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31. Mär 2025

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Wirtschaft

„Offen für neue Technologien, aber Traditionelles nicht vergessen“ – Ein Beitrag von René Püchner, Präsident Lebensmittelverband

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Foto: Sandra Ritschel/Lebensmittelverband

Wenn wir über die Esskultur der Zukunft sprechen, müssen wir unterscheiden zwischen einem Medienhype und einem echten Trend, der sich auch in Zukunft durchsetzen wird. Vieles flammt auf und verschwindet wieder vom Markt, wenn die Verbrauchenden darin keinen ausreichenden Mehrwert für sich erkennen. Schauen wir uns ein paar Trends an: Speiseinsekten, Quallen, ja selbst Algen sind nicht für jeden etwas. Nach dem anfänglichen Hype werden Speiseinsekten mittlerweile sogar mit Skepsis betrachtet (Stichwort: Beimischung) und sind eher ein Nischenprodukt in Deutschland.

Pflanzliche Fleisch- und Milchalternativen sind hingegen auf dem deutschen Markt nicht mehr wegzudenken. Wir beobachten seit einigen Jahren einen leichten Rückgang des Fleischkonsums und eine steigende Nachfrage nach Fleischersatzprodukten, da die meisten Verbrauchenden aufgrund ökologischer und ethischer Motive den Fleischkonsum reduzieren, jedoch nicht auf den Geschmack verzichten möchten. Laut Prognosen des Statista Consumer Market Outlooks soll der Pro-Kopf- Absatz von Fleischersatzprodukten von 410 Gramm im Jahr 2021 auf 1,38 Kilogramm im Jahr 2027 steigen. Abgesehen davon, dass es in Deutschland noch nicht zugelassen ist, ist im Labor gezüchtetes Fleisch aufgrund der hohen Produktionskosen derzeit noch nicht wettbewerbsfähig. Die Nährlösung für zellkulturbasiertes Fleisch – fetales Kälberserum – ist aus ethischen Gründen eine weitere Herausforderung. Was man auch ganz klar sagen muss – wir sprechen bei zellkulturbasiertem Fleisch und auch der Präzisionsfermentation, also der Milch aus dem Labor, von zwei hochtechnologischen Verfahren – das hat mit Natürlichkeit nicht mehr viel zu tun, weshalb viele Verbrauchende Vorbehalte haben.

Was heißt das konkret? Alle diese Trends sind notwendig, sie beleben die Vielfalt und sie können dazu beitragen, unsere Ernährung langfristig zu sichern. Sie lösen aber nicht die klassische Ernährungsweise und Lebensmittelproduktion ab, die wir kennen. Sie sind ein Zusatzangebot. Weder wollen die Menschen auf klassische tierische Produkte komplett verzichten, noch können wir in der Lebensmittelkette auf die Landwirtschaft verzichten. Rohstoffe ausschließlich aus dem Labor – das ist kaum vorstellbar.

Das, was wir hier in Mitteleuropa auf Grund unserer Lage immer schon gut anbauen konnten, Getreide, Fleisch, Äpfel, Kohl etc., das produzieren und verzehren wir nach wie vor, da sind wir konstant. Anderes kommt aber dazu – dank Globalisierung, Einwanderung, Klimawandel und neuer Notwendigkeiten, zum Beispiel mehr Erbsen für die Alternativprodukte.

Der Markt und damit die Verbrauchenden werden entscheiden, wie die Zukunft schmeckt. Dabei darf man zwei Sachen nicht außer Acht lassen. Erstens: kulturelle Prägungen sind stärker als man glaubt. Wir feiern hierzulande nicht mehr nur St. Martin, Ostern und Weihnachten, sondern das Zuckerfest, Opferfest, Newroz, Holi und Pessach. Und das ist gut so, denn es erweitert unseren Horizont.

Zweitens: das, was wir hier in Mitteleuropa auf Grund unserer Lage immer schon gut anbauen konnten, Getreide, Fleisch, Äpfel, Kohl etc., das produzieren und verzehren wir nach wie vor, da sind wir konstant. Anderes kommt aber dazu – dank Globalisierung, Einwanderung, Klimawandel und neuer Notwendigkeiten, zum Beispiel mehr Erbsen für die Alternativprodukte. Wir müssen deshalb offen sein für neue Technologien, dürfen aber auch Traditionelles nicht vergessen – damit sich langfristig das durchsetzen kann, was schmeckt und kulturell-kulinarisch, ökologisch und wirtschaftlich trägt.

4. Jul 2025

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Wirtschaft

Chancen für die Zukunft der Versorgung – mit Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Jürgen Debus & Dr. Johannes Danckert

![Dr_Johannes_Danckert_Copyright_Kevin_Kuka_Vivantes_online.jpg](https://cwbucket.fra1.digitaloceanspaces.com/Dr_Johannes_Danckert_Copyright_Kevin_Kuka_Vivantes_online_6e3b6d01f5.jpg) ``` Dr. Johannes Danckert, Vorsitzender der Geschäftsführung, Vivantes – Netzwerk für Gesundheit GmbH ``` **Dr. Johannes Danckert, Vorsitzender der Geschäftsführung, Vivantes – Netzwerk für Gesundheit GmbH** Digitalisierung kann die Patientenversorgung schneller, besser und sicherer machen. Immer öfter werden dabei auch die traditionellen Grenzen zwischen ambulanten und stationären Bereichen sowie einzelnen Versorgungseinrichtungen abgebaut. So kann die ‚Patient Journey‘, also der gesamte Behandlungsweg eines Patienten von Diagnose bis Nachsorge, zu einer vernetzten Gesundheitsregion verbunden werden. Trotz deutlicher digitaler Fortschritte haben deutsche Krankenhäuser allerdings weiterhin erheblichen Entwicklungsbedarf, bedingt vor allem durch kleinteilige Strukturen und unzureichende Finanzierung. Denn die Implementierung innovativer Lösungen setzt bereits einen hohen Digitalisierungsgrad voraus. Bei Vivantes wurden zentrale Prozesse wie die Patientenkurve, Medikation, Pflegeprozesssteuerung sowie Anforderungs- und Befundungsprozesse digitalisiert. Auch große Teile der Medizintechnik sind eingebunden. KI-gestützte Systeme helfen uns, Frakturen und Embolien schneller zu erkennen oder warnen vor Komplikationen wie Delir oder Nierenversagen. Künstliche Intelligenz unterstützt uns auch dabei, Patientendaten direkt aus dem Rettungswagen in das Klinik-Informationssystem (KIS) zu übertragen, sodass die Krankenakte bei Ankunft bereits angelegt ist. Eine von uns entwickelte, interoperable Datenplattform ermöglicht zudem den automatisierten Datenaustausch von inzwischen 15 Klinikträgern in der Region Berlin-Brandenburg. Damit entstehen telemedizinische Versorgungskonzepte weit über Berlin hinaus. ![prof.dr.dr.jurgendebus_online.jpg](https://cwbucket.fra1.digitaloceanspaces.com/prof_dr_dr_jurgendebus_online_d7f732ea04.jpg) ``` Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Jürgen Debus, Vorstandsvorsitzender und Leitender Ärztlicher Direktor des Universitätsklinikums Heidelberg ``` **Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Jürgen Debus, Vorstandsvorsitzender und Leitender Ärztlicher Direktor Universitätsklinikum Heidelberg** Smarte Technologien und eine optimale Datennutzung verbessern den Klinikalltag und die Patientenversorgung. Das zukünftige Herzzentrum am Universitätsklinikum Heidelberg planen wir als Smart Hospital: Dort werden z. B. OPs gefilmt und das KI-System warnt automatisch bei Veränderungen des Patienten oder ungewöhnlichen Vorgängen. So werden Risiken früh erkannt und die Sicherheit erhöht. Dank verknüpfter Patientendaten und digitalem Terminmanagement läuft auch die Vorbereitung auf Eingriffe effizienter, da benötigte Ressourcen wie CT-Termine frühzeitig ersichtlich sind. Ein smartes Entlassmanagement stellt relevante Dokumente für den Patienten automatisch bereit und koordiniert Sozialdienst, Pflege und Medikamentenbedarf, sodass der Übergang in die weitere Versorgung optimal organisiert ist. In all diesen Algorithmen und Systemen steckt das gebündelte Wissen von Ärztinnen und Ärzten, Pflegepersonal und Forschenden. Die meisten KI-Anwendungen basieren auf maschinellen Lernmodellen, die mit Patientendaten trainiert werden, um Muster zu erkennen. Je größer der verfügbare Datensatz, desto exakter fallen Diagnosen und Prognosen aus – ein wichtiger Faktor angesichts des steigenden Versorgungsbedarfs bei gleichzeitig sinkender Zahl an Fachkräften. Smarte Technologien helfen, diese Lücke zu schließen und die Versorgung weiterhin auf hohem Niveau zu gewährleisten. Damit es nicht bei Insellösungen bleibt, treiben wir die übergreifende Datenintegration voran, ähnlich wie sie in der internationalen Forschung etabliert ist.

30. Jun 2025

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Wirtschaft

Krise als Chance: Wie KI und strategisches Supply Chain Management Europas Rolle stärken können – Ein Beitrag von Dr. Lars Kleeberg, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands für Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik e.V. (BME)

Globale Lieferketten stehen unter massivem Druck. Handelskonflikte, Protektionismus und geopolitische Krisen haben die Weltwirtschaft grundlegend verändert – mit direkten Auswirkungen auf Produktion, Versorgungssicherheit und Wettbewerbsfähigkeit. Seit Trumps Zoll-Eskalationen ist klar: Lieferketten sind keine stille Infrastruktur im Hintergrund mehr – sie sind kritische Erfolgsfaktoren für Unternehmen und Volkswirtschaften. Just-in-time ist out, just-in-case-Konzepte sind jetzt notwendig. Es ist höchste Zeit, dass Deutschland und Europa ihre Abhängigkeiten hinterfragen und ihre Versorgungssicherheit neu denken. Politik und Wirtschaft sind gleichermaßen gefordert, die Schlüsselrolle von Einkauf, Logistik und Supply Chain Management strategisch anzuerkennen und aktiv zu stärken. Gerade Deutschland als Exportnation ist in besonderem Maße auf stabile, resiliente Lieferketten angewiesen. Steigende regulatorische Anforderungen wie CSRD, CSDDD, EUDR oder REACH verschärfen den Druck auf die Unternehmen zusätzlich: Einkauf, Supply Chain Management und Logistik müssen heute ökologische, soziale und wirtschaftliche Ziele gleichzeitig erfüllen – ein Spagat, der die Komplexität erheblich erhöht und insbesondere den Mittelstand herausfordert. In diesem Spannungsfeld wächst die Bedeutung von Künstlicher Intelligenz. Mithilfe von KI können Supply Chain-Manager Transparenz entlang globaler Lieferketten herstellen, Risiken frühzeitig erkennen, Compliance-Anforderungen effizienter erfüllen und Prozesse automatisieren. Doch trotz des enormen Potenzials sind KI- Anwendungen heute oft noch Pilotprojekte – gehemmt durch mangelnde Integration, rechtliche Unsicherheiten und zögerliche Entscheidungen in der Unternehmensführung. Es braucht deshalb eine klare Haltung in den Vorstandsetagen: Der strategische Einsatz von KI muss Chefsache werden. Nur, wer Technologie gezielt integriert und daraus neue Fähigkeiten entwickelt, sichert sich langfristige Wettbewerbsvorteile. Gleichzeitig müssen die politischen Entscheidungsträger in Berlin und Brüssel an einem Strang ziehen. Angesichts geopolitischer Spannungen, zunehmenden Protektionismus und wirtschaftlicher Entkopplung muss die EU mit einer Stimme zentrale Handelsabkommen und strategische Partnerschaften vorantreiben. Die neue Bundesregierung muss zügig die wirtschaftliche Resilienz unserer Unternehmen durch ein neues Außenwirtschaftsgesetz stärken und die versprochene Expertenkommission zur Risikoanalyse globaler Abhängigkeiten einsetzen. Europa kann gestärkt aus dieser Krise hervorgehen, wenn es gelingt, strategische Rohstoffe zu sichern, Handelsbeziehungen auf Augenhöhe auszubauen und ein level playing field – insbesondere im Verhältnis zu China – durchzusetzen. Ein strategischer Wandel ist unumgänglich. Insbesondere für Deutschland und Europa gilt: Versorgungssicherheit, Innovationsfähigkeit und wirtschaftliche Souveränität sind untrennbar mit robusten Lieferketten verbunden. Supply Chain Management, Einkauf und Logistik sind längst keine operativen Randfunktionen mehr – sie sind zentrale Erfolgsfaktoren in einer zunehmend fragmentierten Weltwirtschaft. Die internationale Wettbewerbsfähigkeit Europas entscheidet sich nicht in der nächsten Krise – sie entscheidet sich jetzt. >Angesichts geopolitischer Spannungen, zunehmenden Protektionismus und wirtschaftlicher Entkopplung muss die EU mit einer Stimme zentrale Handelsabkommen und strategische Partnerschaften vorantreiben.