31. Mär 2025
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Wirtschaft
Journalist: Nadine Wagner
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Foto: Aurore Martignoni
Landwirte sollen sich auf das konzentrieren können, was sie am besten können – hochwertige Lebensmittel produzieren. Welche Maßnahmen die EU ergreift, erklärt EU-Kommissar für Landwirtschaft und Ernährung Christophe Hansen im Interview.
Welche Entwicklungen sehen Sie für den ländlichen Raum?
Ländliche Regionen bilden einen zentralen Teil der EU. Rund 25 Prozent der EU-Bevölkerung leben auf dem Land; sie bedecken 75 Prozent der Gesamtfläche und prägen nicht zuletzt die Identität und die Wirtschaft Europas. Da ich in einer kleinen Stadt im Nordwesten Luxemburgs aufgewachsen bin, weiß ich aus erster Hand, was es bedeutet, auf dem Land zu leben. Ich sehe eine Zukunft, in der die ländlichen Gebiete lebendig und gut vernetzt sind und faire Arbeits- und Lebensbedingungen bieten. Die Europäische Kommission setzt sich deshalb dafür ein, dass diejenigen, die in ländlichen Gebieten leben möchten, dies auch weiterhin tun können, indem sie dazu beiträgt, die Bildung zu verbessern, hochwertige Arbeitsplätze zu schaffen, die Mobilität zu erhöhen, die Gesundheitsversorgung zu stärken und die digitale Vernetzung auszubauen. Diese Maßnahmen sind wichtig, um ländliche Gemeinden lebendig zu halten und neue Talente anzuziehen, insbesondere im Lebensmittel- und Landwirtschaftssektor.
Vor allem kleine, regionale Unternehmen kämpfen zunehmend um ihr Überleben, weil versch. Vorschriften für sie schlicht nicht umsetzbar sind. Wie sieht ihre Zukunft aus?
Die EU-Verordnungen sollen Unternehmen in erster Linie unterstützen und nicht behindern. Wann immer die Europäische Kommission eine neue Initiative vorschlägt, prüfen wir sorgfältig deren Auswirkungen, um sicherzustellen, dass sie die Wettbewerbsfähigkeit unserer europäischen KMU und anderer Unternehmen nicht schwächt. Deshalb arbeiten wir aktiv an Vereinfachungsmaßnahmen, einschließlich der Reduzierung übermäßiger Meldepflichten für Landwirte, Lebensmittelhersteller und Agrargenossenschaften. Der Bürokratieabbau wird kleinen Unternehmen in der Wertschöpfungskette dabei helfen, sich auf das zu konzentrieren, was sie am besten können: die Herstellung von Qualitätsprodukten und die Förderung der lokalen Wirtschaft.
Landwirtschaft und Natur sind eng miteinander verbunden, sie müssen Hand in Hand gehen. Der beste Weg nach vorne ist daher die Unterstützung der Landwirte durch politische Maßnahmen, die nachhaltige Praktiken belohnen und maßgeschneiderte Lösungen für verschiedene Regionen bieten.
Die Investitionsbereitschaft der Landwirte sinkt, aber die Digitalisierung schreitet voran – wie passt das zusammen? Gibt es hier konkrete Angebote zur Unterstützung?
Der Mangel an Investitionen in der Landwirtschaft ist eine ernstzunehmende Herausforderung. Die Europäische Investitionsbank schätzt die Investitionslücke auf rund 62 Mrd. €, welche die Modernisierung und Innovation ausbremst. Aus diesem Grund arbeiten wir an einer ehrgeizigen Investitionsagenda, um diese Lücke zu schließen.
Hierzu wird die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) weiterhin Investitionen finanzieren, die Wettbewerbsfähigkeit, Nachhaltigkeit und Widerstandsfähigkeit fördern. Dazu gehören sowohl Investitionen in landwirtschaftliche Betriebe als auch größere Infrastrukturprojekte. Wir prüfen aber auch Risikoversicherungssysteme für Primärerzeuger und öffentlich-private Partnerschaften, um Finanzmittel für KMU in der Landwirtschaft und der Lebensmittelproduktion zu gewinnen.
Schließlich haben zum ersten Mal alle EU-Länder Digitalisierungsstrategien im Rahmen ihrer GAP-Strategiepläne entwickelt und dabei GAP-Instrumente mit anderen Finanzierungsprogrammen kombiniert. Um diesen Übergang zu unterstützen, wird die Kommission eine EU-Digitalstrategie für die Landwirtschaft auf den Weg bringen, um sicherzustellen, dass der Sektor zukunftsorientiert und wettbewerbsfähig ist.
Die Landwirtschaft hängt nicht zuletzt vom Schutz unserer wertvollsten Ressourcen ab: Wasser, Boden und biologische Vielfalt. Wie können wir es schaffen, diese so effizient und sparsam wie möglich zu nutzen?
Landwirtschaft und Natur sind eng miteinander verbunden, sie müssen Hand in Hand gehen. Der beste Weg nach vorne ist daher die Unterstützung der Landwirte durch politische Maßnahmen, die nachhaltige Praktiken belohnen und maßgeschneiderte Lösungen für verschiedene Regionen bieten. Indem wir mit der Natur zusammenarbeiten, können wir die Produktivität für künftige Generationen sichern.
Ich wünsche mir vor allem eine stärkere Angleichung der Produktionsstandards für importierte Produkte.
Wie sieht es generell mit der Versorgungssicherheit in Europa aus? Was wird getan, damit unsere eigenen Betriebe und Unternehmen krisenfest und durchsetzungsfähig bleiben?
Die europäische Lebensmittelsicherheit und -souveränität ist nicht verhandelbar. Die europäischen Bürger sind sich der Bedeutung der Lebensmittelsicherheit bewusst: 94 Prozent der Befragten in der jüngsten Eurobarometer-Umfrage stimmen zu, dass die Gewährleistung einer stabilen Lebensmittelversorgung in der EU wesentlich ist.
Die EU ist zwar weltweit der zweitgrößte Importeur von Agrar- und Ernährungsprodukten, aber auch der größte Exporteur. Unsere Produkte sind weltweit für ihre Qualität bekannt, und die Erhaltung eines starken, wettbewerbsfähigen Sektors ist für die Widerstandsfähigkeit Europas von entscheidender Bedeutung.
Die Vision der Europäischen Kommission für die Agrar- und Ernährungswirtschaft zielt daher darauf ab, den Sektor gegenüber dem globalen Wettbewerb und wirtschaftlichen Schocks zu stärken. Der Schlüssel dazu liegt in der Diversifizierung der Handelsbeziehungen, der Verringerung kritischer Abhängigkeiten und der Sicherstellung, dass die Landwirte unter gleichen Bedingungen konkurrieren können. Ich wünsche mir vor allem eine stärkere Angleichung der Produktionsstandards für importierte Produkte. Es ist für unsere Landwirte und EU-Bürger nicht nachvollziehbar, dass gefährliche Pestizide, die in der EU verboten sind, anderswo für Produkte verwendet werden können, die wir importieren. Unsere Landwirte haben einen fairen Wettbewerb verdient.