6. Aug 2020
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Wirtschaft
Journalist: Armin Fuhrer
„Zertifizierungssysteme können helfen, die Nachhaltigkeitsqualität eines Gebäudes zu erhöhen und Kosten zu sparen“, sagt Expertin Christine Lemaitre.
Das nachhaltige Bauen hat in Deutschland und international in den letzten zehn Jahren einen enormen Schub gemacht. Aber was genau ist damit eigentlich gemeint? Es geht um das Klima und die Umwelt, klar. Aber es geht auch darum, aus ökonomischer Sicht die langfristig richtigen Entscheidungen zu treffen und finanzielle Risiken zu minimieren. Und nicht zuletzt geht es um uns Menschen als Gebäudenutzer und unser Bedürfnis nach Gesundheit und Wohlbefinden. Die gemeinsamen Nenner hinter diesem Verständnis von Nachhaltigkeit sind Qualität und Zukunftsfähigkeit.
Damit dies auch praktisch anwendbar, messbar und damit vergleichbar wird, gibt es die Methode der Gebäudezertifizierung, wie sie beispielsweise die Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen, kurz DGNB, anbietet. Richtig angewandt hilft das Zertifizierungssystem als Planungs- und Optimierungstool die Nachhaltigkeitsqualität eines Gebäudes systematisch zu erhöhen. „Am besten ist, wenn die Projektziele bereits in einer sehr frühen Planungsphase gemeinsam von den Beteiligten definiert werden“, erklärt Christine Lemaitre, Geschäftsführender Vorstand der DGNB.
Dies gelingt über die Zertifizierungskriterien und die darin formulierten Anforderungen. Im Neubau oder bei der Sanierung von Bestandsbauten sind dies bei der DGNB Zertifizierung je nach Nutzungstyp rund 35 Kriterien. Für die nachhaltige Optimierung des Gebäudebetriebs sind es lediglich neun. Allen Kriterien ist gemein, dass sie einen Beitrag leisten, die Gebäudequalität im Sinne einer ganzheitlichen Nachhaltigkeit zu erhöhen. Die Vermeidung von Schad- und Risikostoffen und eine hohe Innenraumluftqualität gehören genauso dazu, wie niedrige Lebenszykluskosten, eine gute Umnutzungsfähigkeit oder eine hohe Rückbau- und Recyclingfreundlichkeit. Auch Themen wie Barrierefreiheit, Aufenthaltsqualitäten im Innen- und Außenraum sowie der angemessene Einsatz von Gebäudetechnik sind Teil der Zertifizierung.
Bleibt die Frage, ob sich das alles überhaupt lohnt. Oder, um einen sich hartnäckig haltenden Vorbehalt aufzugreifen: Sind das nicht alles unnötige Zusatzkosten? Nein, sagt Christine Lemaitre: „Was ist denn die Alternative? Billige Gebäude, die enorme Folgekosten verursachen, Menschen krank machen und nach wenigen Jahren wieder abgerissen werden?“ Wohl kaum.
Der Rat an alle Bauherren, Architekten und Planer: Denken Sie ganzheitlich und entscheiden Sie langfristig. Fragen Sie sich, was individuell für das Gebäude das Beste ist – an seinem Standort mit seinen zukünftigen Nutzern. Setzen Sie die in der Bauzeit anfallenden Kosten in Zusammenhang mit den Gesamtkosten des Projekts. Schauen Sie genau hin, wie lange es dauert, bis sich mögliche Mehraufwände durch geringe Betriebskosten oder längere Nutzungszeiten der eingesetzten Materialien amortisieren. Dann wird aus der eindimensionalen Kostenfrage schnell die Betrachtung der unmittelbaren und künftigen Mehrwerte.