14. Okt 2020
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Wirtschaft
Journalist: Jörg Wernien
Kaum eine Branche stand während des Lockdowns so im Fokus wie der Lebensmitteleinzelhandel. Oft war der Gang zum Supermarkt die einzige Möglichkeit nach draußen zu kommen. Wir haben mit Philipp Hengstenberg, dem Präsidenten des Lebensmittelverbandes Deutschland e.V., gesprochen.
Am Anfang der Corona-Krise haben die Verbraucher verstärkt zu länger haltbaren Waren gegriffen, etwa Trockensuppen, Brotbackmischungen oder Dosengerichten. Bei den Vorratskäufen wurden häufig günstige Produkte bevorzugt. Parallel gab es auch Zunahmen bei Genussmitteln, denn weil Restaurants und Bars geschlossen hatten, wollte man es sich verständlicherweise zu-hause gut gehen lassen. Wir haben als Konvervenhersteller von dieser Sondersituation erstmal profitiert. Aber diese Effekte haben sich inzwischen weitgehend normalisiert. In einigen Bereichen erwarten wir in Zukunft eher einen rückläufigen Effekt – die Vorräte müssen ja auch aufgebraucht werden.
Wir hatten es hier mit einem Sondereffekt bei einzelnen Produktgruppen zu tun, deren Monatsabsatz kurzfristig um bis zu 500 % angestiegen ist. Alle anderen Waren blieben im Wesentlichen immer verfügbar. Mir gefällt aber das Wort „panisch“ nicht. DieMenschen haben sich mit Waren bevorratet, die sich gut lagern lassen. Das ist emotional nachvollziehbar, schließlich möchte jeder für sich und seine Familie sorgen. Fakt ist aber, dass der Großteil der Lebensmittel, die in Deutschland verkauft werden, auch aus Deutschland stammen, zu keinem Zeitpunkt drohte eine Mangelversorgung.
Vor der Corona-Krise waren die größten Herausforderungen für die Wirtschaft das Fortschreiten der Globalisierung, der Umgang mit der Digitalisierung und natürlich die Auswirkungen des Klimawandels. Jetzt heißt die größte Herausforderung „COVID-19-Pandemie“. Und die ist eine Art Brandbeschleuniger für alles andere. Plötzlich wird uns auch bewusst, dass es viele Schlüsselpositionen gibt, die nicht durch Maschinen ersetzt werden können. Auf denen Menschen arbeiten, die dafür sorgen, dass der „Laden läuft“. Es war schön zu sehen, wie diese Berufsgruppen die Wertschätzung bekommen haben, die ihnen gebührt: LKW-Fahrer, Produktionsmitarbeiter und diejenigen, die Regale einräumen und kassieren. Gleichzeitig führt uns diePandemie vor Augen, dass wir nicht nur europaweit, sondern weltweit aufeinander angewiesen sind.
In der Tat sind das zwei der allerwichtigsten Themen, die die Lebensmittelwirtschaft in seiner ganzen Tiefe beschäftigt, also von Landwirtschaft, über verarbeitende Industrie, Handwerk und Gastronomie bis zum Einzelhandel. Als Präsident des Lebensmittelverbandes liegt mir das Thema Nachhaltigkeit besonders am Herzen.Wir haben deshalb im Mai dieses Jahres unsere Grundsatzposition zu nachhaltigeren Lebensmittelsystemen formuliert, in denen wir unter anderem das Engagement zurUmsetzung der Ziele der Agenda 2030 der UN bekräftigen. Aber eines ist mir wichtig: Nachhaltigkeit muss auch ökonomisch begriffen werden! Wenn die gesetzlichen Anforderungen so hochgeschraubt werden, dass ein Unternehmen in Deutschland nicht mehr wirtschaftlich geführt werden kann, dann ist das nicht nachhaltig.
Der Lebensmittelverband unterstützt grundsätzlich alle sinnvollen Maßnahmen, die dafür sorgen, dass auf allen Ebenen weniger Lebensmittel weggeschmissen werden.Allerdings muss gerade beim Mindesthaltbarkeitsdatum darauf geachtet werden, dass es nur bei den Lebensmitteln entfallen kann, die auch wirklich ohne Begrenzung haltbar sind. Die Lebensmittelsicherheit hat oberste Priorität. Aber „Mindestens haltbar“heißt eben nicht, dass Sie ein Lebensmittel nach Ablauf dieses Datums wegschmeißen müssen. Deshalb unterstützen wir Initiativenwie „Zu gut für die Tonne“ oder „Oft längerGut“, an der sich etliche unserer Mitgliedsunternehmen aktiv beteiligen. Auch die Verteilung von übrig gebliebenen Waren mit kurzer Haltbarkeit, etwa an die Tafeln oder über Apps befürworten wir. Darüber hinaus wirkt der Lebensmittelverband Deutschland an der Initiative der Bundesregierung zurReduzierung von Lebensmittelverlusten mit, womit ein Nachhaltigkeitsziel der Agenda 2030 der Vereinten Nationen in Deutschland umgesetzt wird.