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7. Okt 2020

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Wirtschaft

Energiebranche im Wandel

Journalist: Chan Sidki-Lundius/Alicia Steinbrück

Prof. Dr. Hans-Martin Henning ist Institutsleiter des renommierten Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme ISE. Wir sprachen mit ihm über die Herausforderungen und die nächsten Schritte der  Energiewende.

Prof. Dr. Hans-Martin Henning, Institutsleiter des renommierten Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme ISE 

Die Energiewende ist ein komplexes und ambitioniertes Großprojekt, das einen grundsätzlichen Umbau des Energieversorgungssystems bedingt. Über dessen Notwendigkeit sind sich nahezu alle Klimaexperten und -wissenschaftler einig. Allerdings zeigt sich mittlerweile immer deutlicher, dass eine Absenkung der Treibhausgasemissionen in Deutschland um 80 Prozent bis 2050 gegenüber 1990 nicht ausreichen wird, um einen angemessenen Beitrag Deutschlands zur Erreichung der 2015 in Paris vereinbarten Klimaschutzziele zu erreichen und den globalen Temperaturanstieg auf im Mittel zwei Grad oder weniger gegenüber vorindustriellem Niveau zu begrenzen. „Der nötige Umstieg auf erneuerbare Energiesysteme geht dafür zu langsam. Und es wird immer offensichtlicher, dass neben Fragen der technischen Machbarkeit und der Kosten gesellschaftliches Verhalten eine maßgebliche Rolle dafür spielt, ob und in welcher Form eine Umsetzung der Energiewende gelingen wird“, sagt Prof. Dr. Hans-Mar-tin Henning. Zu den wichtigsten Hemmnissen auf dem Weg zur Erreichung der ambitionierten Klimaziele zählt er zum Beispiel die regulatorischen Marktrahmenbedingungen, insbesondere in Bezug auf das Stromsystem, und die teilweise fehlende Akzeptanz für den Bau von Hochspannungstrassen oder den nötigen Ausbau der Windenergie. Eine wesentliche Voraussetzung für das Erreichen der anspruchsvollen, aber in der Sache notwendigen, Klimaziele ist für Henning die kontinuierliche Weiterentwicklung aller relevanten Technologien zur Wandlung, Speicherung, Verteilung, Nutzung und Systemintegration erneuerbarer Energien. „Eine inländische Nutzung von thermischen und elektrischen Speichern erscheint mir ebenso sinnvoll zu sein wie der Aufbau einer heimischen Produktion, Weiterverarbeitung und Nutzung von Wasserstoff in den vielfältigen Anwendungsbereichen“, betont Henning vor dem Hintergrund, dass die Elektrolyse, verbunden mit der Nutzung von grünem Wasserstoff, als zentraler Baustein der zukünftigen Energieversorgung gesehen wird. Denn Wasserstoff kann neben seiner direkten Nutzung auch in weitere stoffliche Energieträger oder Chemikalien, wie z. B. Methanol, weiter gewandelt werden. Damit kann er nicht nur einen wesentlichen Beitrag zur angestrebten Treibhausgasneutralität aller energieverbrauchenden Sektoren leisten, insbesondere in den Bereichen Verkehr und Industrie, sondern obendrein zur Systemintegration fluktuierender erneuerbarer Energien beitragen. Für Wasserstoff und seine Folgeprodukte spricht außer-dem seine hohe Speicher- und Transportierbarkeit, was wichtig ist, um saisonal bedingte Lastenausgleiche zu realisieren. 

Zurück zu den Speichersystemen: Hier wird nach Auffassung von Professor Henning immer deutlicher, dass zusätzliche Speichersysteme benötigt  werden, um den zunehmend auftreten-den „Mismatch“ aus Erzeugung und Lastverläufen sicherzustellen. „Da gibt es kein entweder oder“, betont Henning. „Was wir brauchen, ist – neben Maß-nahmen des Lastmanagements – ein intelligenter Mix aus Kurz- und Langzeitspeichersystemen.“ Anders sei eine Flexibilisierung der Strombereitstellung und -nutzung, die zu einem Schlüsselelement der Systementwicklung werde, nicht zu bewerkstelligen. Hintergrund ist ein fundamentaler Paradigmenwechsel. Während lange Jahre die bedarfs-gerechte Stromerzeugung durch eine überschaubare Anzahl an Kraftwerken angesagt war, wird es in der Zukunft hauptsächlich darum gehen, einen fort-währenden Ausgleich zwischen erneuerbaren Energien wie Wind und Sonne, regelbaren Kraftwerken, flexiblen Lasten und Speichern zu gewährleisten. „Das ist eine anspruchsvolle Aufgabe“, gibt Henning zu. Dennoch gibt er sich zuversichtlich, dass trotz eines immer höheren Anteils fluktuierender erneuerbarer Energien für die Strombereitstellung in jeder Stunde und in allen Verbrauchssektoren auch langfristig eine sichere Versorgung erreicht werden kann. Das untermauert auch die neue ISE-Studie „Wege zu einem klimaneutralen Energiesystem – Die deutsche Energiewende im Kontext gesellschaftlicher Verhaltensweisen“. Sie kommt unter anderem zu dem Schluss, dass auf Basis erneuerbarer Energien hergestellter Strom zur wichtigsten Primärenergie wird und dass aufgrund der Sektorenkopplung mit einem stark steigenden Strombedarf zu rechnen ist: Die Ergebnisse reichen vom 2- bis 2,5-fachen des heutigen Werts. Die installierte Leistung von Wind- und Photovoltaikanlagen müsse dafür um einen Faktor vier bis sieben im Vergleich zur heute installierten Gesamtleistung ansteigen, heißt es in der Studie.
Henning sieht in der Corona-Pandemie Parallelen zur Klimakrise, schließlich verlangen beide ein gleichermaßen ambitioniertes Handeln, um die Auswirkungen der Krisen möglichst eingrenzen zu können. Bei Corona waren und sind politische Handlungen schnell möglich gewesen – die Klimakrise wartet hinge-gen noch auf ähnlich starke politische Ambitionen. Zusätzlich habe die Coro-na-Krise gezeigt, wie globale Lieferketten ins Wanken geraten können. Aus diesem Grund ist es, so Henning, elementar, die Energieversorgung zu sichern – beispielsweise mit dem Wiederaufbau einer Photovoltaik-Produktion in Europa. 
Auf der Wunschliste von Professor Henning steht eine alle Sektoren umfassende Bepreisung von Klimagasemissionen, möglichst auf europäischer Ebene, ganz weit oben. Außerdem hält er es für wichtig, dass die Technologiekompetenz für Schlüsseltechnologien, wie zum Beispiel Photovoltaik, Windenergie, Batterietechnik oder Wasserstofftechnik, in Deutschland und Europa gehalten wird, was auch deren Herstellung in Europa voraussetzt. Und vor allem wünscht er sich, dass 
die Bundesrepublik die Energiewende beherzt weiterführt, ohne aber die globale Perspektive aus den Augen zu verlieren. Denn energieautark zu werden, das sei ein falsches Ziel. 

23. Dez 2025

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Gesellschaft

Warum es so wichtig ist, konsequent nachhaltig zu bauen – Ein Beitrag von Dr. Christine Lemaitre, Geschäftsführender Vorstand DGNB e.V.

Nachhaltiges Bauen bedeutet weit mehr als energieeffiziente Gebäude oder den Einsatz ökologischer Materialien. Es beschreibt einen ganzheitlichen Ansatz, bei dem Gebäude über ihren gesamten Lebenszyklus hinweg betrachtet werden: von der Planung über den Bau und die Nutzung bis hin zu Umbaumaßnahmen oder den Rückbau. Ziel ist es, Umweltbelastungen zu minimieren, Ressourcen zu schonen, Menschen gesunde und lebenswerte Räume zu bieten und gleichzeitig wirtschaftlich sinnvolle Lösungen zu schaffen. Stand heute ist der Bausektor nach wie vor für einen erheblichen Teil der globalen CO2-Emissionen, den Verbrauch natürlicher Ressourcen und den zunehmenden Verlust der Biodiversität verantwortlich. Gleichzeitig verbringen wir den Großteil unseres Lebens in geschlossenen Räumen, die unser Wohlbefinden stärken sollen, ohne dabei die Zukunft unseres Planeten zu gefährden. Zudem leben immer mehr Menschen in der Stadt. Der Bedarf an attraktiven und dazu noch klimaresilient gestalteten Freiräumen wächst. Nachhaltige Architektur bietet einen ganzheitlichen Ansatz, um die Klimakrise zu bekämpfen, soziale Gerechtigkeit zu fördern und langfristige wirtschaftliche Stabilität zu gewährleisten. Wie ein Perspektivwechsel in diese Richtung gelingen kann, zeigen wir noch bis zum 28. Januar 2026 mit der ersten DGNB Ausstellung „What If: A Change of Perspective“ in der Berliner Architekturgalerie Aedes. Die Ausstellung fordert Besucherinnen und Besucher dazu auf, gewohnte Denkmuster zu hinterfragen und die Themenvielfalt des nachhaltigen Bauens neu und unvoreingenommen auf sich wirken zu lassen. >Nachhaltige Architektur bietet einen ganzheitlichen Ansatz, um die Klimakrise zu bekämpfen, soziale Gerechtigkeit zu fördern und langfristige wirtschaftliche Stabilität zu gewährleisten. Anhand gebauter Beispiele wird deutlich, dass viele Lösungen bereits existieren. So erfährt der Besuchende anschaulich, wie Gebäude klima- und ressourcenschonend geplant werden können, indem Materialien im Kreislauf geführt, Energie effizient genutzt oder sogar erzeugt wird und der gesamte Lebenszyklus eines Gebäudes berücksichtigt bleibt. Ebenso thematisiert werden Klimaanpassung und Resilienz: durch kluge Gestaltung, Begrünung und Freiräume können Gebäude und Städte besser mit Hitze, Starkregen oder Trockenperioden umgehen. Ein weiterer Fokus liegt auf dem Menschen. Nachhaltiges Bauen stellt das Wohlbefinden, die Gesundheit und das soziale Miteinander in den Mittelpunkt. Architektur kann Begegnung fördern, Identität stiften und bezahlbaren Wohnraum schaffen, ohne dabei die Umwelt aus dem Blick zu verlieren. Auch der verantwortungsvolle Umgang mit bestehenden Gebäuden spielt eine zentrale Rolle. Sanieren, Umnutzen und Weiterbauen im Bestand werden als Strategien gezeigt, um Flächen zu schützen und Ressourcen zu sparen. Nicht zuletzt wird klar, dass Nachhaltigkeit keine Kostenspirale sein muss. Ganzheitlich geplante Gebäude sind oft wirtschaftlicher, weil sie langfristig Betriebskosten senken, Risiken minimieren und ihren Wert erhalten oder steigern. Nachhaltiges Bauen ist kein abstraktes Expertenthema und schon gar keine Zukunftsvision, sondern eine konkrete Chance. Für lebenswerte Städte, für gesunde Räume und für eine gebaute Umwelt, die den Herausforderungen unserer Zeit gewachsen ist. Als inhaltlich getriebener Non-Profit-Verein begreifen wir das nachhaltige Bauen seit unserer Gründung vor 18 Jahren als gesellschaftliche Aufgabe, nach der wir unser Handeln ausrichten. Mit der Ausstellung laden wir jeden einzelnen ein, genauer hinzusehen, weiterzudenken und selbst Teil des Wandels zu werden. Weitere Informationen gibt es unter www.dgnb.de/aedes