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24. Jun 2020

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Wirtschaft

Neue Perspektiven der Landwirtschaft

Journalist: Helmut Peters

In der Landwirtschaft ist es unverzichtbar, Entwicklungen auch aus einer wissenschaftlichen, ganzheitlichen Perspektive heraus zu beurteilen. Hubertus Freiherr von Künsberg im Gespräch über den Konflikt zwischen Landwirtschaft und Politik sowie neue Entwicklungen der Agrarwirtschaft. 


Hubertus Freiherr von Künsberg, Foto: Presse

Wie kann man das hohe Konfliktpotenzial zwischen Landwirtschaft und Politik unserer Tage möglichst einfach entschärfen?

Hubertus Freiherr von Künsberg: Mit mehr Ehrlichkeit in der Diskussion. Es macht keinen Sinn, überzogene Forderungen von Seiten der Landwirte zu stellen und es macht auch keinen Sinn, überzogene Forderungen von politischer Seite zu stellen. Bei vielen Entscheidungen fehlt leider der praktische Bezug, weil Fachleute nicht einbezogen oder gehört werden.

Welche Fehler im Umgang mit Biodiversität und Schutz der Artenvielfalt stören Sie heute besonders?

Dass man gezielt versucht, die Allgemeinheit und Politik mit Falschaussagen und Lügen zu beeinflussen. Hierzu ein Beispiel. Es wird in den Nachrichten verbreitet, die Mehlschwalbe sei vom Aussterben bedroht, weil es keine Insekten mehr gäbe. Ein Landwirt in der Nachbarschaft hat unglaubliche 54 Mehlschwalbennester unter dem Dach, und alle werden satt. Warum sind diese dort? Weil er sie gewähren lässt. Seine Fassade sieht entsprechend aus. In unserem Dorf gibt es keine Nester mehr! Weil die Hauseigentümer das nicht zulassen. Ich hätte hierfür noch viele Beispiele. Leider würde das den Rahmen sprengen.

Die Technik unserer Tage ist beileibe kein Feind nachhaltigen Arbeitens, sondern ein Mittel, es stetig zu verbessern. Wie haben Sie sich angepasst, um technisch naturnaher und nachhaltiger zu arbeiten?

Eine große Hilfe ist heute die Möglichkeit, GPS zu nutzen. Damit werden z. B. Überlappungen beim Pflanzenschutz und der Düngerausbringung vermieden. Bodenuntersuchungen werden mit dieser Technik exakter gezogen. Das heißt, über viele Jahre hinweg können diese immer an der gleichen Stelle genommen werden und sind damit viel vergleichbarer.

Der Erfindergeist bei den Bodenbearbeitungsgeräten ist sehr erfreulich. Mit den neuen Geräten ist es möglich, den Ackerboden besonders flach und damit wassersparend zu bewirtschaften.

Sie haben sich mit Ihrem kritischen Blick auf das Verbot von Glyphosat nicht nur Freunde gemacht. Warum ist eine differenziertere Beurteilung solcher Fragen aber oft unverzichtbar?

Wir sollten ehrlich sein und etwas nicht zu dem machen, was es nicht ist. Es gibt unter unseren Konsumartikeln viele, die nachweislich krebserregend sind, aber das stört selbst den Konsumenten nicht. Selbst die größten Gegner waren bis heute nicht in der Lage zu beweisen, dass Glyphosat krebserregend ist. Ich bitte, mich richtig verstehen, auch ich möchte nicht, dass Glyphosat oder ein anderer Wirkstoff in Nahrungsmitteln zu finden ist. Eine falsche Anwendung von Pflanzenschutzmittel darf es nicht geben und muss geahndet werden.

Welche neuen Herausforderungen stehen der Landwirtschaft angesichts der Coronavirus-Krise bevor? 

Die Corona-Krise ist für arbeitsintensive Betriebe eine sehr große Herausforderung, weil die Arbeitskräfte aus dem Ausland fehlen. Landwirtschaftliche Produkte wie z. B. die Milcherzeugung leiden darunter, weil Käse, Butter usw, die stark exportiert wurden, nicht mehr abgenommen werden. Der Ackerbau ist momentan noch nicht betroffen.

1. Okt 2025

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Wirtschaft

Die nächsten 24 Monate entscheiden: Deutschland im Transformationsfenster – Ein Beitrag von Prof. Dr. Henning Wilts

An den Begriff „Kreislaufwirtschaft“ haben die meisten Unternehmen lange Zeit einen gedanklichen Haken gemacht: Die eigenen Abfälle werden fachmännisch entsorgt, man hatte seine Hausaufgaben gemacht. Mit der Zeitenwende als Reaktion auf den russischen Angriffskrieg und seitdem völlig veränderten geopolitischen Rahmenbedingungen hat sich jedoch auch das Verständnis von Kreislaufwirtschaft fundamental verändert: Von „Nice-to-have“ zur Schlüsselherausforderung eines auch mittel- und langfristig wettbewerbsfähigen Wirtschaftsstandorts, der sich schlagartig bewusst wurde, wie abhängig man doch ist von Rohstoffimporten – und der Bereitschaft vieler Länder, den Zugang zu diesen als strategisches Druckmittel zu nutzen. Dementsprechend gewinnen auch zirkuläre Geschäftsmodelle zunehmend an Bedeutung, die von Anfang an mitdenken, wie die Produkte – und damit auch die darin enthaltenen Rohstoffe – am Ende der Nutzungsphase wieder zurückkommen. Immer mehr Unternehmen experimentieren daher mit Pfandsystemen oder Leasingkonzepten – getrieben von der Idee, damit die Resilienz ihrer Rohstoffversorgung zu verbessern. Ein weiterer wichtiger Treiber sind die gesetzlichen Verpflichtungen der Unternehmen, ihre Prozesse klimaneutral aufzustellen – hier ist der Einsatz recycelter Rohstoffe natürlich nicht zum Nulltarif zu haben; auf lange Sicht sind die dafür notwendigen Technologien aber schon deutlich ausgereifter und die Kosten pro eingesparter Tonne CO2 bei entsprechender Skalierung niedriger. Aber obwohl das Thema Kreislaufwirtschaft damit immer stärker auch in den Strategieabteilungen der Unternehmen ankommt, faktisch fehlt es an einer selbsttragenden Innovationsdynamik. Noch immer beträgt das Verhältnis von recycelten Rohstoffen und Gesamtrohstoffbedarf gerade mal 13 Prozent; rechnerisch sind also 87 Prozent aller Rohstoffe noch immer Primärmaterial. Die dafür von vielen genannten Gründe sind einerseits rational: In wirtschaftlich schwierigen Zeiten fehlt es an finanziellen Ressourcen, um ausreichend in die Transformation zur zirkulären Wertschöpfung zu investieren. Gleichzeitig ist den meisten sehr bewusst, dass Deutschland damit droht, seine eigentliche hervorragende Ausgangsbedingungen in diesem zentralen Zukunftsmarkt zu verspielen. Die Bundesregierung hat vor diesem Hintergrund im Dezember 2024 ihre „Nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie“ (NKWS) verabschiedet. Erklärtes Ziel ist es, die Transformation zur Kreislaufwirtschaft zu beschleunigen. Dafür benennt die Strategie ambitionierte Ziele, beispielsweise die faktische Halbierung des Bedarfs an primären Rohstoffen; im Kern aber vor allem über 130 konkrete Maßnahmen. Diese gehen weit über Abfallwirtschaft hinaus, sondern betreffen z. B. die fokussierte Digitalisierung im Recyclingsektor, innovative Finanzierungsmechanismen oder auch Mindestrezyklatquoten, um so einen sicheren Absatzmarkt für hochwertige Sekundärrohstoffe zu schaffen. Aber natürlich ist Papier geduldig und die eigentliche Herausforderung liegt in der jetzt anstehenden Umsetzung. Ein zentraler Schlüssel wird dabei sein, Allianzen zu schaffen – zwischen all den Akteuren, die in einer Kreislaufwirtschaft profitieren wollen von den erhofften positiven Effekten für Klimaschutz, einheimische Beschäftigung, Aufträgen für den Maschinenbau usw. Die in der NKWS angekündigte Plattform muss es daher schaffen, genau solche Allianzen zu bilden und sich nicht in endlosen Debatten über die 100 Prozent perfekte Lösung zu verlieren – denn die internationale Konkurrenz schläft nicht und es ist überhaupt nicht gegeben, dass die erhofften Vorteile tatsächlich am Standort Deutschland realisiert werden. Die nächsten 24 Monate werden daher maßgeblich darüber entscheiden, ob Deutschland am Ende zu den Gewinnern oder den Verlierern der zirkulären Transformation gehören wird.