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28. Sep 2023

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Wirtschaft

Landwirtin aus Leidenschaft – Interview mit Marie Hoffmann

Journalist: Kirsten Schwieger

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Foto: Presse

Agrar-Influencerin Marie Hoffmann über Rollenbilder, Ausbildungswege und Herausforderungen in der Landwirtschaft – der für sie tollsten Branche der Welt.

Marie Hoffmann erreicht allein über Instagram 443.000 Menschen. Sie klärt Verbraucher wie auch Landwirte dort über die ganzheitlichen Facetten der Landwirtschaft auf.

Bist du ein Landmädel?
Ja, ich bin mit der Landwirtschaft großgeworden. Zwar nicht auf einem elterlichen Betrieb, aber mein Großvater war damals tätig auf Haus Düsse, der Versuchs- und Bildungsstätte der Landwirtschaftskammer NRW und hat mich damals schon immer mit zu den Landwirten in der Region genommen. Ich habe dann früh angefangen auf den Betrieben in der Soester Börde auszuhelfen und Praktika zu machen – sowohl im Tierbereich als auch im Ackerbau.

Was gibt es Vernünftigeres, als Lebensmittel zu produzieren und damit die Basis unseres Lebens abzusichern?

Warum hast du Agrarwirtschaft studiert und womit verdienst du heute dein Geld?
Ich habe schon früh in der Schule und bei Berufsberatungen geäußert, dass ich etwas im landwirtschaftlichen Bereich machen möchte. Dafür wurde ich zunächst belächelt und mir wurde gesagt, ich solle mit meinem 1er-Abi was Vernünftiges studieren. Doch was gibt es Vernünftigeres, als Lebensmittel zu produzieren und damit die Basis unseres Lebens abzusichern? Landwirtin ist so ein toller Beruf, der so viele Wissenschaften vereint – von Naturwissenschaften über die Technologie bis fast schon zur Tiermedizin. Mit meinem Master in Agrarwirtschaft leite ich heute zusammen mit einem Freund und dessen Vater deren Ackerbaubetrieb.

Gibt es ein Nachwuchsproblem bzw. Fachkräftemangel in der Landwirtschaft?
Absolut. In den handwerklichen Berufen gibt es definitiv einen Fachkräftemangel. Gute, ausgebildete Leute zu finden, ist für viele Familienbetriebe sehr schwer, weil sie gar nicht in der Lage sind, diese angemessen zu bezahlen. Aufgrund der schlechten Bezahlung und gesellschaftlichen Akzeptanz sind diese Berufe nicht sonderlich beliebt. Auch die Hofnachfolge ist schwierig. Ich kenne viele Landwirte aus der Generation meiner Eltern, die es ihren Kindern schon gar nicht mehr empfehlen, den Hof zu übernehmen. Weil sie Angst haben, dass diese den Vorurteilen und dem psychischen Druck nicht standhalten können. Von fehlender Planungssicherheit ganz zu schweigen.

Sind Frauen in der Landschaft noch unterrepräsentiert oder sogar benachteiligt?
Tatsächlich ist es eine sehr männerdominierte Branche, die noch sehr von traditionellen Rollenbildern geprägt ist. Insbesondere der Pflanzenbau und der Technikbereich. Im Tierbereich sehen wir da schon einen Wandel. Als Frau mit Fachwissen muss „man“ sich immer ein bisschen mehr beweisen und es ist manchmal schwierig, sich durchzusetzen. 

Wie lassen sich junge Menschen für die Landwirtschaft begeistern?
Am besten viel vorleben, ganz besonders in der Familie und der Schule. Aber auch über die Probleme und Missstände sprechen, um eine Bewusstseinsänderung in der Gesellschaft anzustoßen beispielsweise über Social Media, so wie ich das mache. Mein Beweggrund, Agrar-Influencerin zu werden, war, die Fragen und auch Vorurteile meiner Bekannten zu klären. Heute erreiche ich mit meinen kurzen Erklär-Videos mehr als 440.000 Follower.

Ausbildung, Studium, Duales Studium: Wie den passenden Weg finden?
Also ich würde tatsächlich jedem eine Ausbildung empfehlen, auch und gerade vor dem Studium. Weil das einfach so eine intensive Zeit ist, bei der man sich richtig in den Betrieb hineinarbeitet und auch das Betriebswirtschaftliche dahinter versteht. Es ist halt ein sehr praxisnaher Sektor, Theorie und Praxis lassen sich nicht wirklich voneinander trennen. Eine Alternative zu einer verkürzten Ausbildung vor dem Studium ist das Duale Studium.

Klimaresilienz, Tier- und Artenschutz sind nur einige der Themen, für die sich Marie leidenschaftlich einsetzt. Agroforst, also die bewusste Kombination von Land- und Forstwirtschaft auf derselben Produktionsfläche, steht sogar auf ihrer persönlichen Agenda. Genauso wie Agri-PV für Sonderkulturen, um Beschattungsvorteile für Beeren auszunutzen und gleichzeitig nachhaltig Strom zu erzeugen.

1. Okt 2025

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Wirtschaft

Die nächsten 24 Monate entscheiden: Deutschland im Transformationsfenster – Ein Beitrag von Prof. Dr. Henning Wilts

An den Begriff „Kreislaufwirtschaft“ haben die meisten Unternehmen lange Zeit einen gedanklichen Haken gemacht: Die eigenen Abfälle werden fachmännisch entsorgt, man hatte seine Hausaufgaben gemacht. Mit der Zeitenwende als Reaktion auf den russischen Angriffskrieg und seitdem völlig veränderten geopolitischen Rahmenbedingungen hat sich jedoch auch das Verständnis von Kreislaufwirtschaft fundamental verändert: Von „Nice-to-have“ zur Schlüsselherausforderung eines auch mittel- und langfristig wettbewerbsfähigen Wirtschaftsstandorts, der sich schlagartig bewusst wurde, wie abhängig man doch ist von Rohstoffimporten – und der Bereitschaft vieler Länder, den Zugang zu diesen als strategisches Druckmittel zu nutzen. Dementsprechend gewinnen auch zirkuläre Geschäftsmodelle zunehmend an Bedeutung, die von Anfang an mitdenken, wie die Produkte – und damit auch die darin enthaltenen Rohstoffe – am Ende der Nutzungsphase wieder zurückkommen. Immer mehr Unternehmen experimentieren daher mit Pfandsystemen oder Leasingkonzepten – getrieben von der Idee, damit die Resilienz ihrer Rohstoffversorgung zu verbessern. Ein weiterer wichtiger Treiber sind die gesetzlichen Verpflichtungen der Unternehmen, ihre Prozesse klimaneutral aufzustellen – hier ist der Einsatz recycelter Rohstoffe natürlich nicht zum Nulltarif zu haben; auf lange Sicht sind die dafür notwendigen Technologien aber schon deutlich ausgereifter und die Kosten pro eingesparter Tonne CO2 bei entsprechender Skalierung niedriger. Aber obwohl das Thema Kreislaufwirtschaft damit immer stärker auch in den Strategieabteilungen der Unternehmen ankommt, faktisch fehlt es an einer selbsttragenden Innovationsdynamik. Noch immer beträgt das Verhältnis von recycelten Rohstoffen und Gesamtrohstoffbedarf gerade mal 13 Prozent; rechnerisch sind also 87 Prozent aller Rohstoffe noch immer Primärmaterial. Die dafür von vielen genannten Gründe sind einerseits rational: In wirtschaftlich schwierigen Zeiten fehlt es an finanziellen Ressourcen, um ausreichend in die Transformation zur zirkulären Wertschöpfung zu investieren. Gleichzeitig ist den meisten sehr bewusst, dass Deutschland damit droht, seine eigentliche hervorragende Ausgangsbedingungen in diesem zentralen Zukunftsmarkt zu verspielen. Die Bundesregierung hat vor diesem Hintergrund im Dezember 2024 ihre „Nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie“ (NKWS) verabschiedet. Erklärtes Ziel ist es, die Transformation zur Kreislaufwirtschaft zu beschleunigen. Dafür benennt die Strategie ambitionierte Ziele, beispielsweise die faktische Halbierung des Bedarfs an primären Rohstoffen; im Kern aber vor allem über 130 konkrete Maßnahmen. Diese gehen weit über Abfallwirtschaft hinaus, sondern betreffen z. B. die fokussierte Digitalisierung im Recyclingsektor, innovative Finanzierungsmechanismen oder auch Mindestrezyklatquoten, um so einen sicheren Absatzmarkt für hochwertige Sekundärrohstoffe zu schaffen. Aber natürlich ist Papier geduldig und die eigentliche Herausforderung liegt in der jetzt anstehenden Umsetzung. Ein zentraler Schlüssel wird dabei sein, Allianzen zu schaffen – zwischen all den Akteuren, die in einer Kreislaufwirtschaft profitieren wollen von den erhofften positiven Effekten für Klimaschutz, einheimische Beschäftigung, Aufträgen für den Maschinenbau usw. Die in der NKWS angekündigte Plattform muss es daher schaffen, genau solche Allianzen zu bilden und sich nicht in endlosen Debatten über die 100 Prozent perfekte Lösung zu verlieren – denn die internationale Konkurrenz schläft nicht und es ist überhaupt nicht gegeben, dass die erhofften Vorteile tatsächlich am Standort Deutschland realisiert werden. Die nächsten 24 Monate werden daher maßgeblich darüber entscheiden, ob Deutschland am Ende zu den Gewinnern oder den Verlierern der zirkulären Transformation gehören wird.