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4. Apr 2019

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Lifestyle

„Entscheidend ist die Perspektive“

Journalist: Ulrike Christoforidis

Anfang der 2000er wurde Andrea Kutsch als Pferdeflüsterin bekannt – und entwickelt die Kommunikation mit den Tieren seither wissenschaftsbasiert weiter. Was Menschen für ihr Miteinander daraus lernen können, erzählt das neue Buch der 51-Jährigen.

Sie hat eine Ausbildung zur Groß- und Außenhandelskauffrau abgeschlossen, war als  Windsurferin Achte der Weltrangliste der Professional Boardsailors Association im Slalom und wurde mit ihrem Marktforschungsinstitut als innovative Jungunternehmerin ausgezeichnet. Das alles, bevor sie mit Mitte 30 als Pferdeflüsterin Hallen mit 20.000 Menschen füllte und  begann, eine eigene Trainingsmethode zu entwickeln: Andrea Kutsch hat bereits viele Wege beschritten – und wenn sie etwas mache, so sagt sie selbst, dann mache sie es richtig, mit klarem Fokus und voller Intensität. Das glaubt man der charismatischen Pferdetrainerin und Autorin mehrerer Bücher, deren Leidenschaft für ihr Sujet bei jedem einzelnen Wort mitschwingt, sofort. So trat das Reiten, mit dem sie als Schulkind begonnen hatte, für eine Weile zugunsten ihrer zweiten Passion, des Surfens, in den Hintergrund. Dass sie die Prioritäten in dieser Weise setzte, lag auch an ihrer kritischen Einstellung zum Pferdesport, wie er damals betrieben wurde: „Ab einem gewissen Leistungsniveau war sehr viel Druck da. Das Pferd mit Gewalt und unter Stress zu etwas zu bewegen, ging mir gegen die Natur.“ Sie zog nach Kapstadt und von dort um die Welt: „Dann hatte ich für mich alles erreicht, war als Surferin in den Top Ten und wusste, weiter geht es nicht. Ich hatte alle Strände gesehen, der Wind war raus.“ Zeit für den Abschied vom professionellen Surfen.

Den Weg zurück zu den Pferden fand die Sportlerin durch Zufall. Ein Freund plante, in den USA an einem „cattle drive“, einem Rindertrieb teilzunehmen. „Und da wollte ich mit.“ Der rauhe Umgang einiger Cowboys mit den Tieren setzte Andrea Kutsch zu. Ihr damaliger Partner, der Polospieler Thomas Winter, brachte sie schließlich zu Pferdeflüsterer Monty Roberts, der den gewaltfreien Umgang mit Pferden und die Kommunikation mit ihnen auf Basis ihrer natürlichen Verhaltensweise praktizierte.

Rückblickend bezeichnet Andrea Kutsch dessen Ansatz als die dritte „Epoche“ in der Pferdewirtschaft. Vorangegangen, so lehrt sie es heute in ihrer Akademie, sei zunächst die klassische Reitschule der Kavallerie, bei der das Pferd mit Hilfe von Zwangswerkzeugen und -maßnahmen unterdrückt worden sei. Es folgte die zweite, die „Pawlowsche“ Epoche, in der die Tiere durch Belohnungen konditioniert und  für ihre Nutzung trainiert wurden. „Ich habe alle Epochen durchlaufen und fand den Ansatz von Monty, der die Kommunikation der Pferde untereinander beobachtete und das Verhalten eines Pferdes im Training imitierte, richtig gut. Damals dachten wir – wie man das ja häufig tut – unser Weg sei der einzig Richtige.“  Bis sie nach einer Veranstaltung von einer Wissenschaftlerin angesprochen wurde. Ein Gespräch, das den Anstoß zu einer neuen Entwicklung gab: „Das Ganze war zu strategisch gedacht, das wurde mir klar. Ich bin ja nun einmal kein Pferd, sondern werde von diesem als andere Spezies wahrgenommen, auch wenn ich es imitiere.“ 

Kutsch kontaktierte Wissenschaftler weltweit, suchte und fand Kooperationspartner an Hochschulen, recherchierte die Ergebnisse zahlreicher Studien und entwickelte EBEC (evidence-based equine communication), eine  Trainingsmethode, die sie an ihrer Akademie lehrt und in ihrem neuen Buch „Aus vollem Herzen“ beschreibt. Und kontinuierlich weiter entwickelt. Die Tiere in Ruhe und Gelassenheit auf alle Nutzungsformen vorzubereiten ist ihr Ziel. Kern der Methode ist es, die Perspektive des Pferdes einzunehmen und Wege zu finden, ihm Botschaften mitzuteilen. „Wir präsentieren dem Pferd einen Reiz und sehen die Reaktion. Das ist wie ein Feedbackgespräch, wie ein Dialog mit dem Pferd. Statt aus unserer Sicht zu interpretieren, stelle ich Fragen und ‚lese‘ die Reaktion.“ Die Atmosphäre beim Training sei heiter, die Pferde, so erzählt Kutsch, seien ruhig – und dadurch auch aufnahmebereiter für das, was sie lernen sollten. „Wir können das Verhalten von innen her trainieren, statt durch Instrumente. Wir gehen mit Fakten vor und vermeiden Interpretationen.“ Das behutsame Vorgehen, das Stress vermeidet, ist entscheidend: „Ein Peitschenhieb im falschen Moment des Lernprozesses kann alle vorherigen Infos löschen.“ 

Und wie ist es für die versierte Pferdetrainerin, zu sehen, wenn andere Methoden angewandt werden? Früher, so erzählt sie, konnte Andrea Kutsch es kaum ertragen, zu einem Turnier zu gehen. Sie bewertete Reiter aus ihrer Perspektive. Inzwischen betrachtet sie das Verhalten der Pferde ohne Interpretation oder Bewertung, mit Interesse – und lernt daraus. „Ich sehe dann, da ist der Reiter auf eine bestimmte Weise angeritten und überprüfe gedanklich ob ich das folgende Verhalten in der Geste des Pferdes richtig abgelesen habe. Die Perspektive des Pferdes durch fundiertes Wissen einzunehmen und nicht zu interpretieren, erfordert Übung. Dafür sind Turnierplätze hervorragend geeignet. Nicht um zu bewerten, sondern um sich weiter zu entwickeln.“ Ein Sendebedürfnis, den Wunsch, zu „missionieren“ habe sie nicht mehr – und das mache vieles leichter. „Jeder, der ein Pferd hat, gibt jeden Tag das Beste, auch ein Hochleistungssportler, nur manchmal ist er zu sehr in seiner Perspektive.“ 

Die Perspektive des Gegenübers einzunehmen, das ist für Andrea Kutsch auch in anderen Zusammenhängen entscheidend. Um die Bedürfnisse des anderen zu sehen und zu verstehen, müsse man mit dessen Augen auf die Situation schauen. Durch ihre Arbeit mit den Pferden hat sie vieles gelernt, das sich auf zwischenmenschliche Beziehungen übertragen lässt: „Wer mit Pferden kommuniziert, muss es auch mit Menschen können.“

11. Jul 2025

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Gesundheit

Wo demenzkranke Menschen mit allen Sinnen gefordert sind – mit Esther Daenschel, zertifizierte Gartentherapeutin nach IGGT, Hospital zum Heiligen Geist

![Esther_Daenschel_xl online.jpg](https://cwbucket.fra1.digitaloceanspaces.com/Esther_Daenschel_xl_online_7618aeaf4e.jpg) ``` Esther Daenschel, zertifizierte Gartentherapeutin nach IGGT, Hospital zum Heiligen Geist ``` **Was ist ein Sinnesgarten?** Ein Therapie- und Sinnesgarten ist ein gestalteter Raum, der alle Sinne anspricht und Menschen mit Demenz positive Erlebnisse ermöglicht. Besonders wichtig sind die Barrierefreiheit und die klare Aufteilung in verschiedene Gartenbereiche, die die Orientierung erleichtern und unterschiedliche Bedürfnisse – von Aktivierung bis Entspannung – ansprechen. Jeder Therapiegarten ist individuell und sollte immer an die Gegebenheiten vor Ort, das Klientel und die Menschen, die ihn mit Leben füllen, angepasst werden. **Welche Bedeutung haben solche Gärten für demenzkranke Menschen?** Für Menschen mit Demenz hat ein Therapie- und Sinnesgarten große therapeutische Bedeutung. Er wirkt anregend, vermittelt Geborgenheit, kann Erinnerungen wecken und den Erhalt von Alltagskompetenzen unterstützen. Sinnesgärten stärken Selbstwirksamkeit, Teilhabe und Lebensqualität und bieten Raum für Begegnung und sinnvolle Beschäftigung. Sie fördern soziale Kontakte, bieten Abwechslung und schaffen kleine Inseln der Ruhe, Begegnung und Aktivität. **Welche Aktivitäten sind dort möglich?** In unserem Therapie- und Sinnesgarten im Hinsbleek 9 können vielfältige Angebote stattfinden, die sich an den individuellen Fähigkeiten und Ressourcen der Bewohner:innen orientieren. Neben der Sinnesanregung durch Riechen, Tasten und Schmecken von Kräutern, Gemüse und Obst können die Besucher:innen unter der Pergola oder auf der Klönschnackbank gemeinsam sitzen und plaudern. Bewegungseinheiten wie Spaziergänge und Naturbeobachtungen fördern die Mobilität und Wahrnehmung. Darüber hinaus bietet unser Sinnesgarten barrierefreie Hochbeete, die unterfahrbar oder in Stehhöhe zum Gärtnern einladen.

17. Jun 2025

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Lifestyle

DIY als Philosophie – mit Jonas Winkler

![JonasWinkler Online.jpg](https://cwbucket.fra1.digitaloceanspaces.com/Jonas_Winkler_Online_8c75c7f697.jpg) ``` Jonas Winkler, Tischlermeister & Content Creator ``` Selbstgemacht statt gekauft: „Do it Yourself“ ist eine Einladung für jeden, das eigene Zuhause ganz persönlich und mit Herzblut zu gestalten. Ob Möbel, Deko oder kleine Reparaturen: Jedes selbstgemachte Stück, jede Upcycling-Kommode erzählt seine eigene Geschichte und macht die eigenen vier Wände noch gemütlicher. Dabei geht es um Spaß am Handwerk, die Freiheit, Materialien und Techniken nach Lust und Laune auszuprobieren – und auch darum, aus Fehlern zu lernen. Genau das lebt Jonas Winkler, Tischlermeister und Produktdesigner auf seinen Social Media-Kanälen vor. Mit seinen inspirierenden Ideen und detaillierten DIY-Tutorials motiviert er Heimwerkende und alle, die es noch werden wollen. Darf es ein ergonomischer Gaming-Tisch sein oder ein paar Kniffe, wie man ein krummes Holzbrett wieder gerade bekommt? Egal, ob großes oder kleines Projekt: „Mit etwas Selbstgemachten entsteht nicht nur ein Objekt, sondern eine emotionale Verbindung zwischen Mensch, Material und dem Stolz, etwas Bleibendes geschaffen zu haben.“ Dabei dürfen auch Fehler passieren. „Ich mache selbst nicht alles richtig, wie man in meinen Videos sieht“, sagt Jonas Winkler lachend, „das Spannende ist doch das Knobeln: Wie kriegen wir den Karren jetzt aus dem Dreck? Probleme offen zeigen und Lösungen finden, darum geht es. Aufgeben ist keine Option.“ Natürlich muss man einige Dinge nicht selbst erleben, um zu wissen, dass sie auch gefährlich sein können, betont Jonas Winkler: „Gerade Laien müssen Sicherheit priorisieren. Bei Billigwerkzeug etwa ist das Unfallpotenzial enorm. Wie schnell ein günstiger Akku überhitzt oder ein Schraubenschlüssel bricht – das demonstrieren wir in meiner Werkstatt als sicheren Raum, um Risiken zu minimieren.“ Sein eigener Weg begann mit dem Studium des Produktdesigns. Die Neugier, wie Entwürfe Realität werden, führte ihn zu ersten eigene DIY-Projekten und schließlich dazu, auch den Handwerksmeister zu absolvieren. Gerade heute, wo so vieles fremdbestimmt ist und durch Technologien immer schwerer greifbar wird, bietet das Handwerk eine besondere Möglichkeit, selbst aktiv Einfluss auf das Ergebnis zu nehmen. „Der Gedanke, etwas selbst zu designen, zu erschaffen und damit einem Möbelstück eine Geschichte zu geben, ist unersetzlich“, erklärt er. Und was braucht es seiner Meinung nach, damit das Holzhandwerk auch als Ausbildungsbetrieb attraktiv und zeitgemäß bleibt? „Inklusivität und eine positive Fehlerkultur, die Raum zum Lernen lässt, sind entscheidend – ob beim traditionellen Hobeln oder digitalen Fräsen. Das Wichtigste aber ist, das es Spaß macht.“ Also nichts wie los: Neugierig sein, ins Tun kommen und sich ein Traum-Zuhause schaffen, das genauso einzigartig ist, wie man selbst. Das nächste DIY-Projekt wartet vielleicht schon am nächsten Straßenrand. >Inklusivität und eine positive Fehlerkultur, die Raum zum Lernen lässt, sind entscheidend – ob beim traditionellen Hobeln oder digitalen Fräsen.