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29. Sep 2022

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Wirtschaft

Lösungen finden, Krisen bewältigen

Journalist: Joachim Rukwied, Präsident des Deutschen Bauernverbandes

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Foto: Presse

Seit dem Krieg in der Ukraine und der daraufhin ausgerufenen Zeitenwende ist die Welt eine andere. Viele der multiplen Krisen, die sich bereits vor Ausbruch dieses Krieges mitten in Europa im Hintergrund zusammenbrauten, sind seitdem ins kollektive Bewusstsein gerückt und spitzen sich zunehmend zu. So auch die globale Ernährungssituation.

Für uns Landwirte stand die Versorgung der Bevölkerung mit hochwertigen Lebensmitteln stets im Mittelpunkt, und so haben die deutschen Bauern bereits vor Monaten angeboten, ihren Teil zur Entspannung dieser Krise beizutragen, denn ohne Landwirtschaft kann die Ernährungskrise nicht gelöst werden. Jetzt muss Versorgungssicherheit aber auch zur strategischen und politischen Aufgabe der EU werden.

Für mich ist deshalb vollkommen unverständlich, weshalb die EU-Kommission mit ihren Plänen zu pauschalen, überzogenen Reduktionzielen und dem zum Teil gänzlichen Verbot von Pflanzenschutz diese Krise zu verschärfen droht. Resultat dieser Verordnung wären gravierende Ertragsausfälle und womöglich eine Verlagerung der Erzeugung in Länder mit niedrigeren Standards. Damit wäre global weder dem Klima noch der Biodiversität geholfen. Vielmehr bedarf es einer stärkeren Förderung, um mit neuen Techniken und Verfahren Wirkstoffe noch präziser zu applizieren und so weiter zu reduzieren. Auch braucht es eine Beschleunigung der Zulassungsprozesse bei neuen Wirkstoffen.

Ernährung sichern zu wollen heißt nicht, den Klima-, Umwelt- und Artenschutz aufschieben oder gar aufheben wollen. Zu den Zielen des Green Deals stehen wir. Gerade aus landwirtschaftlicher Sicht wäre es töricht, dies nicht zu tun. Denn unsere Landwirtinnen und Landwirte bekommen die Folgen des Klimawandels so unmittelbar wie kaum eine andere Branche zu spüren. Bei den konkreten Maßnahmen, die in Brüssel vorgeschlagen werden, muss jedoch nachjustiert werden. In der Praxis setzen die Bauern bereits auf vielfältige Fruchtfolgen, wassersparende und bodenschonenden Anbauverfahren sowie produktionsintegrierte Natur- und Artenschutzmaßnahmen. Diesen Weg werden wir entschlossen weitergehen.

Auch das Thema Energieversorgung hat seit dem 24. Februar eine neue Dimension erhalten. Vor dem Hintergrund der geopolitischen Bedrohung und Abhängigkeit von Russland muss neben der akuten Beschaffung von Lieferalternativen beim Gas der Ausbau erneuerbarer Energien jetzt konsequent vorangetrieben werden. Hier spielt die Landwirtschaft eine Schlüsselrolle. Mit Wind-, Solar- und Bioenergie treiben die Landwirte die Energiewende bereits seit Jahren mit voran. Insbesondere Biogas bietet das Potenzial, die Erzeugung schnell zu vervielfachen – hier bremst die Politik die Landwirte jedoch aus.

Und auch unsere Tierhalter werden seit geraumer Zeit beim Umbau der Tierhaltung vertröstet. Sie brauchen jetzt dringend Klarheit, wie es weitergeht. Die Frage der Finanzierung muss zügig geklärt, das Bau- und Immissionsschutzrecht angepasst, die Haltungsformkennzeichnung ausgebaut und um eine Kennzeichnung der Herkunft ergänzt werden. Ohne wirtschaftliche Perspektiven, Planungssicherheit und die Bereitschaft der Gesellschaft, die vielfältigen Leistungen unserer Landwirte zu honorieren, wird es nicht gehen.

4. Jul 2025

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Wirtschaft

Chancen für die Zukunft der Versorgung – mit Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Jürgen Debus & Dr. Johannes Danckert

![Dr_Johannes_Danckert_Copyright_Kevin_Kuka_Vivantes_online.jpg](https://cwbucket.fra1.digitaloceanspaces.com/Dr_Johannes_Danckert_Copyright_Kevin_Kuka_Vivantes_online_6e3b6d01f5.jpg) ``` Dr. Johannes Danckert, Vorsitzender der Geschäftsführung, Vivantes – Netzwerk für Gesundheit GmbH ``` **Dr. Johannes Danckert, Vorsitzender der Geschäftsführung, Vivantes – Netzwerk für Gesundheit GmbH** Digitalisierung kann die Patientenversorgung schneller, besser und sicherer machen. Immer öfter werden dabei auch die traditionellen Grenzen zwischen ambulanten und stationären Bereichen sowie einzelnen Versorgungseinrichtungen abgebaut. So kann die ‚Patient Journey‘, also der gesamte Behandlungsweg eines Patienten von Diagnose bis Nachsorge, zu einer vernetzten Gesundheitsregion verbunden werden. Trotz deutlicher digitaler Fortschritte haben deutsche Krankenhäuser allerdings weiterhin erheblichen Entwicklungsbedarf, bedingt vor allem durch kleinteilige Strukturen und unzureichende Finanzierung. Denn die Implementierung innovativer Lösungen setzt bereits einen hohen Digitalisierungsgrad voraus. Bei Vivantes wurden zentrale Prozesse wie die Patientenkurve, Medikation, Pflegeprozesssteuerung sowie Anforderungs- und Befundungsprozesse digitalisiert. Auch große Teile der Medizintechnik sind eingebunden. KI-gestützte Systeme helfen uns, Frakturen und Embolien schneller zu erkennen oder warnen vor Komplikationen wie Delir oder Nierenversagen. Künstliche Intelligenz unterstützt uns auch dabei, Patientendaten direkt aus dem Rettungswagen in das Klinik-Informationssystem (KIS) zu übertragen, sodass die Krankenakte bei Ankunft bereits angelegt ist. Eine von uns entwickelte, interoperable Datenplattform ermöglicht zudem den automatisierten Datenaustausch von inzwischen 15 Klinikträgern in der Region Berlin-Brandenburg. Damit entstehen telemedizinische Versorgungskonzepte weit über Berlin hinaus. ![prof.dr.dr.jurgendebus_online.jpg](https://cwbucket.fra1.digitaloceanspaces.com/prof_dr_dr_jurgendebus_online_d7f732ea04.jpg) ``` Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Jürgen Debus, Vorstandsvorsitzender und Leitender Ärztlicher Direktor des Universitätsklinikums Heidelberg ``` **Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Jürgen Debus, Vorstandsvorsitzender und Leitender Ärztlicher Direktor Universitätsklinikum Heidelberg** Smarte Technologien und eine optimale Datennutzung verbessern den Klinikalltag und die Patientenversorgung. Das zukünftige Herzzentrum am Universitätsklinikum Heidelberg planen wir als Smart Hospital: Dort werden z. B. OPs gefilmt und das KI-System warnt automatisch bei Veränderungen des Patienten oder ungewöhnlichen Vorgängen. So werden Risiken früh erkannt und die Sicherheit erhöht. Dank verknüpfter Patientendaten und digitalem Terminmanagement läuft auch die Vorbereitung auf Eingriffe effizienter, da benötigte Ressourcen wie CT-Termine frühzeitig ersichtlich sind. Ein smartes Entlassmanagement stellt relevante Dokumente für den Patienten automatisch bereit und koordiniert Sozialdienst, Pflege und Medikamentenbedarf, sodass der Übergang in die weitere Versorgung optimal organisiert ist. In all diesen Algorithmen und Systemen steckt das gebündelte Wissen von Ärztinnen und Ärzten, Pflegepersonal und Forschenden. Die meisten KI-Anwendungen basieren auf maschinellen Lernmodellen, die mit Patientendaten trainiert werden, um Muster zu erkennen. Je größer der verfügbare Datensatz, desto exakter fallen Diagnosen und Prognosen aus – ein wichtiger Faktor angesichts des steigenden Versorgungsbedarfs bei gleichzeitig sinkender Zahl an Fachkräften. Smarte Technologien helfen, diese Lücke zu schließen und die Versorgung weiterhin auf hohem Niveau zu gewährleisten. Damit es nicht bei Insellösungen bleibt, treiben wir die übergreifende Datenintegration voran, ähnlich wie sie in der internationalen Forschung etabliert ist.

30. Jun 2025

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Wirtschaft

Krise als Chance: Wie KI und strategisches Supply Chain Management Europas Rolle stärken können – Ein Beitrag von Dr. Lars Kleeberg, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands für Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik e.V. (BME)

Globale Lieferketten stehen unter massivem Druck. Handelskonflikte, Protektionismus und geopolitische Krisen haben die Weltwirtschaft grundlegend verändert – mit direkten Auswirkungen auf Produktion, Versorgungssicherheit und Wettbewerbsfähigkeit. Seit Trumps Zoll-Eskalationen ist klar: Lieferketten sind keine stille Infrastruktur im Hintergrund mehr – sie sind kritische Erfolgsfaktoren für Unternehmen und Volkswirtschaften. Just-in-time ist out, just-in-case-Konzepte sind jetzt notwendig. Es ist höchste Zeit, dass Deutschland und Europa ihre Abhängigkeiten hinterfragen und ihre Versorgungssicherheit neu denken. Politik und Wirtschaft sind gleichermaßen gefordert, die Schlüsselrolle von Einkauf, Logistik und Supply Chain Management strategisch anzuerkennen und aktiv zu stärken. Gerade Deutschland als Exportnation ist in besonderem Maße auf stabile, resiliente Lieferketten angewiesen. Steigende regulatorische Anforderungen wie CSRD, CSDDD, EUDR oder REACH verschärfen den Druck auf die Unternehmen zusätzlich: Einkauf, Supply Chain Management und Logistik müssen heute ökologische, soziale und wirtschaftliche Ziele gleichzeitig erfüllen – ein Spagat, der die Komplexität erheblich erhöht und insbesondere den Mittelstand herausfordert. In diesem Spannungsfeld wächst die Bedeutung von Künstlicher Intelligenz. Mithilfe von KI können Supply Chain-Manager Transparenz entlang globaler Lieferketten herstellen, Risiken frühzeitig erkennen, Compliance-Anforderungen effizienter erfüllen und Prozesse automatisieren. Doch trotz des enormen Potenzials sind KI- Anwendungen heute oft noch Pilotprojekte – gehemmt durch mangelnde Integration, rechtliche Unsicherheiten und zögerliche Entscheidungen in der Unternehmensführung. Es braucht deshalb eine klare Haltung in den Vorstandsetagen: Der strategische Einsatz von KI muss Chefsache werden. Nur, wer Technologie gezielt integriert und daraus neue Fähigkeiten entwickelt, sichert sich langfristige Wettbewerbsvorteile. Gleichzeitig müssen die politischen Entscheidungsträger in Berlin und Brüssel an einem Strang ziehen. Angesichts geopolitischer Spannungen, zunehmenden Protektionismus und wirtschaftlicher Entkopplung muss die EU mit einer Stimme zentrale Handelsabkommen und strategische Partnerschaften vorantreiben. Die neue Bundesregierung muss zügig die wirtschaftliche Resilienz unserer Unternehmen durch ein neues Außenwirtschaftsgesetz stärken und die versprochene Expertenkommission zur Risikoanalyse globaler Abhängigkeiten einsetzen. Europa kann gestärkt aus dieser Krise hervorgehen, wenn es gelingt, strategische Rohstoffe zu sichern, Handelsbeziehungen auf Augenhöhe auszubauen und ein level playing field – insbesondere im Verhältnis zu China – durchzusetzen. Ein strategischer Wandel ist unumgänglich. Insbesondere für Deutschland und Europa gilt: Versorgungssicherheit, Innovationsfähigkeit und wirtschaftliche Souveränität sind untrennbar mit robusten Lieferketten verbunden. Supply Chain Management, Einkauf und Logistik sind längst keine operativen Randfunktionen mehr – sie sind zentrale Erfolgsfaktoren in einer zunehmend fragmentierten Weltwirtschaft. Die internationale Wettbewerbsfähigkeit Europas entscheidet sich nicht in der nächsten Krise – sie entscheidet sich jetzt. >Angesichts geopolitischer Spannungen, zunehmenden Protektionismus und wirtschaftlicher Entkopplung muss die EU mit einer Stimme zentrale Handelsabkommen und strategische Partnerschaften vorantreiben.