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18. Dez 2019

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Wirtschaft

„Multichannel ist besonders erfolgreich“

Journalist: Chan Sidki-Lundius

Was tut sich in puncto Digitalisierung? Ein Interview mit dem Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Deutschland (HDE), Stefan Genth.

Welche Chancen birgt die Digitalisierung für den Einzelhandel?

Die Digitalisierung ermöglicht den Unternehmen im Einzelhandel effizientere Prozesse. So können Bestellungen mit digitalen Lösungen bedarfsgerechter ausgelöst und Kunden individueller angesprochen werden. Außerdem können die Händler mit einem eigenen Online-Shop oder dem Verkauf ihrer Waren über Online-Plattformen ganz neue Kundengruppen erschließen. Digitalisierung findet aber auch im stationären Laden vor Ort statt. Vor allem die große Verbreitung von Smartphones ermöglicht es den Händlern, ihren Kunden zusätzliche Informationen oder personalisierte Rabatte auf das Handy zu senden.

Und welche Risiken birgt die Digitalisierung?

Risiken birgt die Digitalisierung vor allem überall dort, wo Wettbewerbsungleichheiten entstehen. Das ist zum Beispiel dann der Fall, wenn Händler aus Nicht-EU-Ländern wie China Waren nach Deutschland liefern, die nicht den hiesigen Sicherheitsvorgaben entsprechen. Damit können diese Unternehmen ihre Produkte günstiger anbieten. Hier muss ganz klar gelten: Wer hierzulande Waren verkauft, muss sich auch an die bei uns gültigen Regeln halten. Zudem können viele kleinere Unternehmen die Investitionen in digitale Lösungen nicht so ohne weiteres stemmen. Doch gerade der Mittelstand ist von großer Bedeutung, wenn es um lebenswerte und attraktive Innenstädte geht.

Wie beurteilen Sie den aktuellen Stand der Digitalisierung in der Branche?

Manche Händler haben den Schritt zur Digitalisierung ihres Geschäfts längst erfolgreich hinter sich. Andere befinden sich noch ganz am Anfang. Dabei setzen nicht alle Händler gleich auf den eigenen Online-Shop, viele verkaufen ihre Ware auch über bestehende Online-Plattformen oder Marktplätze. Eine aktuelle HDE-Umfrage macht allerdings deutlich, dass zwei Drittel der Händler den Vertriebsweg Internet nicht für sich nutzen. Darunter insbesondere viele mittelständische Unternehmen.

Was sind derzeit die größten Herausforderungen, mit denen sich der Handel konfrontiert sieht?

Die größte Herausforderung ist die Digitalisierung mit all ihren Chancen und Risiken. Es geht darum, die Möglichkeiten positiv zu nutzen und den Kundenservice weiter voranzubringen. Gleichzeitig muss der Handel internationalen Playern, die auf den attraktiven deutschen Markt drängen, Paroli bieten. Zudem leidet vielerorts der Handelsstandort Innenstadt darunter, dass immer weniger Menschen den Weg in die Stadtzentren finden. Mancherorts sind aufgrund von demografischen Entwicklungen schlicht nicht mehr genug Menschen ansässig, um rentabel Handel betreiben zu können. Dazu kommt das Wachstum des Online-Handels, das zu Umsatzverschiebungen in das Internet führt.

Wie gelingt es dem Handel, sich zukünftig am Markt zu behaupten?

Für die Händler geht es darum, in beiden Welten, online und offline, für ihre Kunden da zu sein. Wir stellen in unseren Umfragen fest, dass diese sogenannten Multichannel-Händler besonders erfolgreich sind. Allerdings muss die Politik dann auch Rahmenbedingungen setzen, die es den Unternehmen ermöglichen, sich ein neues Standbein im Internet aufzubauen. Und da gibt es noch viel zu tun – manche Regulierungen schießen über das Ziel hinaus. So liegt die Hemmschwelle vieler Händler, online zu gehen, nach einer HDE-Umfrage vor allem deshalb so hoch, weil die Anforderungen an den Datenschutz als sehr hoch wahrgenommen werden. Hier verunsichert die Datenschutzgrundverordnung die Branche nach wie vor erheblich. Insgesamt braucht vor allem der Mittelstand bei seinem Weg in die Digitalisierung Unterstützung. Die Bundesregierung ist hier mit ihrem etablierten Netzwerk der Mittelstand 4.0-Kompetenzzentren auf dem richtigen Weg.

Wie sieht der Einzelhandel der Zukunft aus?

Die Kanäle werden zunehmend verschwimmen. In ein paar Jahren macht es womöglich überhaupt keinen Sinn mehr, zwischen online und stationär zu unterscheiden. Wenn die meisten Händler auf beiden Kanälen aktiv sind und die Angebote miteinander verschmelzen, dann sind die Umsätze am Ende gar nicht mehr eindeutig einem Kanal zuordenbar. Zudem wird die Branche immer mehr zur Technologiebranche werden. Bestellungen per Voice über Sprachassistenten, individuelle Angebote auch im stationären Handel und Anwendungen von künstlicher Intelligenz werden zum Alltag gehören.

4. Jul 2025

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Wirtschaft

Chancen für die Zukunft der Versorgung – mit Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Jürgen Debus & Dr. Johannes Danckert

![Dr_Johannes_Danckert_Copyright_Kevin_Kuka_Vivantes_online.jpg](https://cwbucket.fra1.digitaloceanspaces.com/Dr_Johannes_Danckert_Copyright_Kevin_Kuka_Vivantes_online_6e3b6d01f5.jpg) ``` Dr. Johannes Danckert, Vorsitzender der Geschäftsführung, Vivantes – Netzwerk für Gesundheit GmbH ``` **Dr. Johannes Danckert, Vorsitzender der Geschäftsführung, Vivantes – Netzwerk für Gesundheit GmbH** Digitalisierung kann die Patientenversorgung schneller, besser und sicherer machen. Immer öfter werden dabei auch die traditionellen Grenzen zwischen ambulanten und stationären Bereichen sowie einzelnen Versorgungseinrichtungen abgebaut. So kann die ‚Patient Journey‘, also der gesamte Behandlungsweg eines Patienten von Diagnose bis Nachsorge, zu einer vernetzten Gesundheitsregion verbunden werden. Trotz deutlicher digitaler Fortschritte haben deutsche Krankenhäuser allerdings weiterhin erheblichen Entwicklungsbedarf, bedingt vor allem durch kleinteilige Strukturen und unzureichende Finanzierung. Denn die Implementierung innovativer Lösungen setzt bereits einen hohen Digitalisierungsgrad voraus. Bei Vivantes wurden zentrale Prozesse wie die Patientenkurve, Medikation, Pflegeprozesssteuerung sowie Anforderungs- und Befundungsprozesse digitalisiert. Auch große Teile der Medizintechnik sind eingebunden. KI-gestützte Systeme helfen uns, Frakturen und Embolien schneller zu erkennen oder warnen vor Komplikationen wie Delir oder Nierenversagen. Künstliche Intelligenz unterstützt uns auch dabei, Patientendaten direkt aus dem Rettungswagen in das Klinik-Informationssystem (KIS) zu übertragen, sodass die Krankenakte bei Ankunft bereits angelegt ist. Eine von uns entwickelte, interoperable Datenplattform ermöglicht zudem den automatisierten Datenaustausch von inzwischen 15 Klinikträgern in der Region Berlin-Brandenburg. Damit entstehen telemedizinische Versorgungskonzepte weit über Berlin hinaus. ![prof.dr.dr.jurgendebus_online.jpg](https://cwbucket.fra1.digitaloceanspaces.com/prof_dr_dr_jurgendebus_online_d7f732ea04.jpg) ``` Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Jürgen Debus, Vorstandsvorsitzender und Leitender Ärztlicher Direktor des Universitätsklinikums Heidelberg ``` **Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Jürgen Debus, Vorstandsvorsitzender und Leitender Ärztlicher Direktor Universitätsklinikum Heidelberg** Smarte Technologien und eine optimale Datennutzung verbessern den Klinikalltag und die Patientenversorgung. Das zukünftige Herzzentrum am Universitätsklinikum Heidelberg planen wir als Smart Hospital: Dort werden z. B. OPs gefilmt und das KI-System warnt automatisch bei Veränderungen des Patienten oder ungewöhnlichen Vorgängen. So werden Risiken früh erkannt und die Sicherheit erhöht. Dank verknüpfter Patientendaten und digitalem Terminmanagement läuft auch die Vorbereitung auf Eingriffe effizienter, da benötigte Ressourcen wie CT-Termine frühzeitig ersichtlich sind. Ein smartes Entlassmanagement stellt relevante Dokumente für den Patienten automatisch bereit und koordiniert Sozialdienst, Pflege und Medikamentenbedarf, sodass der Übergang in die weitere Versorgung optimal organisiert ist. In all diesen Algorithmen und Systemen steckt das gebündelte Wissen von Ärztinnen und Ärzten, Pflegepersonal und Forschenden. Die meisten KI-Anwendungen basieren auf maschinellen Lernmodellen, die mit Patientendaten trainiert werden, um Muster zu erkennen. Je größer der verfügbare Datensatz, desto exakter fallen Diagnosen und Prognosen aus – ein wichtiger Faktor angesichts des steigenden Versorgungsbedarfs bei gleichzeitig sinkender Zahl an Fachkräften. Smarte Technologien helfen, diese Lücke zu schließen und die Versorgung weiterhin auf hohem Niveau zu gewährleisten. Damit es nicht bei Insellösungen bleibt, treiben wir die übergreifende Datenintegration voran, ähnlich wie sie in der internationalen Forschung etabliert ist.

30. Jun 2025

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Wirtschaft

Krise als Chance: Wie KI und strategisches Supply Chain Management Europas Rolle stärken können – Ein Beitrag von Dr. Lars Kleeberg, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands für Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik e.V. (BME)

Globale Lieferketten stehen unter massivem Druck. Handelskonflikte, Protektionismus und geopolitische Krisen haben die Weltwirtschaft grundlegend verändert – mit direkten Auswirkungen auf Produktion, Versorgungssicherheit und Wettbewerbsfähigkeit. Seit Trumps Zoll-Eskalationen ist klar: Lieferketten sind keine stille Infrastruktur im Hintergrund mehr – sie sind kritische Erfolgsfaktoren für Unternehmen und Volkswirtschaften. Just-in-time ist out, just-in-case-Konzepte sind jetzt notwendig. Es ist höchste Zeit, dass Deutschland und Europa ihre Abhängigkeiten hinterfragen und ihre Versorgungssicherheit neu denken. Politik und Wirtschaft sind gleichermaßen gefordert, die Schlüsselrolle von Einkauf, Logistik und Supply Chain Management strategisch anzuerkennen und aktiv zu stärken. Gerade Deutschland als Exportnation ist in besonderem Maße auf stabile, resiliente Lieferketten angewiesen. Steigende regulatorische Anforderungen wie CSRD, CSDDD, EUDR oder REACH verschärfen den Druck auf die Unternehmen zusätzlich: Einkauf, Supply Chain Management und Logistik müssen heute ökologische, soziale und wirtschaftliche Ziele gleichzeitig erfüllen – ein Spagat, der die Komplexität erheblich erhöht und insbesondere den Mittelstand herausfordert. In diesem Spannungsfeld wächst die Bedeutung von Künstlicher Intelligenz. Mithilfe von KI können Supply Chain-Manager Transparenz entlang globaler Lieferketten herstellen, Risiken frühzeitig erkennen, Compliance-Anforderungen effizienter erfüllen und Prozesse automatisieren. Doch trotz des enormen Potenzials sind KI- Anwendungen heute oft noch Pilotprojekte – gehemmt durch mangelnde Integration, rechtliche Unsicherheiten und zögerliche Entscheidungen in der Unternehmensführung. Es braucht deshalb eine klare Haltung in den Vorstandsetagen: Der strategische Einsatz von KI muss Chefsache werden. Nur, wer Technologie gezielt integriert und daraus neue Fähigkeiten entwickelt, sichert sich langfristige Wettbewerbsvorteile. Gleichzeitig müssen die politischen Entscheidungsträger in Berlin und Brüssel an einem Strang ziehen. Angesichts geopolitischer Spannungen, zunehmenden Protektionismus und wirtschaftlicher Entkopplung muss die EU mit einer Stimme zentrale Handelsabkommen und strategische Partnerschaften vorantreiben. Die neue Bundesregierung muss zügig die wirtschaftliche Resilienz unserer Unternehmen durch ein neues Außenwirtschaftsgesetz stärken und die versprochene Expertenkommission zur Risikoanalyse globaler Abhängigkeiten einsetzen. Europa kann gestärkt aus dieser Krise hervorgehen, wenn es gelingt, strategische Rohstoffe zu sichern, Handelsbeziehungen auf Augenhöhe auszubauen und ein level playing field – insbesondere im Verhältnis zu China – durchzusetzen. Ein strategischer Wandel ist unumgänglich. Insbesondere für Deutschland und Europa gilt: Versorgungssicherheit, Innovationsfähigkeit und wirtschaftliche Souveränität sind untrennbar mit robusten Lieferketten verbunden. Supply Chain Management, Einkauf und Logistik sind längst keine operativen Randfunktionen mehr – sie sind zentrale Erfolgsfaktoren in einer zunehmend fragmentierten Weltwirtschaft. Die internationale Wettbewerbsfähigkeit Europas entscheidet sich nicht in der nächsten Krise – sie entscheidet sich jetzt. >Angesichts geopolitischer Spannungen, zunehmenden Protektionismus und wirtschaftlicher Entkopplung muss die EU mit einer Stimme zentrale Handelsabkommen und strategische Partnerschaften vorantreiben.