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5. Dez 2022

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Wirtschaft

Energiepreisnotstand im Mittelstand

Journalist: Julia Butz

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Foto: DMB/Jochen Rolfes

Die Energiekrise hat gravierende Auswirkungen, gerade für kleine und mittelständische Unternehmen stellt sie eine existenzbedrohende Belastung dar.

Eine fehlgeleitete Energiepolitik in Kombination mit den Folgen des Ukrainekrieges hat dazu geführt, dass sich Europa mit einer ernsthaften Energiekrise konfrontiert sieht. Der Deutsche Mittelstands-Bund (DMB) prognostiziert schwerwiegende Folgen für die deutsche Wirtschaft. Laut einer aktuellen DMB-Blitzumfrage* leiden über 70 % der kleinen und mittleren Unternehmen deutlich unter den explodierenden Energiepreisen, 10 % empfinden die Lage als existenzbedrohend. DMB-Vorstand Marc S. Tenbieg sieht die Politik in der Pflicht und kritisiert die zu späten Maßnahmen als reine „kostenintensive Beruhigungspille“. Er fordert: „Wenn Unternehmen nicht schnell und spürbar entlastet werden, droht Deutschland eine Insolvenzwelle.“

Herr Tenbieg, wie steht es um den deutschen Mittelstand?
Viele Betriebe, die noch recht gut gerüstet in die Coronapandemie gerutscht sind, haben ihre Reserven nun aufgebraucht und stehen an der Grenze ihrer Belastbarkeit. Wir befinden uns in einer Multikrisensituation: Internationale Verwerfungen, geopolitische Veränderungen, auch arbeitsrechtlichen Themen, inflationsbegründete hohe Lohnforderungen, die zu einer Lohn-Preis-Spirale führen können, etc. Sicherlich kann man mit Krisen umgehen, aber ohne Perspektive bewegt man sich orientierungslos im Dunklen und versucht irgendwo Licht am Horizont zu sehen. Und das sehen viele Unternehmen derzeit nicht. Der Mittelstand braucht Planungssicherheit und einen echten Masterplan, wie die Energiekrise strukturell überwunden werden kann und vor allem, wie lange es dauern wird.

Kann De-Globalisierung die Rettung sein?
Einseitige Abhängigkeiten sind gefährlich und Autonomie verspricht auch ein gewisses Maß an Sicherheit. Wir haben nicht zuletzt durch die Pandemie gesehen, wie weltweite Lieferketten unterbrochen wurden und der russische Angriffskrieg hat die Schwächen unserer globalisierten Wirtschaft und Abhängigkeit von Energie und Rohstoffen schmerzlich offengelegt. Die Frage ist aber doch, zu welchem Maß wirtschaftlicher Souveränität die deutsche oder europäische Wirtschaft überhaupt in der Lage ist?
In der Europäischen Union gab es einen Zusammenhalt, der lange Zeit gut funktioniert hat, jetzt aber langsam wieder zu bröckeln beginnt. Das sehen wir insbesondere in den Staaten, die eine primär populistische und nationalstaatlich ausgerichtete Politik verfolgen. Bei solchen Multikrisen und notwendig gewordenen Transformationsprozessen muss man in der EU aber zusammenstehen. Wir brauchen ein Solidaritätsgefühl zwischen Privathaushalten und Unternehmen und auch eine politische Solidarität zur Meisterung der nationalen und europäischen Probleme.

Die Erzeugerpreise sind lt. des Statistischen Bundesamtes um über 45 % nach oben geschossen – so hoch wie noch nie seit 1949.
Der Begriff der De-Industrialisierung macht nicht umsonst die Runde. Wenn in Deutschland der günstige Bezug von Energie, den wir über eine sehr lange Zeit hatten, von jetzt auf gleich Geschichte geworden ist - ob für Gas oder Strom - und energieintensive Unternehmen nicht mehr wettbewerbsfähig produzieren können, werden Produktionsstandorte zwangsläufig auch ins Ausland verlegt werden müssen. Und wenn man sich ‚Made in Germany‘ nicht mehr erlauben kann, stellt sich die Frage, was vom ehemaligen Industriestandort Deutschland noch übrigbleiben wird.

Wie stark ist der Mittelstand betroffen?
Die Branchen, die besonders belastet sind, sind natürlich erst einmal die, die besonders viel Energie verbrauchen. Die Problematik rutscht aber von der Industrie bereits in andere Branchen und ist ebenso maßgeblich für den Bäcker, der backen und kühlen muss oder den Friseur, der für seine Dienstleistung Licht, Wasser und Strom benötigt – überall dort, wo der Energieanteil bezogen auf die Gesamtkosten relativ hoch ist. Büroflächen müssen trotz Strompreis- und Energiepreiserhöhung bewirtschaftet werden, auch wenn viele Mitarbeiter im Homeoffice sind.

Was können KMU tun?
Neben der nachhaltigen und digitalen Umstrukturierung brauchen vor allem die „alten Branchen“ sehr viel mehr Innovation, um den Turn-Around zu schaffen. Deutschland war z. B. nie Start-up freundlich. In den USA gibt es eine andere Kultur, um Innovationen anzugehen – und eine andere Kultur des Scheiterns. Auch hierzulande gibt es sehr gute Start-up-Netzwerke und gute Entwicklungen in den bundesweiten Kompetenzzentren. Aber dass man erst Innovationsförderprogramme initiieren muss, um Innovation in bestehende Unternehmen zu bekommen, zeugt doch von einer gewissen alten Denke und einem hohen Maß an Schwerfälligkeit.

Deutschland - Nicht mehr das Land der Dichter und Denker?
Andere Länder haben uns als Innovationsführer schon lange den Rang abgelaufen, da reicht ein Blick auf die Anzahl der Patentanmeldungen aus. Natürlich gibt es auch Branchen, die sehr gut funktionieren, wie Unternehmensberatungen oder der Onlinehandel, auch in die Digitalisierung wird sehr viel investiert. Es sind nun einmal die in die Jahre gekommenen Branchen, die nicht mehr so erfolgreich sind wie vor 30 Jahren, was völlig natürlich ist. Altes darf nicht immer älter werden und muss sich erneuern.

Wie kann das gelingen?
Beispielsweise durch die Verknüpfung eines jungen Start-ups mit der Büroinfrastruktur, dem Kapital und dem ‚alten Know-how‘ eines erfolgreichen Generationenbetriebes: Den Neuen gibt man die Chance und profitiert durch dessen Innovationsimpuls. Auch hier greift wieder der Solidaritätsgedanke. Nur mit einer starken Gemeinschaft können wir Multikrisen bewältigen.

*Basis: 400 kleine und mittlere Unternehmen/ DMB-Blitzumfrage 8/22

23. Dez 2025

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Gesellschaft

Warum es so wichtig ist, konsequent nachhaltig zu bauen – Ein Beitrag von Dr. Christine Lemaitre, Geschäftsführender Vorstand DGNB e.V.

Nachhaltiges Bauen bedeutet weit mehr als energieeffiziente Gebäude oder den Einsatz ökologischer Materialien. Es beschreibt einen ganzheitlichen Ansatz, bei dem Gebäude über ihren gesamten Lebenszyklus hinweg betrachtet werden: von der Planung über den Bau und die Nutzung bis hin zu Umbaumaßnahmen oder den Rückbau. Ziel ist es, Umweltbelastungen zu minimieren, Ressourcen zu schonen, Menschen gesunde und lebenswerte Räume zu bieten und gleichzeitig wirtschaftlich sinnvolle Lösungen zu schaffen. Stand heute ist der Bausektor nach wie vor für einen erheblichen Teil der globalen CO2-Emissionen, den Verbrauch natürlicher Ressourcen und den zunehmenden Verlust der Biodiversität verantwortlich. Gleichzeitig verbringen wir den Großteil unseres Lebens in geschlossenen Räumen, die unser Wohlbefinden stärken sollen, ohne dabei die Zukunft unseres Planeten zu gefährden. Zudem leben immer mehr Menschen in der Stadt. Der Bedarf an attraktiven und dazu noch klimaresilient gestalteten Freiräumen wächst. Nachhaltige Architektur bietet einen ganzheitlichen Ansatz, um die Klimakrise zu bekämpfen, soziale Gerechtigkeit zu fördern und langfristige wirtschaftliche Stabilität zu gewährleisten. Wie ein Perspektivwechsel in diese Richtung gelingen kann, zeigen wir noch bis zum 28. Januar 2026 mit der ersten DGNB Ausstellung „What If: A Change of Perspective“ in der Berliner Architekturgalerie Aedes. Die Ausstellung fordert Besucherinnen und Besucher dazu auf, gewohnte Denkmuster zu hinterfragen und die Themenvielfalt des nachhaltigen Bauens neu und unvoreingenommen auf sich wirken zu lassen. >Nachhaltige Architektur bietet einen ganzheitlichen Ansatz, um die Klimakrise zu bekämpfen, soziale Gerechtigkeit zu fördern und langfristige wirtschaftliche Stabilität zu gewährleisten. Anhand gebauter Beispiele wird deutlich, dass viele Lösungen bereits existieren. So erfährt der Besuchende anschaulich, wie Gebäude klima- und ressourcenschonend geplant werden können, indem Materialien im Kreislauf geführt, Energie effizient genutzt oder sogar erzeugt wird und der gesamte Lebenszyklus eines Gebäudes berücksichtigt bleibt. Ebenso thematisiert werden Klimaanpassung und Resilienz: durch kluge Gestaltung, Begrünung und Freiräume können Gebäude und Städte besser mit Hitze, Starkregen oder Trockenperioden umgehen. Ein weiterer Fokus liegt auf dem Menschen. Nachhaltiges Bauen stellt das Wohlbefinden, die Gesundheit und das soziale Miteinander in den Mittelpunkt. Architektur kann Begegnung fördern, Identität stiften und bezahlbaren Wohnraum schaffen, ohne dabei die Umwelt aus dem Blick zu verlieren. Auch der verantwortungsvolle Umgang mit bestehenden Gebäuden spielt eine zentrale Rolle. Sanieren, Umnutzen und Weiterbauen im Bestand werden als Strategien gezeigt, um Flächen zu schützen und Ressourcen zu sparen. Nicht zuletzt wird klar, dass Nachhaltigkeit keine Kostenspirale sein muss. Ganzheitlich geplante Gebäude sind oft wirtschaftlicher, weil sie langfristig Betriebskosten senken, Risiken minimieren und ihren Wert erhalten oder steigern. Nachhaltiges Bauen ist kein abstraktes Expertenthema und schon gar keine Zukunftsvision, sondern eine konkrete Chance. Für lebenswerte Städte, für gesunde Räume und für eine gebaute Umwelt, die den Herausforderungen unserer Zeit gewachsen ist. Als inhaltlich getriebener Non-Profit-Verein begreifen wir das nachhaltige Bauen seit unserer Gründung vor 18 Jahren als gesellschaftliche Aufgabe, nach der wir unser Handeln ausrichten. Mit der Ausstellung laden wir jeden einzelnen ein, genauer hinzusehen, weiterzudenken und selbst Teil des Wandels zu werden. Weitere Informationen gibt es unter www.dgnb.de/aedes