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11. Dez 2019

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Wirtschaft

KI als Turbo für Industrie 4.0

Journalist: Kirsten Schwieger

Prof. Wolfgang Wahlster spricht über den aktuellen Status von Industrie 4.0 in Deutschland, die Rolle von KI und die Gefahren des Fachkräftemangels.

Die gute Nachricht gleich zu Beginn: Im Bereich der Technologie hat Deutschland in Sachen Industrie 4.0 den anderen globalen Playern gegenüber einen Vorsprung von zwei bis drei Jahren. Dies aus dem Munde eines der drei Väter des Konzeptes Industrie 4.0 zu hören, ist doch beruhigend. „Deutsche Unternehmen haben sich inzwischen zu Leitanbietern auf dem Weltmarkt für Industrie 4.0 entwickelt. Nach dem Vorbild der bereits 2007 operativen, weltweit ersten Smart Factory des DFKI in Kaiserslautern wurden in Deutschland zahlreiche Produktionslinien in Bestandsfabriken erfolgreich auf Industrie 4.0 umgerüstet und einige Fabrikneubauten komplett nach den Prinzipien von Industrie 4.0 für die wandlungsfähige Produktion auch kleiner Losgrößen ausgelegt. Diese sind inzwischen zu „Pilgerstätten für Produktionsexperten aus der ganzen Welt geworden“, erklärt Prof. Wahlster.

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Der langjährige Leiter des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz (DFKI) hat mit seinen Erfindungen zu digitalen Zwillingen, zur Team-Robotik und der semantischen Maschine-zu-Maschine-Kommunikation der Produktion der Zukunft den Weg geebnet. „Durch Künstliche Intelligenz werden die Maschinendaten erstmals auch inhaltlich analysierbar, so dass Qualitätsmängel bereits nach jedem Produktionsschritt erkannt und autonom behoben werden können“, spezifiziert der Informatikprofessor. Dieser Ansatz bietet enorme Wachstumschancen und Wettbewerbsvorteile. Experten prognostizieren bis 2025 Produktivitätssteigerungen von bis zu 30 Prozent.

Bis dahin ist allerdings noch ein weiter Weg zu gehen. „Wir brauchen noch mehr Migrationstechnologien, um alte Fabriken auf Industrie 4.0 umzurüsten, ohne allzu viel investieren zu müssen. Edge Devices und Funksensoren sowie deren Vernetzung über 5G sind daher aktuelle Trendthemen“, verrät Wahlster. So spielt Künstliche Intelligenz (KI) eine maßgebliche Rolle bei der 4. industriellen Revolution. „Die Grundprinzipien von Industrie 4.0., also wandelbare Fabriken und kollaborative Robotik, können nur mit KI realisiert werden. Auch wenn Deutschland derzeit hier nicht mit enormen KI-Investitionen in Nordamerika und China mithalten kann, ist es auf dem Gebiet der industriellen KI sehr gut positioniert. Und im Bereich hybrider, robotischer Technologien wie der Team-Robotik haben wir sogar die Nase vorn“, berichtet KI-Pionier Wahlster nicht ohne Stolz.

Schon heute hat Deutschland trotz der höchsten Roboterdichte Europas die geringste Arbeitslosigkeit im Produktionsbereich. „Durch KI für Industrie 4.0 kann Deutschland wettbewerbsfähig produzieren. Einige Unternehmen haben sogar damit begonnen, ins Ausland ausgelagerte Fabriken wieder nach Deutschland zurückzuholen“, erklärt Wahlster den volkswirtschaftlich interessanten Trend des „Onshoring“. KI macht den Menschen nicht überflüssig, sondern schafft neue Arbeitsplätze. „Es geht um komplementäre Assistenz. Und wenn sich das KI-System dem Menschen anpassen muss und nicht umgekehrt, ist auch die Angst unberechtigt, in hybriden Teams die Oberhand zu verlieren. Menschzentriertes Design ist ein aktuelles Thema der Datenethikkommission und unser Credo in der KI-Forschung“, berichtet Wahlster.

Doch um KI-Systeme zu entwickeln und zu betreiben, braucht es Fachkräfte. Und an diesen mangelt es Deutschland eklatant. Insbesondere an der raren Spezies, die IT mit Maschinenbau und KI kombiniert. Die wenigen Spitzenfachkräfte werden zudem vermehrt abgeworben. „Über 40.000 Stellen sind derzeit nicht besetzbar. Der aktuelle Bedarf kann nur durch Fachkräfte aus dem Ausland gedeckt werden“, mahnt Wahlster und ergänzt: „Aus diesem Grund wurden gemeinsam mit der Industrie, dem Bundesforschungs- und dem Wirtschaftsministerium große Förderprogramme aufgesetzt, um mehr Professuren auf dem Gebiet zu etablieren, bestehende KI-Forschungszentren weiter zu stärken und neue zu etablieren und um Lernzentren im dualen Bildungsbereich sowie Trainingszentren für den Mittelstand ins Leben zu rufen.“

Wenn dies gelingt, stehen die Chancen für deutsche Unternehmen laut Wahlster gut, den digitalen Strukturwandel der Industrie aktiv mitzugestalten und bis spätestens 2030 in sämtlichen Fabriken die vierte industrielle Revolution vollständig vollzogen zu haben. „Wir sehen großes Potential für Deutschland in der industriellen KI, also der Anwendung von KI auf Industrie 4.0.“

4. Jul 2025

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Wirtschaft

Chancen für die Zukunft der Versorgung – mit Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Jürgen Debus & Dr. Johannes Danckert

![Dr_Johannes_Danckert_Copyright_Kevin_Kuka_Vivantes_online.jpg](https://cwbucket.fra1.digitaloceanspaces.com/Dr_Johannes_Danckert_Copyright_Kevin_Kuka_Vivantes_online_6e3b6d01f5.jpg) ``` Dr. Johannes Danckert, Vorsitzender der Geschäftsführung, Vivantes – Netzwerk für Gesundheit GmbH ``` **Dr. Johannes Danckert, Vorsitzender der Geschäftsführung, Vivantes – Netzwerk für Gesundheit GmbH** Digitalisierung kann die Patientenversorgung schneller, besser und sicherer machen. Immer öfter werden dabei auch die traditionellen Grenzen zwischen ambulanten und stationären Bereichen sowie einzelnen Versorgungseinrichtungen abgebaut. So kann die ‚Patient Journey‘, also der gesamte Behandlungsweg eines Patienten von Diagnose bis Nachsorge, zu einer vernetzten Gesundheitsregion verbunden werden. Trotz deutlicher digitaler Fortschritte haben deutsche Krankenhäuser allerdings weiterhin erheblichen Entwicklungsbedarf, bedingt vor allem durch kleinteilige Strukturen und unzureichende Finanzierung. Denn die Implementierung innovativer Lösungen setzt bereits einen hohen Digitalisierungsgrad voraus. Bei Vivantes wurden zentrale Prozesse wie die Patientenkurve, Medikation, Pflegeprozesssteuerung sowie Anforderungs- und Befundungsprozesse digitalisiert. Auch große Teile der Medizintechnik sind eingebunden. KI-gestützte Systeme helfen uns, Frakturen und Embolien schneller zu erkennen oder warnen vor Komplikationen wie Delir oder Nierenversagen. Künstliche Intelligenz unterstützt uns auch dabei, Patientendaten direkt aus dem Rettungswagen in das Klinik-Informationssystem (KIS) zu übertragen, sodass die Krankenakte bei Ankunft bereits angelegt ist. Eine von uns entwickelte, interoperable Datenplattform ermöglicht zudem den automatisierten Datenaustausch von inzwischen 15 Klinikträgern in der Region Berlin-Brandenburg. Damit entstehen telemedizinische Versorgungskonzepte weit über Berlin hinaus. ![prof.dr.dr.jurgendebus_online.jpg](https://cwbucket.fra1.digitaloceanspaces.com/prof_dr_dr_jurgendebus_online_d7f732ea04.jpg) ``` Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Jürgen Debus, Vorstandsvorsitzender und Leitender Ärztlicher Direktor des Universitätsklinikums Heidelberg ``` **Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Jürgen Debus, Vorstandsvorsitzender und Leitender Ärztlicher Direktor Universitätsklinikum Heidelberg** Smarte Technologien und eine optimale Datennutzung verbessern den Klinikalltag und die Patientenversorgung. Das zukünftige Herzzentrum am Universitätsklinikum Heidelberg planen wir als Smart Hospital: Dort werden z. B. OPs gefilmt und das KI-System warnt automatisch bei Veränderungen des Patienten oder ungewöhnlichen Vorgängen. So werden Risiken früh erkannt und die Sicherheit erhöht. Dank verknüpfter Patientendaten und digitalem Terminmanagement läuft auch die Vorbereitung auf Eingriffe effizienter, da benötigte Ressourcen wie CT-Termine frühzeitig ersichtlich sind. Ein smartes Entlassmanagement stellt relevante Dokumente für den Patienten automatisch bereit und koordiniert Sozialdienst, Pflege und Medikamentenbedarf, sodass der Übergang in die weitere Versorgung optimal organisiert ist. In all diesen Algorithmen und Systemen steckt das gebündelte Wissen von Ärztinnen und Ärzten, Pflegepersonal und Forschenden. Die meisten KI-Anwendungen basieren auf maschinellen Lernmodellen, die mit Patientendaten trainiert werden, um Muster zu erkennen. Je größer der verfügbare Datensatz, desto exakter fallen Diagnosen und Prognosen aus – ein wichtiger Faktor angesichts des steigenden Versorgungsbedarfs bei gleichzeitig sinkender Zahl an Fachkräften. Smarte Technologien helfen, diese Lücke zu schließen und die Versorgung weiterhin auf hohem Niveau zu gewährleisten. Damit es nicht bei Insellösungen bleibt, treiben wir die übergreifende Datenintegration voran, ähnlich wie sie in der internationalen Forschung etabliert ist.

30. Jun 2025

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Wirtschaft

Krise als Chance: Wie KI und strategisches Supply Chain Management Europas Rolle stärken können – Ein Beitrag von Dr. Lars Kleeberg, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands für Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik e.V. (BME)

Globale Lieferketten stehen unter massivem Druck. Handelskonflikte, Protektionismus und geopolitische Krisen haben die Weltwirtschaft grundlegend verändert – mit direkten Auswirkungen auf Produktion, Versorgungssicherheit und Wettbewerbsfähigkeit. Seit Trumps Zoll-Eskalationen ist klar: Lieferketten sind keine stille Infrastruktur im Hintergrund mehr – sie sind kritische Erfolgsfaktoren für Unternehmen und Volkswirtschaften. Just-in-time ist out, just-in-case-Konzepte sind jetzt notwendig. Es ist höchste Zeit, dass Deutschland und Europa ihre Abhängigkeiten hinterfragen und ihre Versorgungssicherheit neu denken. Politik und Wirtschaft sind gleichermaßen gefordert, die Schlüsselrolle von Einkauf, Logistik und Supply Chain Management strategisch anzuerkennen und aktiv zu stärken. Gerade Deutschland als Exportnation ist in besonderem Maße auf stabile, resiliente Lieferketten angewiesen. Steigende regulatorische Anforderungen wie CSRD, CSDDD, EUDR oder REACH verschärfen den Druck auf die Unternehmen zusätzlich: Einkauf, Supply Chain Management und Logistik müssen heute ökologische, soziale und wirtschaftliche Ziele gleichzeitig erfüllen – ein Spagat, der die Komplexität erheblich erhöht und insbesondere den Mittelstand herausfordert. In diesem Spannungsfeld wächst die Bedeutung von Künstlicher Intelligenz. Mithilfe von KI können Supply Chain-Manager Transparenz entlang globaler Lieferketten herstellen, Risiken frühzeitig erkennen, Compliance-Anforderungen effizienter erfüllen und Prozesse automatisieren. Doch trotz des enormen Potenzials sind KI- Anwendungen heute oft noch Pilotprojekte – gehemmt durch mangelnde Integration, rechtliche Unsicherheiten und zögerliche Entscheidungen in der Unternehmensführung. Es braucht deshalb eine klare Haltung in den Vorstandsetagen: Der strategische Einsatz von KI muss Chefsache werden. Nur, wer Technologie gezielt integriert und daraus neue Fähigkeiten entwickelt, sichert sich langfristige Wettbewerbsvorteile. Gleichzeitig müssen die politischen Entscheidungsträger in Berlin und Brüssel an einem Strang ziehen. Angesichts geopolitischer Spannungen, zunehmenden Protektionismus und wirtschaftlicher Entkopplung muss die EU mit einer Stimme zentrale Handelsabkommen und strategische Partnerschaften vorantreiben. Die neue Bundesregierung muss zügig die wirtschaftliche Resilienz unserer Unternehmen durch ein neues Außenwirtschaftsgesetz stärken und die versprochene Expertenkommission zur Risikoanalyse globaler Abhängigkeiten einsetzen. Europa kann gestärkt aus dieser Krise hervorgehen, wenn es gelingt, strategische Rohstoffe zu sichern, Handelsbeziehungen auf Augenhöhe auszubauen und ein level playing field – insbesondere im Verhältnis zu China – durchzusetzen. Ein strategischer Wandel ist unumgänglich. Insbesondere für Deutschland und Europa gilt: Versorgungssicherheit, Innovationsfähigkeit und wirtschaftliche Souveränität sind untrennbar mit robusten Lieferketten verbunden. Supply Chain Management, Einkauf und Logistik sind längst keine operativen Randfunktionen mehr – sie sind zentrale Erfolgsfaktoren in einer zunehmend fragmentierten Weltwirtschaft. Die internationale Wettbewerbsfähigkeit Europas entscheidet sich nicht in der nächsten Krise – sie entscheidet sich jetzt. >Angesichts geopolitischer Spannungen, zunehmenden Protektionismus und wirtschaftlicher Entkopplung muss die EU mit einer Stimme zentrale Handelsabkommen und strategische Partnerschaften vorantreiben.