15. Jul 2024
|
Wirtschaft
Journalist: Armin Fuhrer
|
Foto: Elevate/pexels
Der Mittelstand in Deutschland läuft gut – trotz der Politik, findet Freenet-CEO Christoph Vilanek. Aber viele politische Vorgaben wirken hemmend.
Christoph Vilanek, CEO freenet AG
Herr Vilanek, wie beurteilen Sie den Zustand des deutschen Mittelstandes?
Es zeigt sich gerade einmal mehr, dass alles, was den deutschen Mittelstand ausmacht, also zum Beispiel seine Ingenieurskunst, die Flexibilität, Anpassungsfähigkeit, Transformation, Digitalisierung und Anwendung von Künstlicher Intelligenz, bravourös genutzt wird. So lautet das Gesamturteil. Schaut man spezifisch auf einzelne Branchen, gibt es Unterschiede. Grundsätzlich finde ich aber, dass wir im internationalen Vergleich eine hohe Leistungsbereitschaft und intelligente Menschen haben. Es ist mitnichten so, dass nur in den USA Innovationen passieren.
Der Mittelstand klagt über die Politik. Zurecht?
Wir werden in Deutschland erdrückt von bürokratischen Anforderungen. Die Wirtschaft funktioniert bis heute noch – trotz der Politik –, aber sie muss sich dringend ändern. Die Regierungen und die Institutionen insgesamt, die komplizierte Regulatorik sowie ideologisch geprägte Vorgaben mit einer Verbotspolitik, sind für den Mittelstand bedrohlich. Denn sie sorgen dafür, dass sich all die fleißigen Köpfe auf die falschen Aufgaben konzentrieren müssen, anstatt ihr Kerngeschäft betreiben zu können. Das kostet viel Zeit und Geld.
Ein Beispiel?
Mit der Einführung der CSDR werden aus den bisher ungefähr 500 berichtspflichtigen Unternehmen in Deutschland rund 15.000, die ausführliche Informationen zu Nachhaltigkeitszielen und Kennzahlen erheben müssen. Das kostet die deutsche Wirtschaft jährlich ca. 1,4 Milliarden Euro laufenden Erfüllungsaufwand. Auch wir mussten dafür zusätzliche Mitarbeitende einstellen.
Was müsste die Politik denn ändern?
Ich möchte das einmal grundsätzlich beantworten. Ich finde, jeder, der in einer Behörde oder Kommune arbeitet und wichtige Entscheidungen trifft, müsste erst einmal eine gewisse Zeit in einem Unternehmen der freien Wirtschaft arbeiten, damit er überhaupt versteht, worum es da geht. Das hilft zwar nicht sofort, wohl aber langfristig. Und die Politik muss gegenüber der Wirtschaft ihre Hybris ablegen.
Sehen Sie auch strukturelle Probleme, für die die aktuelle Politik nichts kann?
Ich habe bewusst nicht die Ampel-Regierung erwähnt, denn die Entwicklungen, über die ich spreche, haben sich über 20 oder 25 Jahre akkumuliert. Grundsätzlich ist es so, dass der Stillstand hierzulande zu gut bezahlt ist. Es existiert eine unvermeidbare strukturelle Arbeitslosigkeit, aber alle anderen, die keine Arbeit haben, haben einfach zu wenig Anreize, eine anzunehmen. Arbeit ist kein Frondienst, sondern die Existenz des Menschen. Ich nehme aber die deutsche Politik so wahr, dass sie den Menschen das nicht klarmacht, sondern genau das Gegenteil tut. Fleiß ist hierzulande schon fast geächtet.
Was droht, wenn sich nichts ändert?
Ich glaube nicht, dass es zu einer Massenabwanderung deutscher Firmen kommt. Aber wir kommen in eine Phase, in der es im Mittelstand keinen Nachwuchs mehr geben wird. Das wird zu strukturellen Veränderungen führen, die schon jetzt punktuell sichtbar werden, zum Beispiel im Handwerk oder dadurch, dass es auf dem Land keinen Arzt und keinen Supermarkt mehr gibt. Das führt zu Frustration in der Bevölkerung. Ich hoffe, dass es zu einer Gegenbewegung kommt oder quasi Selbstheilung kommt, wenn Menschen individuell betroffen sind.