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14. Okt 2020

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Wirtschaft

„Qualität wird sich immer durchsetzen!“

Journalist: Alicia Steinbrück

Sarah Wiener ist eine echte Mache-rin – sie ist Unternehmerin, Köchin, Buchautorin und seit 2019 für die ös-terreichischen Grünen im EU-Parla-ment. Wir sprachen mit ihr über den Wandel der Lebensmittelbranche – insbesondere unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit – und die Wichtigkeit des Handwerks. 

Sarah Wiener, Unternehmerin, Köchin,  Buchautorin und Politikerin; Foto: Beth Jennings Photography, Christian Kaufmann

Im Jahr 2012 gründeten Sie Ihre Bio-Bäckerei „Wiener Brot“ in Berlin. Was genau macht Bio-Brot aus? 

Frisches Handwerksbrot hält normaler-weise vier Mal so lange frisch wie Indus-triebrot. Zusätzlich sättigt es stärker und schneller. Zwar zahlen Verbraucher für diese handgefertigten Bio-Brote einen höheren Preis, dafür erhalten sie aber auch ein anderes Produkt: Ein Brot von hoher Qualität und mit kaum zugesetzten Zusatzstoffen. Ich bin davon überzeugt, dass sich Qualität sowieso immer durchsetzt. 

Wir wollen in der Regel das Beste für uns – das wäre im Bereich der Backwaren ein biologisches Handwerksbrot. In unserer Bäckerei backen wir so natürlich wie vor 100 Jahren. Und wir kennen unsere Kunden.Wenn ich weiß wer mein Brot isst, macht das Produzieren viel mehr Freude. Im Umkehrschluss sind auch die Konsumenten eher bereit mehr zu zahlen, wenn sie wissen wie und von wem ihr Brot gebacken wird.

Wie lief der Start Ihrer Bäckerei an und was zeigt die aktuelle Entwicklung?

Der Anfang war sehr mühsam – und gleichzeitig, wie auch gegenwärtig, voller Herzblut. Bäcker mussten geschult und Holzöfen in der Stadt installiert werden – Nachhaltigkeit spielte von Anfang an eine große Rolle. Unser Ziel war es, ein nahezu ausgestorbenes Handwerk zurückzuholen. Als recht kleiner Betrieb mussten wir uns auch erstmal am Markt durchsetzen und unsere Kunden mit unseren Produkten überzeugen. 

Inwiefern hat die Coronapandemie Ihren betrieblichen Alltag verändert? 

Es ist zu beobachten, dass Hofläden und Bio-Produkte generell einen Boom erleben, die Nachfrage hat während Corona deutlich zugenommen. Vermutlich liegt es an der Stressresistenz dieser Betriebe. Außerdem sind diese oft persönlicher, transparenter und nahbarer – Aspekte, die auch für Konsumenten und Kunden immer interessanter werden. Corona hat auch wieder mal gezeigt, was in der Industrie schiefläuft, und wie dringend ein anderes Agrarsystem und eine Ernährungswende benötigt werden. 

Wie setzen Sie in Ihrem Betrieb  Nachhaltigkeit um?

Einer der wichtigsten Grundsätze ist zunächst, die Mitarbeiter gut zu behandeln. Der zweite, die Umwelt zu schonen. Unser Holz kommt aus nachhaltigem brandenburgischem Anbau. Außerdem beziehen wir unser Demeter- und Bio-Getreide aus Deutschland und arbeiten mit Bio-Mühlen zusammen. Die verwendeten Gewürze sind ebenso regional und Bio-zertifiziert, auf Zusatzstoffe wird komplett verzichtet. Die Kette der Nachhaltigkeit beginnt bereits bei der Wahl des Getreides und geht über die Verarbeitung bis zur Wahl des Verpackungsmaterials. Nachhaltigkeit bedeutet, die Individualität von Produkten, unsere Nachbarn, die gesamte Umgebung und auch das Handwerk zu stärken. 

Welche Tipps können Sie Konsumenten geben, die nachhaltiger agieren und essen wollen?

Unsere jetzige Ernährung begünstigt oftmals chronisch-entzündliche Erkrankungen, beispielsweise Diabetes, Fettsucht, Bluthochdruck oder Darmkrankheiten bis hin zu Krebs. Wir brauchen wieder mehr vollwertige und nahrhafte Lebens- und Nahrungsmittel. Die Ursprünge von Verdaulichkeitsproblemen können auch an der Wahl des falschen Brotes liegen – hier handelt es sich also sozusagen um ein Zivilisationsproblem. Erstens muss der Trend wieder zum vollen Korn gehen – auch wenn es anders schmeckt als Weißbrot, denn Vollkorn ist das, was unser Stoffwechsel bereits seit Jahrtausenden kennt. Zweitens sollten wir Brote mit langer Teigführung essen. Das macht das Brot verdaulicher. Und drittens brauchen wir Lebensmittel aus ökologischem Anbau, ohne Stickstoff, ohne Pestizide. Die Lebensmittelauswahl ist so vielfältig und die sollten wir auch nutzen und weiterhin erhalten – gerade auch beim Getreide.Die besondere Krux bei Lebensmitteln ist, dass tendenziell nur bestimmte Teile eines Lebensmittels verwendet werden – wie beispielsweise die Brust der Pute, die deswegen deformiert und unter Leid gezüchtet wird. Dabei könnte das ganze Tier so köstlich zubereitet werden und wir könnten damit unsere jetzige Art, die Tiere zu halten, nämlich Massentierhaltung, enorm reduzieren.

Worauf können Konsumenten bei der Wahl ihrer Bäckerei oder beim Lebensmitteleinkauf im Supermarkt achten?

Kaufen Sie in kleinen, inhabergeführten Läden, auf Märkten, beim Bauern und Produzenten direkt. Wenn Sie keine frischen Grundnahrungsmittel kaufen, dann schauen Sie auf jeden Fall aufs Etikett. Je kürzer das Etikett, desto besser. Ich empfehle, nichts zu kaufen, was nicht auch nach-gekocht werden könnte – und dann liegt es oft nahe, es direkt selbst zu machen. Kurze Transportwege beim Einkauf, wenig Verpackungsmüll und mit Einkaufsliste einkaufen zu gehen, sind weitere Tipps. Einer der wichtigsten Punkte: Bitte, bitte kaufen und essen Sie nur Fleisch aus wesensgerechter Tierhaltung. In Sachen Brot beispielsweise muss jede Bäckerei eine transparente Liste über Zusatzstoffe führen. Ein Handwerksbäcker weiß was in seinem Brot ist und hat nur wenige Brotsorten, im Vergleich zu Industriebäckern oder Aufback-Shops. Ein eindeutiges Zeichen für Qualität ist eine beschränkte Auswahl, ein individuelles Brot, das immer ein wenig anders aussehen kann.

Ein weiterer Indikator ist auch die Farbe des Brotes. Die Farbe von Vollkornbrot geht eher ins gräuliche statt ins kräftige Braun. Aufgebackenes Brot, verpackt in Plastik, würde ich nur in der allergrößten Not essen. Dieses Brot ist mit vielen Zusatz- und Verarbeitungsstoffen behandelt. Letztere müssen nicht einmal deklariert werden.

Es gibt einen Trick wie man die Qualität von Lebensmitteln, auch von FastFood, besser beurteilen kann: Stellen Sie das Lebensmittel einfach für einen Tag in ein Zimmer mit normaler Raumtemperatur und sehen Sie es sich danach an und probieren Sie. Zum Beispiel Eis, Burger, Fritten oder Limonade. Vieles ist einfach wirklich ungenießbar. Bei den hochwertigen Produkten wird die Qualität erhalten bleiben. Handwerksbrot wird auch dann noch herzhaft und saftig schmecken. 

4. Jul 2025

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Wirtschaft

Chancen für die Zukunft der Versorgung – mit Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Jürgen Debus & Dr. Johannes Danckert

![Dr_Johannes_Danckert_Copyright_Kevin_Kuka_Vivantes_online.jpg](https://cwbucket.fra1.digitaloceanspaces.com/Dr_Johannes_Danckert_Copyright_Kevin_Kuka_Vivantes_online_6e3b6d01f5.jpg) ``` Dr. Johannes Danckert, Vorsitzender der Geschäftsführung, Vivantes – Netzwerk für Gesundheit GmbH ``` **Dr. Johannes Danckert, Vorsitzender der Geschäftsführung, Vivantes – Netzwerk für Gesundheit GmbH** Digitalisierung kann die Patientenversorgung schneller, besser und sicherer machen. Immer öfter werden dabei auch die traditionellen Grenzen zwischen ambulanten und stationären Bereichen sowie einzelnen Versorgungseinrichtungen abgebaut. So kann die ‚Patient Journey‘, also der gesamte Behandlungsweg eines Patienten von Diagnose bis Nachsorge, zu einer vernetzten Gesundheitsregion verbunden werden. Trotz deutlicher digitaler Fortschritte haben deutsche Krankenhäuser allerdings weiterhin erheblichen Entwicklungsbedarf, bedingt vor allem durch kleinteilige Strukturen und unzureichende Finanzierung. Denn die Implementierung innovativer Lösungen setzt bereits einen hohen Digitalisierungsgrad voraus. Bei Vivantes wurden zentrale Prozesse wie die Patientenkurve, Medikation, Pflegeprozesssteuerung sowie Anforderungs- und Befundungsprozesse digitalisiert. Auch große Teile der Medizintechnik sind eingebunden. KI-gestützte Systeme helfen uns, Frakturen und Embolien schneller zu erkennen oder warnen vor Komplikationen wie Delir oder Nierenversagen. Künstliche Intelligenz unterstützt uns auch dabei, Patientendaten direkt aus dem Rettungswagen in das Klinik-Informationssystem (KIS) zu übertragen, sodass die Krankenakte bei Ankunft bereits angelegt ist. Eine von uns entwickelte, interoperable Datenplattform ermöglicht zudem den automatisierten Datenaustausch von inzwischen 15 Klinikträgern in der Region Berlin-Brandenburg. Damit entstehen telemedizinische Versorgungskonzepte weit über Berlin hinaus. ![prof.dr.dr.jurgendebus_online.jpg](https://cwbucket.fra1.digitaloceanspaces.com/prof_dr_dr_jurgendebus_online_d7f732ea04.jpg) ``` Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Jürgen Debus, Vorstandsvorsitzender und Leitender Ärztlicher Direktor des Universitätsklinikums Heidelberg ``` **Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Jürgen Debus, Vorstandsvorsitzender und Leitender Ärztlicher Direktor Universitätsklinikum Heidelberg** Smarte Technologien und eine optimale Datennutzung verbessern den Klinikalltag und die Patientenversorgung. Das zukünftige Herzzentrum am Universitätsklinikum Heidelberg planen wir als Smart Hospital: Dort werden z. B. OPs gefilmt und das KI-System warnt automatisch bei Veränderungen des Patienten oder ungewöhnlichen Vorgängen. So werden Risiken früh erkannt und die Sicherheit erhöht. Dank verknüpfter Patientendaten und digitalem Terminmanagement läuft auch die Vorbereitung auf Eingriffe effizienter, da benötigte Ressourcen wie CT-Termine frühzeitig ersichtlich sind. Ein smartes Entlassmanagement stellt relevante Dokumente für den Patienten automatisch bereit und koordiniert Sozialdienst, Pflege und Medikamentenbedarf, sodass der Übergang in die weitere Versorgung optimal organisiert ist. In all diesen Algorithmen und Systemen steckt das gebündelte Wissen von Ärztinnen und Ärzten, Pflegepersonal und Forschenden. Die meisten KI-Anwendungen basieren auf maschinellen Lernmodellen, die mit Patientendaten trainiert werden, um Muster zu erkennen. Je größer der verfügbare Datensatz, desto exakter fallen Diagnosen und Prognosen aus – ein wichtiger Faktor angesichts des steigenden Versorgungsbedarfs bei gleichzeitig sinkender Zahl an Fachkräften. Smarte Technologien helfen, diese Lücke zu schließen und die Versorgung weiterhin auf hohem Niveau zu gewährleisten. Damit es nicht bei Insellösungen bleibt, treiben wir die übergreifende Datenintegration voran, ähnlich wie sie in der internationalen Forschung etabliert ist.

30. Jun 2025

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Wirtschaft

Krise als Chance: Wie KI und strategisches Supply Chain Management Europas Rolle stärken können – Ein Beitrag von Dr. Lars Kleeberg, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands für Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik e.V. (BME)

Globale Lieferketten stehen unter massivem Druck. Handelskonflikte, Protektionismus und geopolitische Krisen haben die Weltwirtschaft grundlegend verändert – mit direkten Auswirkungen auf Produktion, Versorgungssicherheit und Wettbewerbsfähigkeit. Seit Trumps Zoll-Eskalationen ist klar: Lieferketten sind keine stille Infrastruktur im Hintergrund mehr – sie sind kritische Erfolgsfaktoren für Unternehmen und Volkswirtschaften. Just-in-time ist out, just-in-case-Konzepte sind jetzt notwendig. Es ist höchste Zeit, dass Deutschland und Europa ihre Abhängigkeiten hinterfragen und ihre Versorgungssicherheit neu denken. Politik und Wirtschaft sind gleichermaßen gefordert, die Schlüsselrolle von Einkauf, Logistik und Supply Chain Management strategisch anzuerkennen und aktiv zu stärken. Gerade Deutschland als Exportnation ist in besonderem Maße auf stabile, resiliente Lieferketten angewiesen. Steigende regulatorische Anforderungen wie CSRD, CSDDD, EUDR oder REACH verschärfen den Druck auf die Unternehmen zusätzlich: Einkauf, Supply Chain Management und Logistik müssen heute ökologische, soziale und wirtschaftliche Ziele gleichzeitig erfüllen – ein Spagat, der die Komplexität erheblich erhöht und insbesondere den Mittelstand herausfordert. In diesem Spannungsfeld wächst die Bedeutung von Künstlicher Intelligenz. Mithilfe von KI können Supply Chain-Manager Transparenz entlang globaler Lieferketten herstellen, Risiken frühzeitig erkennen, Compliance-Anforderungen effizienter erfüllen und Prozesse automatisieren. Doch trotz des enormen Potenzials sind KI- Anwendungen heute oft noch Pilotprojekte – gehemmt durch mangelnde Integration, rechtliche Unsicherheiten und zögerliche Entscheidungen in der Unternehmensführung. Es braucht deshalb eine klare Haltung in den Vorstandsetagen: Der strategische Einsatz von KI muss Chefsache werden. Nur, wer Technologie gezielt integriert und daraus neue Fähigkeiten entwickelt, sichert sich langfristige Wettbewerbsvorteile. Gleichzeitig müssen die politischen Entscheidungsträger in Berlin und Brüssel an einem Strang ziehen. Angesichts geopolitischer Spannungen, zunehmenden Protektionismus und wirtschaftlicher Entkopplung muss die EU mit einer Stimme zentrale Handelsabkommen und strategische Partnerschaften vorantreiben. Die neue Bundesregierung muss zügig die wirtschaftliche Resilienz unserer Unternehmen durch ein neues Außenwirtschaftsgesetz stärken und die versprochene Expertenkommission zur Risikoanalyse globaler Abhängigkeiten einsetzen. Europa kann gestärkt aus dieser Krise hervorgehen, wenn es gelingt, strategische Rohstoffe zu sichern, Handelsbeziehungen auf Augenhöhe auszubauen und ein level playing field – insbesondere im Verhältnis zu China – durchzusetzen. Ein strategischer Wandel ist unumgänglich. Insbesondere für Deutschland und Europa gilt: Versorgungssicherheit, Innovationsfähigkeit und wirtschaftliche Souveränität sind untrennbar mit robusten Lieferketten verbunden. Supply Chain Management, Einkauf und Logistik sind längst keine operativen Randfunktionen mehr – sie sind zentrale Erfolgsfaktoren in einer zunehmend fragmentierten Weltwirtschaft. Die internationale Wettbewerbsfähigkeit Europas entscheidet sich nicht in der nächsten Krise – sie entscheidet sich jetzt. >Angesichts geopolitischer Spannungen, zunehmenden Protektionismus und wirtschaftlicher Entkopplung muss die EU mit einer Stimme zentrale Handelsabkommen und strategische Partnerschaften vorantreiben.