14. Mär 2022
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Gesundheit
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Foto: Presse
Frauen schätzen ihren Gesundheitszustand als schlechter ein als Männer. Es gibt Hinweise, dass bei einigen Erkrankungen Frauen tatsächlich weniger gut versorgt werden als Männer.
Prof. Dr. Getraud Stadler, Professorin für geschlechtersensible Präventionsforschung an der Charité – Universitätsmedizin Berlin
Bei der Herzgesundheit ist das bisher am besten untersucht. Frauen zeigen bei einem Herzinfarkt öfter „diffuse“ Symptome wie Übelkeit, Bauchschmerzen und Abgeschlagenheit statt Brust- und Armschmerzen. Wenn Frauen sich mit einem Herzinfarkt in Behandlung begeben, werden sie weniger gut diagnostiziert, weniger intensiv behandelt und nehmen Rehabilitationsangebote weniger häufig in Anspruch als Männer. Aber selbst wenn sich die Forschung auf Frauen konzentriert, ist das nicht immer zu ihrem Vorteil. Zum Beispiel stehen Frauen bei der Forschung zum Kinderwunsch viel öfter im Fokus als Männer, mit dem Ergebnis, dass für Männer weniger Präventions- und Behandlungsangebote zur Verfügung stehen. Auch für Männer kann geschlechtersensible Medizin zu besserer Gesundheit beitragen. Männer sterben im Schnitt fünf Jahre früher als Frauen in Deutschland. Sie nehmen Angebote zur Gesundheitsvorsorge weniger wahr als Frauen, auch weil diese oft weniger auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten sind. Die Corona-Pandemie hat noch einmal gezeigt, wie wichtig ein geschlechtersensibles Vorgehen ist. Männer haben ein größeres Risiko für schwere Verläufe und erhöhte Mortalität, wohingegen Frauen mehr durch die psychosozialen Folgen der Pandemie als auch durch ihre vermehrte Sorgearbeit belastet sind. Neben den biologischen Faktoren spielen für diese Geschlechterunterschiede auch das Gesundheitsverhalten, die soziale Einbettung und die rechtzeitige Suche nach medizinischer Hilfe eine Rolle.
Geschlechtersensible Medizin berücksichtigt Geschlechterunterschiede systematisch in Forschung, Lehre, Prävention und Behandlung und ist ein wichtiger Schritt hin zu personalisierter Medizin. Sie ist in Deutschland noch ein recht junges Forschungsfeld. Unsere Einrichtung an der Charité ist bisher die einzige in der deutschen Universitätsmedizin, die sich mit einer vollen Professur dem Thema widmet.
Die Medizin diversitäts- und geschlechtersensibler zu machen, ist eine große Aufgabe, zu der alle Gesellschaftsgruppen beitragen können. In der Forschung gilt es, die großen Datenlücken zu Geschlechter- und Diversitätsunterschieden zu schließen und diversitäts- und geschlechtersensible Behandlungsansätze zu entwickeln und zu testen. Politik, Forschungsförderung, Interessenverbände und Industriepartner können dabei helfen, Geschlecht und andere Diversitätsdimensionen in allen Datensätzen zu berücksichtigen und die nötigen großen Datenmengen sicher zu verarbeiten.
Als Patient können Sie sich bewusster werden, dass das Geschlecht für Ihre Behandlung eine Rolle spielt. Wenn eine Behandlung nicht so wirkt wie erwartet oder stärkere Nebenwirkungen hat, sollten Sie das Gespräch mit Ihrem Behandlungsteam suchen. Es könnte an der unterschiedlichen Wirkung der Behandlung bei Frauen und Männern liegen. In den Gesundheitsberufen können wir die Aus- und Weiterbildung zu Geschlechterunterschieden verbessern. Diese Beiträge lohnen sich, denn diversitäts- und geschlechtersensible Medizin bedeutet eine bessere Versorgung für alle.