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28. Sep 2023

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Wirtschaft

„Jeder kann hier beruflich einsteigen“

Journalist: Armin Fuhrer

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Foto: Mak/unsplash, © BIEK | Fotograf: Oliver Betke

Die Logistik-Branche wird in Zukunft attraktiver für Arbeitskräfte, erklärt Marten Bosselmann, Vorsitzender des Bundesverbandes Pakt und Expresslogistik.

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Marten Bosselmann, Vorsitzender des Bundesverbandes Pakt und Expresslogistik

Herr Bosselmann, wie viele andere Branchen leidet auch die Logistik-Branche unter dem Fachkräftemangel. Wie schlimm stellt sich die Situation dar?
Logistik ist zentral für die Versorgung von Menschen und Unternehmen. Öffentlich wird oft nur über die Berufskraftfahrer gesprochen, aber Logistik ist viel mehr. Die Paketbranche z. B. ist ein Erfolgsmodell mit täglich neun Millionen Sendungen – ein wesentlicher Teil des Erfolgs sind selbstverständlich die Mitarbeiter. Im langjährigen Mittel benötigen wir jährlich ca. 9.000 neue Kräfte. Das sind nicht nur Fachkräfte, sondern jeder kann hier beruflich einsteigen – sogar ohne anerkannte formale Qualifikation. Wir reden also über Arbeitskräftemangel. Allerdings arbeiten die Unternehmen auch an neuen Konzepten, die den Mangel lindern – vom Paketautomaten bis zum autonom fahrenden Transporter. Logistik ist innovativ.

Gute Arbeitsbedingungen definieren sich am Arbeitnehmer. Ein kleines Team in einem eigentümergeführten Unternehmen kann mindestens genauso gut sein, wie das eines Großkonzerns.

Wie kann es gelingen, neues Personal zu rekrutieren?
Die Menschen müssen über ihre Bedürfnisse angesprochen werden. Dazu gehört eine angemessene Bezahlung, aber auch das Angebot, selbstverantwortlich tätig zu sein. Schließlich muss die Arbeit zu den Fähigkeiten passen, um sich wohlzufühlen. Als Paketzusteller muss man z. B. Freude an Begegnungen mit Menschen haben und zuverlässig sein. Dann kann man auch innerhalb des Unternehmens Karriere machen. Kurz, die Arbeitsbedingungen müssen passen. Gute Arbeitsbedingungen definieren sich am Arbeitnehmer. Ein kleines Team in einem eigentümergeführten Unternehmen kann mindestens genauso gut sein, wie das eines Großkonzerns. Individuelle Bezahlung, ein direkter Draht zum Unternehmer und nicht monetäre Lohnbestandteile können so attraktiv sein wie für andere ein Tarifvertrag.

Wie groß ist das Potenzial, durch neue Technologien wie KI und Automatisierung fehlendes Personal zu ersetzen?
Es gibt ein großes Potenzial, die Arbeit besser zu machen. Neue Technologien führen in der Regel nicht zu weniger Arbeit, sondern zu anderer Arbeit. Beispiel Kraftfahrer: Die werden in der Zukunft nicht nur das Fahrzeug lenken, sondern der Manager der Fracht sein. Ein weiteres Beispiel sind Zusteller: Sie werden mit autonomen Fahrzeugen nicht mehr fahren müssen, sondern können sich voll und ganz auf die Zustellung konzentrieren. Dadurch werden sie nicht überflüssig, sondern effizienter. Mit KI kann das Fahrzeug besser beladen und effektiver navigiert werden.

Neue Technologien sind keine Bedrohung, sondern sie bringen uns weiter. Darüber hinaus sind sie auch unvermeidbar, denn sie bieten Effizienzsteigerungen. Zudem machen sie die Arbeit einfacher und unterstützen so die Beschäftigten.

Eine Herausforderung ist auch die Dekarbonisierung. Welche Rolle spielt die Logistik für die Klimaneutralität?
Die Unternehmen der Logistikbranche setzen Ressourcen dafür ein, um Transportaufträge zu erfüllen. Je effizienter sie diese einsetzen, desto besser. Logistik bündelt, somit ist sie weniger eine Belastung für den Klimaschutz, sondern vielmehr ein Beitrag dazu. In einem Paketfahrzeug werden pro Tag ca. 150 Pakete transportiert. Stellen Sie sich vor, diese würden im privaten Einkaufsverkehr mit Pkw bewegt werden. Das Verkehrsaufkommen wäre deutlich höher. Stattdessen sind nur ein Prozent aller Fahrzeuge in der Stadt Pakettransporter.

 

Marten Bosselmann (50), Volljurist, verheiratet mit einer Berliner Lehrerin, Vater zweier Kinder, ist ein „political animal“. Interessenvertretung ist für ihn transparente Politikunterstützung. Als Vorsitzender des BIEK ist sein großes Thema die Chancengleichheit im fairen Wettbewerb. Seine Freizeit verbringt er gern am und auf dem Wannsee.

4. Jul 2025

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Wirtschaft

Chancen für die Zukunft der Versorgung – mit Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Jürgen Debus & Dr. Johannes Danckert

![Dr_Johannes_Danckert_Copyright_Kevin_Kuka_Vivantes_online.jpg](https://cwbucket.fra1.digitaloceanspaces.com/Dr_Johannes_Danckert_Copyright_Kevin_Kuka_Vivantes_online_6e3b6d01f5.jpg) ``` Dr. Johannes Danckert, Vorsitzender der Geschäftsführung, Vivantes – Netzwerk für Gesundheit GmbH ``` **Dr. Johannes Danckert, Vorsitzender der Geschäftsführung, Vivantes – Netzwerk für Gesundheit GmbH** Digitalisierung kann die Patientenversorgung schneller, besser und sicherer machen. Immer öfter werden dabei auch die traditionellen Grenzen zwischen ambulanten und stationären Bereichen sowie einzelnen Versorgungseinrichtungen abgebaut. So kann die ‚Patient Journey‘, also der gesamte Behandlungsweg eines Patienten von Diagnose bis Nachsorge, zu einer vernetzten Gesundheitsregion verbunden werden. Trotz deutlicher digitaler Fortschritte haben deutsche Krankenhäuser allerdings weiterhin erheblichen Entwicklungsbedarf, bedingt vor allem durch kleinteilige Strukturen und unzureichende Finanzierung. Denn die Implementierung innovativer Lösungen setzt bereits einen hohen Digitalisierungsgrad voraus. Bei Vivantes wurden zentrale Prozesse wie die Patientenkurve, Medikation, Pflegeprozesssteuerung sowie Anforderungs- und Befundungsprozesse digitalisiert. Auch große Teile der Medizintechnik sind eingebunden. KI-gestützte Systeme helfen uns, Frakturen und Embolien schneller zu erkennen oder warnen vor Komplikationen wie Delir oder Nierenversagen. Künstliche Intelligenz unterstützt uns auch dabei, Patientendaten direkt aus dem Rettungswagen in das Klinik-Informationssystem (KIS) zu übertragen, sodass die Krankenakte bei Ankunft bereits angelegt ist. Eine von uns entwickelte, interoperable Datenplattform ermöglicht zudem den automatisierten Datenaustausch von inzwischen 15 Klinikträgern in der Region Berlin-Brandenburg. Damit entstehen telemedizinische Versorgungskonzepte weit über Berlin hinaus. ![prof.dr.dr.jurgendebus_online.jpg](https://cwbucket.fra1.digitaloceanspaces.com/prof_dr_dr_jurgendebus_online_d7f732ea04.jpg) ``` Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Jürgen Debus, Vorstandsvorsitzender und Leitender Ärztlicher Direktor des Universitätsklinikums Heidelberg ``` **Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Jürgen Debus, Vorstandsvorsitzender und Leitender Ärztlicher Direktor Universitätsklinikum Heidelberg** Smarte Technologien und eine optimale Datennutzung verbessern den Klinikalltag und die Patientenversorgung. Das zukünftige Herzzentrum am Universitätsklinikum Heidelberg planen wir als Smart Hospital: Dort werden z. B. OPs gefilmt und das KI-System warnt automatisch bei Veränderungen des Patienten oder ungewöhnlichen Vorgängen. So werden Risiken früh erkannt und die Sicherheit erhöht. Dank verknüpfter Patientendaten und digitalem Terminmanagement läuft auch die Vorbereitung auf Eingriffe effizienter, da benötigte Ressourcen wie CT-Termine frühzeitig ersichtlich sind. Ein smartes Entlassmanagement stellt relevante Dokumente für den Patienten automatisch bereit und koordiniert Sozialdienst, Pflege und Medikamentenbedarf, sodass der Übergang in die weitere Versorgung optimal organisiert ist. In all diesen Algorithmen und Systemen steckt das gebündelte Wissen von Ärztinnen und Ärzten, Pflegepersonal und Forschenden. Die meisten KI-Anwendungen basieren auf maschinellen Lernmodellen, die mit Patientendaten trainiert werden, um Muster zu erkennen. Je größer der verfügbare Datensatz, desto exakter fallen Diagnosen und Prognosen aus – ein wichtiger Faktor angesichts des steigenden Versorgungsbedarfs bei gleichzeitig sinkender Zahl an Fachkräften. Smarte Technologien helfen, diese Lücke zu schließen und die Versorgung weiterhin auf hohem Niveau zu gewährleisten. Damit es nicht bei Insellösungen bleibt, treiben wir die übergreifende Datenintegration voran, ähnlich wie sie in der internationalen Forschung etabliert ist.

30. Jun 2025

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Wirtschaft

Krise als Chance: Wie KI und strategisches Supply Chain Management Europas Rolle stärken können – Ein Beitrag von Dr. Lars Kleeberg, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands für Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik e.V. (BME)

Globale Lieferketten stehen unter massivem Druck. Handelskonflikte, Protektionismus und geopolitische Krisen haben die Weltwirtschaft grundlegend verändert – mit direkten Auswirkungen auf Produktion, Versorgungssicherheit und Wettbewerbsfähigkeit. Seit Trumps Zoll-Eskalationen ist klar: Lieferketten sind keine stille Infrastruktur im Hintergrund mehr – sie sind kritische Erfolgsfaktoren für Unternehmen und Volkswirtschaften. Just-in-time ist out, just-in-case-Konzepte sind jetzt notwendig. Es ist höchste Zeit, dass Deutschland und Europa ihre Abhängigkeiten hinterfragen und ihre Versorgungssicherheit neu denken. Politik und Wirtschaft sind gleichermaßen gefordert, die Schlüsselrolle von Einkauf, Logistik und Supply Chain Management strategisch anzuerkennen und aktiv zu stärken. Gerade Deutschland als Exportnation ist in besonderem Maße auf stabile, resiliente Lieferketten angewiesen. Steigende regulatorische Anforderungen wie CSRD, CSDDD, EUDR oder REACH verschärfen den Druck auf die Unternehmen zusätzlich: Einkauf, Supply Chain Management und Logistik müssen heute ökologische, soziale und wirtschaftliche Ziele gleichzeitig erfüllen – ein Spagat, der die Komplexität erheblich erhöht und insbesondere den Mittelstand herausfordert. In diesem Spannungsfeld wächst die Bedeutung von Künstlicher Intelligenz. Mithilfe von KI können Supply Chain-Manager Transparenz entlang globaler Lieferketten herstellen, Risiken frühzeitig erkennen, Compliance-Anforderungen effizienter erfüllen und Prozesse automatisieren. Doch trotz des enormen Potenzials sind KI- Anwendungen heute oft noch Pilotprojekte – gehemmt durch mangelnde Integration, rechtliche Unsicherheiten und zögerliche Entscheidungen in der Unternehmensführung. Es braucht deshalb eine klare Haltung in den Vorstandsetagen: Der strategische Einsatz von KI muss Chefsache werden. Nur, wer Technologie gezielt integriert und daraus neue Fähigkeiten entwickelt, sichert sich langfristige Wettbewerbsvorteile. Gleichzeitig müssen die politischen Entscheidungsträger in Berlin und Brüssel an einem Strang ziehen. Angesichts geopolitischer Spannungen, zunehmenden Protektionismus und wirtschaftlicher Entkopplung muss die EU mit einer Stimme zentrale Handelsabkommen und strategische Partnerschaften vorantreiben. Die neue Bundesregierung muss zügig die wirtschaftliche Resilienz unserer Unternehmen durch ein neues Außenwirtschaftsgesetz stärken und die versprochene Expertenkommission zur Risikoanalyse globaler Abhängigkeiten einsetzen. Europa kann gestärkt aus dieser Krise hervorgehen, wenn es gelingt, strategische Rohstoffe zu sichern, Handelsbeziehungen auf Augenhöhe auszubauen und ein level playing field – insbesondere im Verhältnis zu China – durchzusetzen. Ein strategischer Wandel ist unumgänglich. Insbesondere für Deutschland und Europa gilt: Versorgungssicherheit, Innovationsfähigkeit und wirtschaftliche Souveränität sind untrennbar mit robusten Lieferketten verbunden. Supply Chain Management, Einkauf und Logistik sind längst keine operativen Randfunktionen mehr – sie sind zentrale Erfolgsfaktoren in einer zunehmend fragmentierten Weltwirtschaft. Die internationale Wettbewerbsfähigkeit Europas entscheidet sich nicht in der nächsten Krise – sie entscheidet sich jetzt. >Angesichts geopolitischer Spannungen, zunehmenden Protektionismus und wirtschaftlicher Entkopplung muss die EU mit einer Stimme zentrale Handelsabkommen und strategische Partnerschaften vorantreiben.