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14. Dez 2020

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Wirtschaft

Vernetztes Fahren – Kernelement für die Digitalisierung der Mobilität

Journalist: Armin Fuhrer

Unsere Gesellschaft muss den Wandel zu mehr Nachhaltigkeit vollziehen, auch in der Mobilität. Wir müssen einerseits unnötigen Verkehr vermeiden, aber andererseits auch akzeptieren, dass Verkehr eine wichtige Lebensader unserer Gesellschaft ist. Dabei kann es nicht nur um Verzicht gehen, sondern vor allem auch darum, den Verkehr intelligenter zu organisieren. Wie das gelingen kann? Wir müssen auf die Wissenschaft hören und von der Natur lernen.

Robert Dohrendorf, CEO, Graphmasters; Foto: Privat

„Mit künstlicher Intelligenz (KI) und Vernetzung der Verkehrsteilnehmer, wie in der Natur zu einem Schwarm, kann man schon heute den Verkehrsfluss auf unseren Straßen deutlich verbessern. Das Fahren kann bei vielen Gelegenheiten sehr viel einfacher und angenehmer gemacht werden“, sagt Robert Dohrendorf, CEO des Routing-Scaleups Graphmasters, das als erstes Unternehmen weltweit auf kollaboratives Routing in der Navigation setzt.

Unsere Gesellschaft wird immer mobiler und nutzt ein immer vielfältigeres Mobilitätsangebot. Das bedeutet mehr Verkehr und mehr Staus. Können wir den Verkehrskollaps noch verhindern?

Wir verfügen zwar über ein hervorragend ausgebautes Straßennetz, aber die vorhandenen Kapazitäten reichen für das heutige Verkehrsvolumen nicht mehr aus. Zudem sucht sich jeder Verkehrsteilnehmer egoistisch seinen ‚besten‘ Weg ans Ziel.  Die Folge: Jedes zusätzliche Fahrzeug sorgt für Zeitverluste für die anderen Verkehrsteilnehmer. Die gute Nachricht: Wie  groß diese Zeitverluste sind, lässt sich für jeden Straßenabschnitt mit Hilfe künstlicher Intelligenz exakt vorhersagen. Mit diesem Wissen kann man bestehende Verkehre besser verteilen und unser Straßennetz um ein Vielfaches effizienter und effektiver nutzen. 

Stichwort „digitale Transformation“?

Genau. Vielen bereitet ‚die digitale Transformation‘ Unbehagen. Das ist nur zu verständlich. Gleichzeitig ist die Digitalisierung schon längst Wirklichkeit. So ist die Steuerung der hochfrequenten, globalen Kapitalmärkte nur noch mit KI-basierten Algorithmen möglich. Gleiches gilt im Online-Marketing: Innerhalb von 200 ms wird Ihnen im sozialen Netzwerk oder beim Online-Lesen dieses Artikels Werbung angezeigt, die individuell auf Sie zugeschnitten ist. Das geht nur mittels KI. Menschen können die dahintersteckende Komplexität nicht mehr effizient bewältigen. Graphmasters zeigt, wie Verkehr und Logistik von der KI-Technologie profitieren können.

Welche Chancen und Möglichkeiten sehen Sie für die digitale Transformation des Verkehrs?

Autofahren kann ganz neu gedacht werden, und zwar nicht nur als fahrendes Büro und Wohnzimmer. KI ermöglicht völlig neue User Experiences und Lösungen für den Verkehr. Denken Sie zum Beispiel an große Veranstaltungen, wie den Tag der Deutschen Einheit im letzten Jahr in Kiel, an große Messen oder an Festivals und Konzerte. Mit unserer Navi-App NUNAV können unterschiedliche Nutzertypen definiert werden. Ein VIP-Gast fährt dann direkt zu seinem reservierten Parkplatz, während ein Journalist zum Pressezentrum gelotst wird. Auswärtige Besucher hingegen werden auf einen verkehrsgünstig gelegenen P+R-Parkplatz geleitet und fahren ohne chaotische Parkplatzsuche ganz bequem mit öffentlichen Verkehrsmitteln zum Veranstaltungsort. Herkömmliche Navis sind dazu nicht in der Lage. Die Veranstalter und das lokale Verkehrsmanagement können so das Gesamterlebnis für die Veranstaltungsbesucher auf ein noch nie dagewesenes Niveau heben.

Wie erreicht man, dass solche KI-gestützten Lösungen von den potenziellen Nutzern angenommen werden?

Denken Sie an eine Suchmaschine: Die Anwendung ist für uns Nutzer sehr einfach. Von der Komplexität und der KI, die hinter jeder Suchanfrage steckt, bekommen wir nichts mit. Was können wir davon lernen? Die Nutzung muss sehr intuitiv und einfach sein, und das sind wir doch schon längst von unseren Smartphones her gewohnt. Zudem ist entscheidend, dass mir als Anwender die Lösung einen ganz konkreten Vorteil verschaffen muss. Mittels KI können Betreiber großer Fahrzeugflotten, wie z. B. in der Paketlogistik, den Einsatz ihrer Fahrzeuge viel besser planen, und, was in der Praxis noch wichtiger ist, diese Planung auch umsetzen. Wenn jedes Fahrzeug am Tag aufgrund besserer Planung nur durchschnittlich 10 km weniger fährt, so spart der Flottenbetreiber mit 10.000 Fahrzeugen in sieben Arbeitstagen bereits die Strecke zum Mond und wieder zurück. Ein großer Beitrag zum Klimaschutz. 

Die Umsetzung KI-gestützter Lösungen ist nur eine der großen Herausforderungen, vor denen die Automobilindustrie derzeit steht. Stichworte Big Data, Konnektivität der Fahrzeuge, autonomes Fahren, neue Antriebe, Fahrzeugelektronik, Multimodalität, Shared Mobility, …

Für die Automobilindustrie geht es um die größte Transformation in ihrer Geschichte. Dies sieht man schon daran, dass VW eine eigene Software-Firma gegründet hat, in der bis Ende 2025 ca. 15.000 Mitarbeiter digitale Lösungen entwickeln sollen. Doch wo sollen die ganzen KI- und Software-Experten herkommen? Es gibt weltweit nur sehr wenige Teams, die überhaupt in der Lage sind, an solchen Themen zu arbeiten. Wir sind sehr stolz darauf, dass die Gründer von Graphmasters und Erfinder unserer KI-basierten NUNAV-Navigation zu diesen wenigen Teams gehören und dass sie unsere  Plattform-Software stetig ausbauen und weiterentwickeln.

Kernstück Ihrer Plattform-Software und Ihrer darauf aufbauenden Routing- Services ist die Vernetzung der Verkehrsteilnehmer, das sogenannte kollaborative Routing. Was kann man damit erreichen und in welchen Bereichen ist diese  Technologie nutzbar? 

Wenn sich nur 5 bis 10 Prozent der Verkehrsteilnehmer als Schwarm organisieren, können die Durchschnittsgeschwindigkeit und der Gesamtverkehrsfluss im Straßennetz um mehr als 20 Prozent verbessert werden. Gerade in den Stoßzeiten sind die Effekte des kollaborativen Routings massiv. Diese wären für die meisten westeuropäischen Städte innerhalb von nur drei Monaten erreichbar. Wir verbessern z. B. auch die Nutzung von P+R-Parkplätzen und Shuttle-Services. In der Logistik erreichen wir nicht nur eine deutlich bessere Kapazitätsauslastung, sondern sehen auch immer wieder, dass eine Erhöhung der Produktivität von rund 20 Prozent realisierbar ist. Auch die gefahrene Strecke sinkt je nach Anwendungsfall deutlich.

Reicht das bereits aus? Oder sehen Sie noch mehr Optimierungspotenzial?

Wir sehen, dass die Integration der Infrastruktur noch ein großes Potenzial bietet. Auch dazu ein Beispiel: Das Vernetzen von Ampelanlagen mit einem kollaborativem Routing bewirkt, dass sich die Verkehrsteilnehmer auf einer digitalen grünen Welle durch die Stadt bewegen. Und das ist nur ein Beispiel von vielen. Es gibt also viele gute Gründe, warum wir uns auf einen digitalisierten Verkehr freuen dürfen. 

30. Jun 2025

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Wirtschaft

Krise als Chance: Wie KI und strategisches Supply Chain Management Europas Rolle stärken können – Ein Beitrag von Dr. Lars Kleeberg, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands für Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik e.V. (BME)

Globale Lieferketten stehen unter massivem Druck. Handelskonflikte, Protektionismus und geopolitische Krisen haben die Weltwirtschaft grundlegend verändert – mit direkten Auswirkungen auf Produktion, Versorgungssicherheit und Wettbewerbsfähigkeit. Seit Trumps Zoll-Eskalationen ist klar: Lieferketten sind keine stille Infrastruktur im Hintergrund mehr – sie sind kritische Erfolgsfaktoren für Unternehmen und Volkswirtschaften. Just-in-time ist out, just-in-case-Konzepte sind jetzt notwendig. Es ist höchste Zeit, dass Deutschland und Europa ihre Abhängigkeiten hinterfragen und ihre Versorgungssicherheit neu denken. Politik und Wirtschaft sind gleichermaßen gefordert, die Schlüsselrolle von Einkauf, Logistik und Supply Chain Management strategisch anzuerkennen und aktiv zu stärken. Gerade Deutschland als Exportnation ist in besonderem Maße auf stabile, resiliente Lieferketten angewiesen. Steigende regulatorische Anforderungen wie CSRD, CSDDD, EUDR oder REACH verschärfen den Druck auf die Unternehmen zusätzlich: Einkauf, Supply Chain Management und Logistik müssen heute ökologische, soziale und wirtschaftliche Ziele gleichzeitig erfüllen – ein Spagat, der die Komplexität erheblich erhöht und insbesondere den Mittelstand herausfordert. In diesem Spannungsfeld wächst die Bedeutung von Künstlicher Intelligenz. Mithilfe von KI können Supply Chain-Manager Transparenz entlang globaler Lieferketten herstellen, Risiken frühzeitig erkennen, Compliance-Anforderungen effizienter erfüllen und Prozesse automatisieren. Doch trotz des enormen Potenzials sind KI- Anwendungen heute oft noch Pilotprojekte – gehemmt durch mangelnde Integration, rechtliche Unsicherheiten und zögerliche Entscheidungen in der Unternehmensführung. Es braucht deshalb eine klare Haltung in den Vorstandsetagen: Der strategische Einsatz von KI muss Chefsache werden. Nur, wer Technologie gezielt integriert und daraus neue Fähigkeiten entwickelt, sichert sich langfristige Wettbewerbsvorteile. Gleichzeitig müssen die politischen Entscheidungsträger in Berlin und Brüssel an einem Strang ziehen. Angesichts geopolitischer Spannungen, zunehmenden Protektionismus und wirtschaftlicher Entkopplung muss die EU mit einer Stimme zentrale Handelsabkommen und strategische Partnerschaften vorantreiben. Die neue Bundesregierung muss zügig die wirtschaftliche Resilienz unserer Unternehmen durch ein neues Außenwirtschaftsgesetz stärken und die versprochene Expertenkommission zur Risikoanalyse globaler Abhängigkeiten einsetzen. Europa kann gestärkt aus dieser Krise hervorgehen, wenn es gelingt, strategische Rohstoffe zu sichern, Handelsbeziehungen auf Augenhöhe auszubauen und ein level playing field – insbesondere im Verhältnis zu China – durchzusetzen. Ein strategischer Wandel ist unumgänglich. Insbesondere für Deutschland und Europa gilt: Versorgungssicherheit, Innovationsfähigkeit und wirtschaftliche Souveränität sind untrennbar mit robusten Lieferketten verbunden. Supply Chain Management, Einkauf und Logistik sind längst keine operativen Randfunktionen mehr – sie sind zentrale Erfolgsfaktoren in einer zunehmend fragmentierten Weltwirtschaft. Die internationale Wettbewerbsfähigkeit Europas entscheidet sich nicht in der nächsten Krise – sie entscheidet sich jetzt. >Angesichts geopolitischer Spannungen, zunehmenden Protektionismus und wirtschaftlicher Entkopplung muss die EU mit einer Stimme zentrale Handelsabkommen und strategische Partnerschaften vorantreiben.

27. Jun 2025

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Wirtschaft

Warum deutsche Gründlichkeit KI nicht killt, sondern krönt – mit Markus Willems, Geschäftsführer der wibocon GmbH

![Markus Willems-2025 Online.jpg](https://cwbucket.fra1.digitaloceanspaces.com/Markus_Willems_2025_Online_14a23ae24b.jpg) ``` Markus Willems, Geschäftsführer der wibocon GmbH ``` Die Integration von Künstlicher Intelligenz in die deutsche Wirtschaft erfordert einen strategischen Balanceakt. Unternehmen müssen robuste Dateninfrastrukturen schaffen, in Fachkräfte investieren und eine Innovationskultur etablieren, die KI als Werkzeug versteht, nicht als Bedrohung. Die Absicherung von KI-Modellen gegen Angriffe wie Model oder Data Poisoning verlangt einen ganzheitlichen Ansatz: kontinuierliches Monitoring, regelmäßige Audits und die Implementierung des „Security-by-Design”-Prinzips. Besonders wichtig ist die Nachvollziehbarkeit von KI-Systemen durch transparente Dokumentation der Trainingsverfahren und Datenquellen. „Trustworthy AI” bedeutet im Cybersicherheitskontext konkret: Robustheit gegen Manipulationen, Transparenz in Entscheidungsprozessen und nachvollziehbare Compliance-Mechanismen. Deutschland kann hier durch die Verbindung seiner traditionellen Stärken in Qualitätssicherung mit innovativen KI-Ansätzen Standards setzen – nicht durch übermäßige Regulierung, sondern durch praxisnahe Zertifizierungsverfahren und Best Practice-Richtlinien. Die Cybersicherheitsanforderungen werden zur Chance, wenn sie sich als Qualitätsmerkmal „Made in Germany” etablieren lassen. Deutsche Unternehmen können durch vertrauenswürdige KI-Lösungen internationale Wettbewerbsvorteile erzielen – vorausgesetzt, Sicherheitsanforderungen werden nicht als Innovationshemmer, sondern als Qualitätstreiber verstanden. Dabei lässt sich die technologische Abhängigkeit von Cloud-Anbietern durch hybride Ansätze reduzieren: Kritische Prozesse können in europäischen Cloud-Infrastrukturen verbleiben, während standardisierte Schnittstellen die Interoperabilität sicherstellen. Entscheidend ist stets die Entwicklung souveräner Kompetenzen für Datenverarbeitung und -analyse, ohne sich vom globalen Innovationsökosystem abzukoppeln. Letztlich wird erfolgreiche KI-Integration in Deutschland davon abhängen, ob es gelingt, Sicherheit nicht als Gegenpol zu Innovation zu begreifen, sondern als deren Fundament. >Deutsche Unternehmen können durch vertrauenswürdige KI-Lösungen internationale Wettbewerbsvorteile erzielen – vorausgesetzt, Sicherheitsanforderungen werden nicht als Innovationshemmer, sondern als Qualitätstreiber verstanden.