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1. Sep 2022

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Wirtschaft

„Veränderungen brauchen Zeit“

Journalist: Armin Fuhrer

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Foto: Presse/bme

Viele Unternehmen arbeiten erfolgreich an resilienteren Lieferketten und mehr Nachhaltigkeit, weiß die BME-Vorstandsvorsitzende Gundula Ullah.

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Frau Ullah, als Vorstandsvorsitzende des Bundesverbandes Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik e. V. (BME) haben Sie einen guten Überblick, wie die Lieferketten durch die Pandemie und den Ukraine-Krieg unter Druck geraten sind. Wie kann man sie resilienter machen?

Es gibt eine Reihe von Möglichkeiten. Zum Beispiel können sich Unternehmen alternative Lieferanten suchen – viele verfahren zunehmend nach der Strategie „China plus 1“, um nicht völlig von der Volksrepublik China abhängig zu sein. Eine Möglichkeit ist das Nearshoring, also im näheren Umfeld Europas Produkte einzukaufen. Ebenso wird versucht, Produkte zu substituieren, also durch vergleichbare zu ersetzen. Und natürlich kann man versuchen, die Produktion ins Land zurückzuholen. So wird bei Dresden ein Halbleiterwerk gebaut, damit wir uns aus der Abhängigkeit von China lösen können. Wichtig ist außerdem, dass jetzt viele Unternehmen Strategien zum Risikomanagement entwickeln – das wurde lange Zeit vernachlässigt.

Aber die Umsetzung braucht sicher eine gewisse Zeit?

Es geschieht in jüngster Zeit insgesamt sehr viel. Aber es ist richtig, denn es handelt sich oft um Veränderungen in Produktionsgüterprozessen. Ich würde mal von zwei bis vier Jahren ausgehen. Zum Beispiel müssen Lieferanten und die Mitarbeiter qualifiziert und Sicherheitsstandards eingehalten werden. Das geht nicht von heute auf morgen. Aber es stellt sich jetzt als ein Vorteil heraus, dass viele Unternehmen schon zu Beginn der Pandemie diesen Prozess gestartet haben. 

Welche Rolle spielen Digitalisierung und KI?

Die Technologie ist natürlich bei all diesen Prozessen inzwischen eine unerlässliche Grundlage. Man kann seine Lieferketten nicht mehr auf Karteikarten abbilden. Durch den Einsatz von Technologie kann man Gefahren und Risiken frühzeitig erkennen. Big Data beziehungsweise die dahinterstehenden Analytics können zeitnah Alternativen aufzeigen; das gilt gerade im Bereich der Lieferketten. Das stärkt wiederum auch die Widerstandsfähigkeit der Supply Chain. Das Thema Technologie kommt in den Fachgruppen des BME daher immer wieder zum Tragen.

Im Zuge der wachsenden Globalisierung wurden Lieferketten oft undurchsichtiger. Wie wichtig ist Transparenz? 

Entscheidend ist einmal, was der Lieferant der ersten Ebene an Informationen herausgibt. Man muss verstehen, wo der Rohstoff oder ein Grundprodukt herkommen. Aber das ist ja nur der eine Teil. Es kommen eine Reihe weitere Lieferanten dazu. Für einen deutschen Mittelständler die volle Transparenz über die Herkunft der Rohstoffe oder auch über soziale Aspekte herzustellen, ist oft sehr schwierig, wenn nicht sogar unmöglich.

Es gibt also viele große Herausforderungen – tritt das Thema Nachhaltigkeit nicht zwangsläufig in den Hintergrund?

Das würde ich nicht sagen. Eine gerade vom BME erstellte Studie hat ergeben, dass für etwa die Hälfte der Unternehmen Nachhaltigkeit wichtig ist. Das Thema wird in vielen Firmen von Anfang an mitgedacht. Unternehmen, die sich jetzt nachhaltig machen, haben in Zukunft bessere Chancen am Markt. Das gilt auch für den Wandel zu klimafreundlichen Energien.

Im Mittelpunkt der ökologischen Nachhaltigkeit steht die Dekarbonisierung der Lieferketten. Welche Schritte sind hier notwendig?

Es geht einmal um die Frage, welchen CO2-Ausstoß das von einem Unternehmen eingekaufte Produkt hat. Das herauszufinden, ist allerdings eine große Herausforderung. Denn während die Unternehmen einen Klimafußabdruck für sich selbst erstellen, sind nur wenige in der Lage, Aussagen über den Product Carbon Footprint, also den CO2-Fußabdruck des hergestellten Produktes an sich, zu machen. Neben dem Produkt rückt der Fußabdruck der Lieferkette in den Mittelpunkt – eine Verringerung klappt durch weniger Transportwege, die stärkere Verlagerung auf die Schiene oder auch die Verwendung von Wasserstoff für Lkw. Da gibt es erste spannende Entwicklungen.

Es gibt viele Anforderungen an die Unternehmen. Haben Sie einen Wunsch an die Politik?

Ich finde es gut, dass die Politik regulatorisch eingreift, um die Wirtschaft zu mehr Nachhaltigkeit zu verpflichten. Die Art, wie sie die Unternehmen verpflichtet, ist aber zum Teil herausfordernd, weil sehr bürokratisch und nicht immer realitätsnah. Ein engerer Austausch mit der Wirtschaft wäre daher wünschenswert, denn dann könnten sich die Initiativen noch besser in einem marktwirtschaftlichen Umfeld umsetzen lassen.

Fakten: Als Tochter eines Gärtners wurde Gundula Ullah das Thema Nachhaltigkeit quasi in die Wiege gelegt – heute treibt sie es als begeisterte Hobbygärtnerin im eigenen Garten weiter voran. Zudem ist ihr Nachhaltigkeit auch eine private Herzensangelegenheit: Die Familie ihres Ehemanns kommt aus Bangladesch, also aus einem der Länder, die vom Klimawandel besonders betroffen sein werden.

 

4. Jul 2025

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Wirtschaft

Chancen für die Zukunft der Versorgung – mit Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Jürgen Debus & Dr. Johannes Danckert

![Dr_Johannes_Danckert_Copyright_Kevin_Kuka_Vivantes_online.jpg](https://cwbucket.fra1.digitaloceanspaces.com/Dr_Johannes_Danckert_Copyright_Kevin_Kuka_Vivantes_online_6e3b6d01f5.jpg) ``` Dr. Johannes Danckert, Vorsitzender der Geschäftsführung, Vivantes – Netzwerk für Gesundheit GmbH ``` **Dr. Johannes Danckert, Vorsitzender der Geschäftsführung, Vivantes – Netzwerk für Gesundheit GmbH** Digitalisierung kann die Patientenversorgung schneller, besser und sicherer machen. Immer öfter werden dabei auch die traditionellen Grenzen zwischen ambulanten und stationären Bereichen sowie einzelnen Versorgungseinrichtungen abgebaut. So kann die ‚Patient Journey‘, also der gesamte Behandlungsweg eines Patienten von Diagnose bis Nachsorge, zu einer vernetzten Gesundheitsregion verbunden werden. Trotz deutlicher digitaler Fortschritte haben deutsche Krankenhäuser allerdings weiterhin erheblichen Entwicklungsbedarf, bedingt vor allem durch kleinteilige Strukturen und unzureichende Finanzierung. Denn die Implementierung innovativer Lösungen setzt bereits einen hohen Digitalisierungsgrad voraus. Bei Vivantes wurden zentrale Prozesse wie die Patientenkurve, Medikation, Pflegeprozesssteuerung sowie Anforderungs- und Befundungsprozesse digitalisiert. Auch große Teile der Medizintechnik sind eingebunden. KI-gestützte Systeme helfen uns, Frakturen und Embolien schneller zu erkennen oder warnen vor Komplikationen wie Delir oder Nierenversagen. Künstliche Intelligenz unterstützt uns auch dabei, Patientendaten direkt aus dem Rettungswagen in das Klinik-Informationssystem (KIS) zu übertragen, sodass die Krankenakte bei Ankunft bereits angelegt ist. Eine von uns entwickelte, interoperable Datenplattform ermöglicht zudem den automatisierten Datenaustausch von inzwischen 15 Klinikträgern in der Region Berlin-Brandenburg. Damit entstehen telemedizinische Versorgungskonzepte weit über Berlin hinaus. ![prof.dr.dr.jurgendebus_online.jpg](https://cwbucket.fra1.digitaloceanspaces.com/prof_dr_dr_jurgendebus_online_d7f732ea04.jpg) ``` Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Jürgen Debus, Vorstandsvorsitzender und Leitender Ärztlicher Direktor des Universitätsklinikums Heidelberg ``` **Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Jürgen Debus, Vorstandsvorsitzender und Leitender Ärztlicher Direktor Universitätsklinikum Heidelberg** Smarte Technologien und eine optimale Datennutzung verbessern den Klinikalltag und die Patientenversorgung. Das zukünftige Herzzentrum am Universitätsklinikum Heidelberg planen wir als Smart Hospital: Dort werden z. B. OPs gefilmt und das KI-System warnt automatisch bei Veränderungen des Patienten oder ungewöhnlichen Vorgängen. So werden Risiken früh erkannt und die Sicherheit erhöht. Dank verknüpfter Patientendaten und digitalem Terminmanagement läuft auch die Vorbereitung auf Eingriffe effizienter, da benötigte Ressourcen wie CT-Termine frühzeitig ersichtlich sind. Ein smartes Entlassmanagement stellt relevante Dokumente für den Patienten automatisch bereit und koordiniert Sozialdienst, Pflege und Medikamentenbedarf, sodass der Übergang in die weitere Versorgung optimal organisiert ist. In all diesen Algorithmen und Systemen steckt das gebündelte Wissen von Ärztinnen und Ärzten, Pflegepersonal und Forschenden. Die meisten KI-Anwendungen basieren auf maschinellen Lernmodellen, die mit Patientendaten trainiert werden, um Muster zu erkennen. Je größer der verfügbare Datensatz, desto exakter fallen Diagnosen und Prognosen aus – ein wichtiger Faktor angesichts des steigenden Versorgungsbedarfs bei gleichzeitig sinkender Zahl an Fachkräften. Smarte Technologien helfen, diese Lücke zu schließen und die Versorgung weiterhin auf hohem Niveau zu gewährleisten. Damit es nicht bei Insellösungen bleibt, treiben wir die übergreifende Datenintegration voran, ähnlich wie sie in der internationalen Forschung etabliert ist.