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11. Sep 2024

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Wirtschaft

Doppelte Ernte

Journalist: Kirsten Schwieger

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Foto: Sungrow EMEA/unsplash

Agri-Photovoltaik erschließt neue Einnahmequellen, senkt Stromkosten und macht Pflanzen resilienter gegenüber den Folgen des Klimawandels.

Stetig steigende Pachtpreise, zunehmender Preisdruck sowie fallende Fleisch- und Getreidepreise sind nur einige Gründe für die sinkende Wirtschaftlichkeit und Planungssicherheit landwirtschaftlicher Betriebe. Der Klimawandel und gesellschaftliche Erwartungen an eine ressourcenschonende Bewirtschaftung sorgen darüber hinaus für schlaflose Nächte bei Landwirten. Die kombinierte Produktion landwirtschaftlicher Erzeugnisse mit der Erzeugung von Grünstrom auf ein und derselben Fläche könnte Landwirten neue Perspektiven eröffnen.

Agri-Photovoltaik (Agri-PV) nennt sich dieses Konzept, welches seit ungefähr zehn Jahren weltweit vermehrt umgesetzt wird. Oben Solaranlage, darunter oder daneben Ackerbau, Obstanbau oder Weideland. Auch in Deutschland entstanden in den vergangenen Jahren mehrere Modellanlagen, verschiedene Einrichtungen erforschen derzeit deren Performance. Es gibt hoch- und niedrigaufgeständerte Systeme, bewegliche Systeme sowie vollverschattende und semi-transparente. Über das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) 2023 sind Agri-PV-Anlagen grundsätzlich auf allen Acker- und Grünlandflächen sowie Flächen mit Dauerkulturen förderfähig.

Während die Beschattung bei ausreichend Wasser die Ernteerträge zwar oftmals reduziert, kann sie bei Dürre gar zu Ertragssteigerungen führen.

Die zusätzliche Geldeinnahme durch den Verkauf des grünen Stroms ermöglicht eine Diversifizierung und Steigerung des Einkommens. Durch die Eigennutzung des erzeugten Stroms lassen sich innerbetriebliche Kreisläufe schließen, Stromkosten senken und das Image steigern. Ein weiterer Vorteil besteht in Synergieeffekten wie Sonnen-, Verdunstungs- und Hagelschutz, welche die angebauten Pflanzen resilienter gegenüber den Folgen des Klimawandels machen. So schützen horizontale Agri-PV-Anlagen vor zu intensiver Sonneneinstrahlung und Austrocknung der Böden sowie vor Starkregen und Hagel. Vertikale, bodennahe Systeme mit Bewirtschaftung zwischen den Modulreihen beugen der Winderosion vor. Während die Beschattung bei ausreichend Wasser die Ernteerträge zwar oftmals reduziert, kann sie bei Dürre gar zu Ertragssteigerungen führen. Angesichts der Experteneinschätzung, dass manche heimischen Kulturen hierzulande innerhalb der nächsten zehn Jahre nicht mehr ohne künstliche Verschattung angebaut werden können, ein interessanter Fakt.

Nach derzeitigem Forschungsstand eignen sich grundsätzlich alle Kulturpflanzen für den Anbau unter einer Agri-PV-Anlage, wobei die Beschattung unterschiedliche Auswirkungen auf die Erträge erwarten lässt. Während die Erträge von Blattgemüse, Futterpflanzen, Knollen- und Hackfrüchten sowie der meisten Getreidearten leicht zurückgingen, nehmen Mais, Ackerbohnen, Soja und Lupinen die Beschattung der Anlage eher übel. Dagegen profitieren Schattenpflanzen wie Beeren, Obst und Fruchtgemüse sogar von einer Beschattung. Der direkte Schutz der Agri-PV-Konstruktion vor Umwelteinflüssen wie Regen, Hagel der Frost macht zudem manch mechanisches Schutzelement obsolet. Da unter den Modulen weniger Feuchte herrscht als unter Netzen, konnten in einem Versuch mit Kirschbäumen sogar substanziell Fungizide eingespart werden. Die vorhandenen Gerüststrukturen lassen sich aber auch zur kostengünstigen Integration weiterer Schutzsysteme wie Hagelschutznetze oder Folientunnel nutzen.

Laut Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE) lassen sich mit beweglichen Agri-PV-Systemen die Einbußen beim Ertrag reduzieren, da das Lichtangebot in kritischen Wachstumsphasen der Pflanzen erhöht werden kann.

1. Okt 2025

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Wirtschaft

Die nächsten 24 Monate entscheiden: Deutschland im Transformationsfenster – Ein Beitrag von Prof. Dr. Henning Wilts

An den Begriff „Kreislaufwirtschaft“ haben die meisten Unternehmen lange Zeit einen gedanklichen Haken gemacht: Die eigenen Abfälle werden fachmännisch entsorgt, man hatte seine Hausaufgaben gemacht. Mit der Zeitenwende als Reaktion auf den russischen Angriffskrieg und seitdem völlig veränderten geopolitischen Rahmenbedingungen hat sich jedoch auch das Verständnis von Kreislaufwirtschaft fundamental verändert: Von „Nice-to-have“ zur Schlüsselherausforderung eines auch mittel- und langfristig wettbewerbsfähigen Wirtschaftsstandorts, der sich schlagartig bewusst wurde, wie abhängig man doch ist von Rohstoffimporten – und der Bereitschaft vieler Länder, den Zugang zu diesen als strategisches Druckmittel zu nutzen. Dementsprechend gewinnen auch zirkuläre Geschäftsmodelle zunehmend an Bedeutung, die von Anfang an mitdenken, wie die Produkte – und damit auch die darin enthaltenen Rohstoffe – am Ende der Nutzungsphase wieder zurückkommen. Immer mehr Unternehmen experimentieren daher mit Pfandsystemen oder Leasingkonzepten – getrieben von der Idee, damit die Resilienz ihrer Rohstoffversorgung zu verbessern. Ein weiterer wichtiger Treiber sind die gesetzlichen Verpflichtungen der Unternehmen, ihre Prozesse klimaneutral aufzustellen – hier ist der Einsatz recycelter Rohstoffe natürlich nicht zum Nulltarif zu haben; auf lange Sicht sind die dafür notwendigen Technologien aber schon deutlich ausgereifter und die Kosten pro eingesparter Tonne CO2 bei entsprechender Skalierung niedriger. Aber obwohl das Thema Kreislaufwirtschaft damit immer stärker auch in den Strategieabteilungen der Unternehmen ankommt, faktisch fehlt es an einer selbsttragenden Innovationsdynamik. Noch immer beträgt das Verhältnis von recycelten Rohstoffen und Gesamtrohstoffbedarf gerade mal 13 Prozent; rechnerisch sind also 87 Prozent aller Rohstoffe noch immer Primärmaterial. Die dafür von vielen genannten Gründe sind einerseits rational: In wirtschaftlich schwierigen Zeiten fehlt es an finanziellen Ressourcen, um ausreichend in die Transformation zur zirkulären Wertschöpfung zu investieren. Gleichzeitig ist den meisten sehr bewusst, dass Deutschland damit droht, seine eigentliche hervorragende Ausgangsbedingungen in diesem zentralen Zukunftsmarkt zu verspielen. Die Bundesregierung hat vor diesem Hintergrund im Dezember 2024 ihre „Nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie“ (NKWS) verabschiedet. Erklärtes Ziel ist es, die Transformation zur Kreislaufwirtschaft zu beschleunigen. Dafür benennt die Strategie ambitionierte Ziele, beispielsweise die faktische Halbierung des Bedarfs an primären Rohstoffen; im Kern aber vor allem über 130 konkrete Maßnahmen. Diese gehen weit über Abfallwirtschaft hinaus, sondern betreffen z. B. die fokussierte Digitalisierung im Recyclingsektor, innovative Finanzierungsmechanismen oder auch Mindestrezyklatquoten, um so einen sicheren Absatzmarkt für hochwertige Sekundärrohstoffe zu schaffen. Aber natürlich ist Papier geduldig und die eigentliche Herausforderung liegt in der jetzt anstehenden Umsetzung. Ein zentraler Schlüssel wird dabei sein, Allianzen zu schaffen – zwischen all den Akteuren, die in einer Kreislaufwirtschaft profitieren wollen von den erhofften positiven Effekten für Klimaschutz, einheimische Beschäftigung, Aufträgen für den Maschinenbau usw. Die in der NKWS angekündigte Plattform muss es daher schaffen, genau solche Allianzen zu bilden und sich nicht in endlosen Debatten über die 100 Prozent perfekte Lösung zu verlieren – denn die internationale Konkurrenz schläft nicht und es ist überhaupt nicht gegeben, dass die erhofften Vorteile tatsächlich am Standort Deutschland realisiert werden. Die nächsten 24 Monate werden daher maßgeblich darüber entscheiden, ob Deutschland am Ende zu den Gewinnern oder den Verlierern der zirkulären Transformation gehören wird.