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29. Sep 2022

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Wirtschaft

Noch viel Luft bei der Energiewende

Journalist: Armin Fuhrer

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Foto: Wim van Teinde/unsplash

Sonne und Wind sollen Deutschlands Energieversorgung unabhängig machen, aber es gibt noch zahlreiche Stolpersteine – und eine ungenutzte Chance.

Der russische Krieg gegen die Ukraine und die Boykottmaßnahmen Deutschlands und anderer Staaten gegen Russland haben deutlich gemacht, wie abhängig Deutschland von russischen Energieimporten ist. Vor allem beim Gas läuft ein Wettrennen gegen die Zeit: Schaffen wir es, im Winter kalte Wohnungen und Büros vermeiden zu können? Aber selbst, wenn dieses Ziel erreicht wird, ist eins klar: Es wird sehr teuer und die Rechnung zahlen die Verbraucher – selbst, wenn die Bundesregierung zumindest für einen teilweisen Ausgleich sorgt. Vor diesem Hintergrund hat die Energiewende Fahrt aufgenommen, denn die Tatsache, dass Deutschland sich möglichst unabhängig von Energieimporten machen muss, ist heute weitgehend unumstritten. Das aber geht, wenn Deutschland sich von der Atomkraft verabschiedet, nur mithilfe der erneuerbaren Energien. Neben dem Aspekt des Klimaschutzes hat Russlands Präsident Wladimir Putin also unbeabsichtigt dafür gesorgt, dass Deutschland sich auf den Weg zur Energie-Autarkie macht. Dieser Weg ist allerdings sehr steinig.

Immerhin hat die Ampelregierung erkannt, dass sie die Entwicklung viel stärker vorantreiben muss als bisher. Daher hat sie im Frühjahr das Gesetzespaket zum Ökostrom-Ausbau beschlossen, das der Bundestag im Juli verabschiedet hat. Mit verschiedenen Maßnahmen soll das Ziel erreicht werden, bis 2030 etwa 80 Prozent des Stromverbrauchs hierzulande durch erneuerbare Energien zu decken. Derzeit liegt der Anteil der Erneuerbaren bei etwa der Hälfte. Im Mittelpunkt steht eine deutliche Anhebung der Ausbauziele für Wind- und Solarenergie. Mit Blick auf die Windenergie wurde ein lang umstrittener Grundsatz festgelegt, dass jedes Bundesland in den nächsten Jahren zwei Prozent seiner Fläche für Windräder reservieren muss.

Der Anschub durch die Politik ist auch dringend notwendig, denn der Ausbau der Windenergie in Deutschland stockt. Inzwischen gibt es in Deutschland rund 28.000 Windräder mit einer Gesamtleistung von 57.000 Megawatt. Im ersten Halbjahr dieses Jahres wurden aber nur 238 neue Windräder installiert, die auf eine Gesamtleistung von 977 Megawatt kommen – viel zu wenig, um die ambitionierten Ziele der Energiewende zu erreichen. Zumal der Nettozuwachs mit nur 877 Megawatt noch geringer ausfiel, weil inzwischen die ersten alten Anlagen auslaufen und abgebaut werden. Der Anteil der Bundesländer ist sehr unterschiedlich, 80 Prozent der neuen Anlagen entfielen auf NRW, Brandenburg, Schleswig-Holstein und Niedersachsen. Bayern und Baden-Württemberg liegen dagegen weit zurück. Und das, obwohl just dort in der starken mittelständischen Industrie eine große Nachfrage herrscht. Das Ziel lautet, dass bis 2030 schrittweise eine Windleistung von 115 Gigawatt erreicht werden soll.

Auch Photovoltaik-Anlagen werden besser gefördert. Das gilt für kleine Anlagen auf privaten Immobilien ebenso wie zum Beispiel für das sogenannte Agri-PV, bei dem landwirtschaftlicher Anbau mit PV-Anlagen überdacht wird. Der Landwirt kann dadurch sowohl seine landwirtschaftlichen Produkte anbauen als auch Sonnenenergie erzeugen. Auch Flächen auf Gewässern oder an Parkplätzen dürfen genutzt werden. 2030 soll durch Photovoltaik jährlich eine Leistung von 215 Gigawatt produziert werden.

Stellt das Erreichen dieser Ziele schon einen Kraftakt dar, so sind Kritiker der Ansicht, dass in Deutschland allein mittels Wind und Sonne niemals der in Zukunft rasant wachsende Bedarf an Strom gedeckt werden könne. Sie verweisen auf eine weitere Möglichkeit, auf nachhaltige Weise Energie zu erzeugen: Biogas. Es entsteht beim Zersetzen von organischem Material, für seine Erzeugung werden vor allem Energiepflanzen wie Mais, Gülle und Stroh verwendet. Seine Befürworter verweisen darauf, dass Biogas anders als Wind- und Solarenergie jederzeit erzeugt werden kann und nicht abhängig davon ist, ob der Wind weht oder die Sonne scheint. Vor allem im Winter sind Biogasanlagen eine gute Möglichkeit, um die Erdgasspeicher zu entlasten.

Mais beispielsweise ist eine schnell nachwachsende Pflanze, die vergleichsweise wenig Wasser braucht und viel CO2 bindet. Organische Rückstände, die bei der Gasgewinnung anfallen, stellen einen guten Naturdünger dar. Die Befürworter des Biogases verweisen auch darauf, dass Biogasanlagen bei Landwirten ihr Gas in die Region wie das benachbarte Dorf liefern können. Das Potenzial, das die nachhaltige Energiequelle Biogas bietet, ist in Deutschland bei Weitem nicht ausgereizt. Da der Ausbau der Biogas-Produktion ziemlich schnell vor sich gehen könnte, wäre es auch in der Lage, in naher Zukunft die Energieprobleme deutlich lindern zu helfen. Der Landesverband Erneuerbare Energien NRW (LEE NRW) schätzt, dass allein durch eine bessere Nutzung der vorhandenen Biogasanlagen ohne zusätzlichen Anbau von Mais 19 Milliarden Kilowattstunden Biogas erzeugt werden können. Daraus könnten sieben Milliarden Kilowattstunden Strom gewonnen werden – mehr als ein Atomkraftwerk pro Jahr produziert.

Doch die Bundesregierung ist zögerlich, und das liegt ausgerechnet an den Grünen. Die bisherige Förderung wird langsam abgebaut, sodass Biogas-Betriebe damit rechnen müssen, bald nicht einmal mehr ihre Kosten wieder hereinzubekommen und infolgedessen schließen werden. Die Kritiker befürchten, dass sich auf Deutschlands landwirtschaftlichen Flächen Monokulturen ausbreiten, was schlecht für die Versorgung der Bevölkerung und für die Qualität der Böden sei. Man muss abwarten, ob der Druck so groß wird, dass sich auch Biogas in Zukunft als erneuerbare Energie durchsetzen kann.

4. Jul 2025

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Wirtschaft

Chancen für die Zukunft der Versorgung – mit Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Jürgen Debus & Dr. Johannes Danckert

![Dr_Johannes_Danckert_Copyright_Kevin_Kuka_Vivantes_online.jpg](https://cwbucket.fra1.digitaloceanspaces.com/Dr_Johannes_Danckert_Copyright_Kevin_Kuka_Vivantes_online_6e3b6d01f5.jpg) ``` Dr. Johannes Danckert, Vorsitzender der Geschäftsführung, Vivantes – Netzwerk für Gesundheit GmbH ``` **Dr. Johannes Danckert, Vorsitzender der Geschäftsführung, Vivantes – Netzwerk für Gesundheit GmbH** Digitalisierung kann die Patientenversorgung schneller, besser und sicherer machen. Immer öfter werden dabei auch die traditionellen Grenzen zwischen ambulanten und stationären Bereichen sowie einzelnen Versorgungseinrichtungen abgebaut. So kann die ‚Patient Journey‘, also der gesamte Behandlungsweg eines Patienten von Diagnose bis Nachsorge, zu einer vernetzten Gesundheitsregion verbunden werden. Trotz deutlicher digitaler Fortschritte haben deutsche Krankenhäuser allerdings weiterhin erheblichen Entwicklungsbedarf, bedingt vor allem durch kleinteilige Strukturen und unzureichende Finanzierung. Denn die Implementierung innovativer Lösungen setzt bereits einen hohen Digitalisierungsgrad voraus. Bei Vivantes wurden zentrale Prozesse wie die Patientenkurve, Medikation, Pflegeprozesssteuerung sowie Anforderungs- und Befundungsprozesse digitalisiert. Auch große Teile der Medizintechnik sind eingebunden. KI-gestützte Systeme helfen uns, Frakturen und Embolien schneller zu erkennen oder warnen vor Komplikationen wie Delir oder Nierenversagen. Künstliche Intelligenz unterstützt uns auch dabei, Patientendaten direkt aus dem Rettungswagen in das Klinik-Informationssystem (KIS) zu übertragen, sodass die Krankenakte bei Ankunft bereits angelegt ist. Eine von uns entwickelte, interoperable Datenplattform ermöglicht zudem den automatisierten Datenaustausch von inzwischen 15 Klinikträgern in der Region Berlin-Brandenburg. Damit entstehen telemedizinische Versorgungskonzepte weit über Berlin hinaus. ![prof.dr.dr.jurgendebus_online.jpg](https://cwbucket.fra1.digitaloceanspaces.com/prof_dr_dr_jurgendebus_online_d7f732ea04.jpg) ``` Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Jürgen Debus, Vorstandsvorsitzender und Leitender Ärztlicher Direktor des Universitätsklinikums Heidelberg ``` **Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Jürgen Debus, Vorstandsvorsitzender und Leitender Ärztlicher Direktor Universitätsklinikum Heidelberg** Smarte Technologien und eine optimale Datennutzung verbessern den Klinikalltag und die Patientenversorgung. Das zukünftige Herzzentrum am Universitätsklinikum Heidelberg planen wir als Smart Hospital: Dort werden z. B. OPs gefilmt und das KI-System warnt automatisch bei Veränderungen des Patienten oder ungewöhnlichen Vorgängen. So werden Risiken früh erkannt und die Sicherheit erhöht. Dank verknüpfter Patientendaten und digitalem Terminmanagement läuft auch die Vorbereitung auf Eingriffe effizienter, da benötigte Ressourcen wie CT-Termine frühzeitig ersichtlich sind. Ein smartes Entlassmanagement stellt relevante Dokumente für den Patienten automatisch bereit und koordiniert Sozialdienst, Pflege und Medikamentenbedarf, sodass der Übergang in die weitere Versorgung optimal organisiert ist. In all diesen Algorithmen und Systemen steckt das gebündelte Wissen von Ärztinnen und Ärzten, Pflegepersonal und Forschenden. Die meisten KI-Anwendungen basieren auf maschinellen Lernmodellen, die mit Patientendaten trainiert werden, um Muster zu erkennen. Je größer der verfügbare Datensatz, desto exakter fallen Diagnosen und Prognosen aus – ein wichtiger Faktor angesichts des steigenden Versorgungsbedarfs bei gleichzeitig sinkender Zahl an Fachkräften. Smarte Technologien helfen, diese Lücke zu schließen und die Versorgung weiterhin auf hohem Niveau zu gewährleisten. Damit es nicht bei Insellösungen bleibt, treiben wir die übergreifende Datenintegration voran, ähnlich wie sie in der internationalen Forschung etabliert ist.

30. Jun 2025

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Wirtschaft

Krise als Chance: Wie KI und strategisches Supply Chain Management Europas Rolle stärken können – Ein Beitrag von Dr. Lars Kleeberg, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands für Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik e.V. (BME)

Globale Lieferketten stehen unter massivem Druck. Handelskonflikte, Protektionismus und geopolitische Krisen haben die Weltwirtschaft grundlegend verändert – mit direkten Auswirkungen auf Produktion, Versorgungssicherheit und Wettbewerbsfähigkeit. Seit Trumps Zoll-Eskalationen ist klar: Lieferketten sind keine stille Infrastruktur im Hintergrund mehr – sie sind kritische Erfolgsfaktoren für Unternehmen und Volkswirtschaften. Just-in-time ist out, just-in-case-Konzepte sind jetzt notwendig. Es ist höchste Zeit, dass Deutschland und Europa ihre Abhängigkeiten hinterfragen und ihre Versorgungssicherheit neu denken. Politik und Wirtschaft sind gleichermaßen gefordert, die Schlüsselrolle von Einkauf, Logistik und Supply Chain Management strategisch anzuerkennen und aktiv zu stärken. Gerade Deutschland als Exportnation ist in besonderem Maße auf stabile, resiliente Lieferketten angewiesen. Steigende regulatorische Anforderungen wie CSRD, CSDDD, EUDR oder REACH verschärfen den Druck auf die Unternehmen zusätzlich: Einkauf, Supply Chain Management und Logistik müssen heute ökologische, soziale und wirtschaftliche Ziele gleichzeitig erfüllen – ein Spagat, der die Komplexität erheblich erhöht und insbesondere den Mittelstand herausfordert. In diesem Spannungsfeld wächst die Bedeutung von Künstlicher Intelligenz. Mithilfe von KI können Supply Chain-Manager Transparenz entlang globaler Lieferketten herstellen, Risiken frühzeitig erkennen, Compliance-Anforderungen effizienter erfüllen und Prozesse automatisieren. Doch trotz des enormen Potenzials sind KI- Anwendungen heute oft noch Pilotprojekte – gehemmt durch mangelnde Integration, rechtliche Unsicherheiten und zögerliche Entscheidungen in der Unternehmensführung. Es braucht deshalb eine klare Haltung in den Vorstandsetagen: Der strategische Einsatz von KI muss Chefsache werden. Nur, wer Technologie gezielt integriert und daraus neue Fähigkeiten entwickelt, sichert sich langfristige Wettbewerbsvorteile. Gleichzeitig müssen die politischen Entscheidungsträger in Berlin und Brüssel an einem Strang ziehen. Angesichts geopolitischer Spannungen, zunehmenden Protektionismus und wirtschaftlicher Entkopplung muss die EU mit einer Stimme zentrale Handelsabkommen und strategische Partnerschaften vorantreiben. Die neue Bundesregierung muss zügig die wirtschaftliche Resilienz unserer Unternehmen durch ein neues Außenwirtschaftsgesetz stärken und die versprochene Expertenkommission zur Risikoanalyse globaler Abhängigkeiten einsetzen. Europa kann gestärkt aus dieser Krise hervorgehen, wenn es gelingt, strategische Rohstoffe zu sichern, Handelsbeziehungen auf Augenhöhe auszubauen und ein level playing field – insbesondere im Verhältnis zu China – durchzusetzen. Ein strategischer Wandel ist unumgänglich. Insbesondere für Deutschland und Europa gilt: Versorgungssicherheit, Innovationsfähigkeit und wirtschaftliche Souveränität sind untrennbar mit robusten Lieferketten verbunden. Supply Chain Management, Einkauf und Logistik sind längst keine operativen Randfunktionen mehr – sie sind zentrale Erfolgsfaktoren in einer zunehmend fragmentierten Weltwirtschaft. Die internationale Wettbewerbsfähigkeit Europas entscheidet sich nicht in der nächsten Krise – sie entscheidet sich jetzt. >Angesichts geopolitischer Spannungen, zunehmenden Protektionismus und wirtschaftlicher Entkopplung muss die EU mit einer Stimme zentrale Handelsabkommen und strategische Partnerschaften vorantreiben.