chancen für die Zukunft der Versorgung – mit Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Jürgen Debus & Dr. Johannes Danckert

![Dr_Johannes_Danckert_Copyright_Kevin_Kuka_Vivantes_online.jpg](https://cwbucket.fra1.digitaloceanspaces.com/Dr_Johannes_Danckert_Copyright_Kevin_Kuka_Vivantes_online_6e3b6d01f5.jpg) ``` Dr. Johannes Danckert, Vorsitzender der Geschäftsführung, Vivantes – Netzwerk für Gesundheit GmbH ``` **Dr. Johannes Danckert, Vorsitzender der Geschäftsführung, Vivantes – Netzwerk für Gesundheit GmbH** Digitalisierung kann die Patientenversorgung schneller, besser und sicherer machen. Immer öfter werden dabei auch die traditionellen Grenzen zwischen ambulanten und stationären Bereichen sowie einzelnen Versorgungseinrichtungen abgebaut. So kann die ‚Patient Journey‘, also der gesamte Behandlungsweg eines Patienten von Diagnose bis Nachsorge, zu einer vernetzten Gesundheitsregion verbunden werden. Trotz deutlicher digitaler Fortschritte haben deutsche Krankenhäuser allerdings weiterhin erheblichen Entwicklungsbedarf, bedingt vor allem durch kleinteilige Strukturen und unzureichende Finanzierung. Denn die Implementierung innovativer Lösungen setzt bereits einen hohen Digitalisierungsgrad voraus. Bei Vivantes wurden zentrale Prozesse wie die Patientenkurve, Medikation, Pflegeprozesssteuerung sowie Anforderungs- und Befundungsprozesse digitalisiert. Auch große Teile der Medizintechnik sind eingebunden. KI-gestützte Systeme helfen uns, Frakturen und Embolien schneller zu erkennen oder warnen vor Komplikationen wie Delir oder Nierenversagen. Künstliche Intelligenz unterstützt uns auch dabei, Patientendaten direkt aus dem Rettungswagen in das Klinik-Informationssystem (KIS) zu übertragen, sodass die Krankenakte bei Ankunft bereits angelegt ist. Eine von uns entwickelte, interoperable Datenplattform ermöglicht zudem den automatisierten Datenaustausch von inzwischen 15 Klinikträgern in der Region Berlin-Brandenburg. Damit entstehen telemedizinische Versorgungskonzepte weit über Berlin hinaus. ![prof.dr.dr.jurgendebus_online.jpg](https://cwbucket.fra1.digitaloceanspaces.com/prof_dr_dr_jurgendebus_online_d7f732ea04.jpg) ``` Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Jürgen Debus, Vorstandsvorsitzender und Leitender Ärztlicher Direktor des Universitätsklinikums Heidelberg ``` **Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Jürgen Debus, Vorstandsvorsitzender und Leitender Ärztlicher Direktor Universitätsklinikum Heidelberg** Smarte Technologien und eine optimale Datennutzung verbessern den Klinikalltag und die Patientenversorgung. Das zukünftige Herzzentrum am Universitätsklinikum Heidelberg planen wir als Smart Hospital: Dort werden z. B. OPs gefilmt und das KI-System warnt automatisch bei Veränderungen des Patienten oder ungewöhnlichen Vorgängen. So werden Risiken früh erkannt und die Sicherheit erhöht. Dank verknüpfter Patientendaten und digitalem Terminmanagement läuft auch die Vorbereitung auf Eingriffe effizienter, da benötigte Ressourcen wie CT-Termine frühzeitig ersichtlich sind. Ein smartes Entlassmanagement stellt relevante Dokumente für den Patienten automatisch bereit und koordiniert Sozialdienst, Pflege und Medikamentenbedarf, sodass der Übergang in die weitere Versorgung optimal organisiert ist. In all diesen Algorithmen und Systemen steckt das gebündelte Wissen von Ärztinnen und Ärzten, Pflegepersonal und Forschenden. Die meisten KI-Anwendungen basieren auf maschinellen Lernmodellen, die mit Patientendaten trainiert werden, um Muster zu erkennen. Je größer der verfügbare Datensatz, desto exakter fallen Diagnosen und Prognosen aus – ein wichtiger Faktor angesichts des steigenden Versorgungsbedarfs bei gleichzeitig sinkender Zahl an Fachkräften. Smarte Technologien helfen, diese Lücke zu schließen und die Versorgung weiterhin auf hohem Niveau zu gewährleisten. Damit es nicht bei Insellösungen bleibt, treiben wir die übergreifende Datenintegration voran, ähnlich wie sie in der internationalen Forschung etabliert ist.

30. Jun 2025

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Wirtschaft

Krise als Chance: Wie KI und strategisches Supply Chain Management Europas Rolle stärken können – Ein Beitrag von Dr. Lars Kleeberg, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands für Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik e.V. (BME)

Globale Lieferketten stehen unter massivem Druck. Handelskonflikte, Protektionismus und geopolitische Krisen haben die Weltwirtschaft grundlegend verändert – mit direkten Auswirkungen auf Produktion, Versorgungssicherheit und Wettbewerbsfähigkeit. Seit Trumps Zoll-Eskalationen ist klar: Lieferketten sind keine stille Infrastruktur im Hintergrund mehr – sie sind kritische Erfolgsfaktoren für Unternehmen und Volkswirtschaften. Just-in-time ist out, just-in-case-Konzepte sind jetzt notwendig. Es ist höchste Zeit, dass Deutschland und Europa ihre Abhängigkeiten hinterfragen und ihre Versorgungssicherheit neu denken. Politik und Wirtschaft sind gleichermaßen gefordert, die Schlüsselrolle von Einkauf, Logistik und Supply Chain Management strategisch anzuerkennen und aktiv zu stärken. Gerade Deutschland als Exportnation ist in besonderem Maße auf stabile, resiliente Lieferketten angewiesen. Steigende regulatorische Anforderungen wie CSRD, CSDDD, EUDR oder REACH verschärfen den Druck auf die Unternehmen zusätzlich: Einkauf, Supply Chain Management und Logistik müssen heute ökologische, soziale und wirtschaftliche Ziele gleichzeitig erfüllen – ein Spagat, der die Komplexität erheblich erhöht und insbesondere den Mittelstand herausfordert. In diesem Spannungsfeld wächst die Bedeutung von Künstlicher Intelligenz. Mithilfe von KI können Supply Chain-Manager Transparenz entlang globaler Lieferketten herstellen, Risiken frühzeitig erkennen, Compliance-Anforderungen effizienter erfüllen und Prozesse automatisieren. Doch trotz des enormen Potenzials sind KI- Anwendungen heute oft noch Pilotprojekte – gehemmt durch mangelnde Integration, rechtliche Unsicherheiten und zögerliche Entscheidungen in der Unternehmensführung. Es braucht deshalb eine klare Haltung in den Vorstandsetagen: Der strategische Einsatz von KI muss Chefsache werden. Nur, wer Technologie gezielt integriert und daraus neue Fähigkeiten entwickelt, sichert sich langfristige Wettbewerbsvorteile. Gleichzeitig müssen die politischen Entscheidungsträger in Berlin und Brüssel an einem Strang ziehen. Angesichts geopolitischer Spannungen, zunehmenden Protektionismus und wirtschaftlicher Entkopplung muss die EU mit einer Stimme zentrale Handelsabkommen und strategische Partnerschaften vorantreiben. Die neue Bundesregierung muss zügig die wirtschaftliche Resilienz unserer Unternehmen durch ein neues Außenwirtschaftsgesetz stärken und die versprochene Expertenkommission zur Risikoanalyse globaler Abhängigkeiten einsetzen. Europa kann gestärkt aus dieser Krise hervorgehen, wenn es gelingt, strategische Rohstoffe zu sichern, Handelsbeziehungen auf Augenhöhe auszubauen und ein level playing field – insbesondere im Verhältnis zu China – durchzusetzen. Ein strategischer Wandel ist unumgänglich. Insbesondere für Deutschland und Europa gilt: Versorgungssicherheit, Innovationsfähigkeit und wirtschaftliche Souveränität sind untrennbar mit robusten Lieferketten verbunden. Supply Chain Management, Einkauf und Logistik sind längst keine operativen Randfunktionen mehr – sie sind zentrale Erfolgsfaktoren in einer zunehmend fragmentierten Weltwirtschaft. Die internationale Wettbewerbsfähigkeit Europas entscheidet sich nicht in der nächsten Krise – sie entscheidet sich jetzt. >Angesichts geopolitischer Spannungen, zunehmenden Protektionismus und wirtschaftlicher Entkopplung muss die EU mit einer Stimme zentrale Handelsabkommen und strategische Partnerschaften vorantreiben.