8. Jul 2019
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Gesundheit
Journalist: Helmut Peters
Etwa 40 Prozent der Krebserkrankungen gehen auf beeinflussbare Risiken zurück, die sich durch Prävention verhindern ließen. Das sollten wir nutzen.
Die Teilnahmezahlen bei der Darmkrebsvorsorge sind noch zu niedrig, aber ich habe das Gefühl, dass eine Steigerung niemanden zu interessieren scheint. Denn die Chance, im Zuge des nun gestarteten Einladungsverfahrens den Versicherten gleich einen Stuhltest mitzusenden und eine Teilnahme damit so unkompliziert wie möglich zu machen, wurde vertan. Zudem gehen circa 30 % der Neuerkrankungen in Deutschland auf ein familiäres Risiko für Darmkrebs zurück. Diese Menschen haben gegenüber der Normalbevölkerung ein um das zwei- bis vierfach erhöhte Risiko zu erkranken. Hier müsste Vorsorge schon vor dem 50. Lebensjahr ansetzen, doch solch ein Angebot sieht unser Gesundheitssystem bisher nicht vor. Hinzu kommt, dass wir in den Altersklassen zwischen 20 und 49 Jahren eine Zunahme der Neuerkrankungen sehen. Wir sprechen hier von einem Zuwachs um 11 % zwischen 2002 und 2014. Auch das scheint niemand zu berücksichtigen.
Beim familiären Risiko wird argumentiert, dass hochwertige Studien fehlen, die belegen, dass eine früher einsetzende Vorsorge einen Nutzen für die Betroffenen bringt. Doch diese Studien wird es nie geben, da sie ethisch nicht vertretbar wären. Denn dafür müsste man einer Gruppe von Menschen die Vorsorge verweigern, die sie eigentlich benötigen. Es ist ebenso ein Fehler im System: Krebsprävention hat bisher keine Rolle gespielt, mit Ausnahme von der Vorsorgekoloskopie ab jetzt 50 Jahren für Männer und 55 Jahren für Frauen bei Darmkrebs und der HPV-Impfung ab neun Jahren beim Gebärmutterhalskrebs. Alle Gelder fließen nach wie vor in die Grundlagenforschung und die Entwicklung von Therapien. Bisher gibt es nur wenige Anreize für Versicherte, sich privat mit Prävention zu beschäftigen und in sie auch Zeit zu investieren.
Unbedingt! Es gibt Berechnungen, die belegen, dass etwa 40 % der Krebserkrankungen auf beeinflussbare Risiken zurückzuführen sind und sich durch Prävention verhindern ließen. Diese Chance sollten wir nutzen.
Mittlerweile ist die Medizin so weit entwickelt, dass es gelingt, personalisierte Risikoprofile eines Menschen zu erstellen. Dafür sind viele unterschiedliche Tests notwendig, aber hier sollte investiert werden, damit jeder Versicherte eine risikoangepasste Vorsorge erhalten kann.
Wichtig ist zunächst einmal, dass in der kürzlich vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) ausgerufenen Nationalen Dekade gegen Krebs, die Prävention von Krebs – neben der Therapie – erstmals eine zentrale Rolle spielt. Auf Darmkrebs bezogen, sollten sich alle relevanten Bereiche in der Grundlagenforschung zusammentun, um herauszufinden, warum junge Menschen im Alter von 20 bis 30 Jahren vermehrt Darmkrebs bekommen und was man dagegen tun kann. Denn für sie kommt kein allgemeines Screening-Programm in Frage.
Es wird international an vielen neuen patientenfreundlichen Tests geforscht: Zum Beispiel Blut-, Urin-, Atem- und Big Data-Tests. Im Rahmen von Modellprojekten könnten sie in die Versorgung integriert werden, um ihre Aussagefähigkeit mit bereits auf dem Markt vorhandenen Tests zu vergleichen. Niemand ist wirklich Fan einer Koloskopie oder eines Stuhltests. Daher sollten Verfahren, die mindestens gleich gut sind und vor allem eine bessere Compliance versprechen, auch angeboten werden.
Nein. Die Koloskopie ist bisher die einzige Maßnahme, um das Entstehen eines Tumors zu verhindern. Denn gutartige Vorformen von Darmkrebs, die Polypen, benötigen viele Jahre, bevor sie entarten. Mit der Koloskopie gelingt es, diese Polypen zu lokalisieren und abzutragen. Die Darmspiegelung ist daher unverzichtbar beim Verhindern von Krebs. Gelingt es jedoch, ein individuelles Risikoprofil eines Versicherten anzufertigen, muss in Zukunft nicht mehr allen angeboten werden.