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29. Sep 2022

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Wirtschaft

Vollgas für Gülle?

Journalist: Kirsten Schwieger

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Foto: Bild von ADMC auf Pixabay

Interview mit dena-Geschäftsführerin Kristina Haverkamp über das Energiepotenzial der Landwirtschaft und lohnenswerte Geschäftsmodelle.

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Kristina Haverkamp, dena-Geschäftsführerin; Foto: Presse/deni

Werden Landwirte ihr Auskommen zukünftig als Energiewirte finden?

Die stärkere Nutzung landwirtschaftlicher Flächen mit Wind und PV kann tatsächlich eine attraktive Option sein, wobei es natürlich stark auf die jeweiligen Wind- und Wetterbedingungen ankommt. Ob die Vergärung von Gülle wirtschaftlich attraktiv ist, hängt ebenfalls stark von den konkreten Gegebenheiten ab. In Viehbetrieben kann sich die Vergärung in Güllekleinanlagen lohnen, denn hier ist die für die Stromerzeugung ausgezahlte EEG-Vergütung auskömmlich. Dagegen rechnen sich neue Biogasanlagen, die überwiegend nachwachsende Rohstoffen einsetzen, unter den bestehenden Rahmenbedingungen eher nicht mehr. Für Landwirte interessant könnte die Biogasaufbereitung zu Biomethan und anschließende Einspeisung in das Erdgasnetz sein, denn der Einsatz von Biomethan soll im Rahmen des EEG 2023 weiter ausgebaut werden und auch im Verkehrsbereich werden voraussichtlich attraktive Erlöse erzielbar sein, wenn die richtigen Einsatzstoffe, zum Beispiel Gülle und Stroh, verwendet werden.

Wie steht es um bestehende Biogasanlagen?

Welche Biogasanlagen mit Auslaufen der EEG Förderung wirtschaftlich weiterbetrieben werden können, ist derzeit noch offen. Die derzeitigen Höchstvergütungssätze sind so niedrig angesetzt, dass sich ein Weiterbetrieb nicht lohnen würde. Perspektivisch könnten diese Altanlagen zu Biomethananlagen ertüchtigt werden. Allerdings müssen hier viele Faktoren zusammenkommen, wie beispielsweise eine gewisse Mindestkapazität, Entfernung zum Gasnetz oder die richtigen Einsatzstoffe, damit sich hier ein Geschäftsmodell für Landwirte ergeben kann.

Welchen Beitrag können pflanzliche Kraftstoffe zur Energiewende im Mobilitätssektor beisteuern?

Biomethan und Bio-LNG haben den großen Vorteil, dass sie die selben Eigenschaften wie Erdgas aufweisen und deshalb keinerlei Beimischgrenzen unterliegen. Deshalb können CNG und LNG-Fahrzeuge damit – jedenfalls bilanziell – nahezu klimaneutral fahren. Weil diese grünen Treibstoffe dem Diesel unter Klimagesichtspunkten klar überlegen sind, sind sie insbesondere für den kurzfristig schwer zu dekarbonisierenden Schwerlastverkehr eine sehr interessante Option, zumal auch die hierfür erforderlichen Biomassepotenziale vorhanden sind. Verschiedene Unternehmen bauen aktuell entsprechende Kapazitäten auf. Bioethanol wird im Verkehrssektor als Benzinersatz bzw. -zusatz in Kraftfahrzeugen verwendet. Ernsthafte Optionen, signifikante Mengen auf Basis von Abfall und Reststoffen zu erwerben, fehlen bisher im Markt. Die aktuellen Rahmenbedingungen für Biodiesel, welcher als Beimischung als Kraftstoff für Dieselmotoren verwendet wird, enthalten Anreize für dessen stärkeren Einsatz aus Abfall und Reststoffen und auch die entsprechenden Potenziale sind vorhanden.

Welches Potential besitzen sie für die Landwirtschaft?

Derzeit geht der Trend eher dahin, dass weniger Anbaubiomasse für energetische Zwecke verwendet werden soll. Gleichzeitig wird an einer stärkeren Nutzung von Abfall und Reststoffen gearbeitet. Insbesondere bei Gülle sind hier noch signifikante Potenziale zu heben. 

Wird die Kombination Biogasanlage und Eigennutzung zum Heimvorteil?

Selbst für Biogasanlagenbetreiber, die noch eine vergleichsweise hohe Einspeisevergütung geltend machen können, ist der Eigenverbrauch des Stroms aus ihrer Biogasanlagen in den vergangenen Jahren wirtschaftlich interessanter geworden. Denn bestimmte Strompreisbestandteile, etwa Netzentgelte oder die Stromsteuer entfallen ganz oder zum Teil, wenn selbsterzeugter Strom verbraucht wird. Auch die momentan stark steigenden Strompreise tragen dazu bei, dass die Eigennutzung von Biogas immer attraktiver wird. Zudem kann die Wärme aus Biogasanlagen genutzt werden, um Viehställe oder auch Wohngebäude warm zu halten. Das ist wirtschaftlich attraktiv, weil die Wärme aus Biogas einer EEG-Anlage derzeit günstiger ist als das Heizen mit Erdgas. Darüber hinaus können mit Biomethan auch die energetischen Anforderungen an neue Gebäude in Bezug auf den Einsatz erneuerbarer Energien erfüllt werden. Die Betankung hofeigener Fahrzeuge mit Biomethan kommt dagegen eher selten vor, da sich die Aufbereitung selbsterzeugten Biogases zu Biomethan vor allem für kleine Biogasanlagen oftmals nicht lohnt.

Gibt es im Rahmen der Erneuerbaren noch weitere interessante Geschäftsmodelle für den Landwirtschaftssektor?

Die gleichzeitige Nutzung von Flächen für den Anbau landwirtschaftlicher Pflanzen und für die Produktion von Solarstrom durch Agri-PV Anlagen kann ein weiteres interessantes Geschäftsmodell sein. Wichtig ist aber, dabei den Natur- und Umweltschutz im Auge zu behalten. Außerdem muss berücksichtigt werden, dass nicht mehr alle Kulturpflanzen angebaut und auch nicht mehr alle Bearbeitungssystemen eingesetzt werden können, sobald eine PV-Anlage auf der Anbaufläche installiert ist. Allerdings gibt es auch Kulturpflanzen, die - insbesondere bei Trockenheit – unter den überdachten Flächen sogar höhere Erträge abwerfen als auf freiem Feld. In jedem Fall sollte vor der Installation von Agri-PV-genau geprüft werden, ob der Mehrerlös aus der Energieerzeugung die möglichen Einbußen beim Ertrag überwiegen wird.

30. Jun 2025

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Wirtschaft

Krise als Chance: Wie KI und strategisches Supply Chain Management Europas Rolle stärken können – Ein Beitrag von Dr. Lars Kleeberg, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands für Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik e.V. (BME)

Globale Lieferketten stehen unter massivem Druck. Handelskonflikte, Protektionismus und geopolitische Krisen haben die Weltwirtschaft grundlegend verändert – mit direkten Auswirkungen auf Produktion, Versorgungssicherheit und Wettbewerbsfähigkeit. Seit Trumps Zoll-Eskalationen ist klar: Lieferketten sind keine stille Infrastruktur im Hintergrund mehr – sie sind kritische Erfolgsfaktoren für Unternehmen und Volkswirtschaften. Just-in-time ist out, just-in-case-Konzepte sind jetzt notwendig. Es ist höchste Zeit, dass Deutschland und Europa ihre Abhängigkeiten hinterfragen und ihre Versorgungssicherheit neu denken. Politik und Wirtschaft sind gleichermaßen gefordert, die Schlüsselrolle von Einkauf, Logistik und Supply Chain Management strategisch anzuerkennen und aktiv zu stärken. Gerade Deutschland als Exportnation ist in besonderem Maße auf stabile, resiliente Lieferketten angewiesen. Steigende regulatorische Anforderungen wie CSRD, CSDDD, EUDR oder REACH verschärfen den Druck auf die Unternehmen zusätzlich: Einkauf, Supply Chain Management und Logistik müssen heute ökologische, soziale und wirtschaftliche Ziele gleichzeitig erfüllen – ein Spagat, der die Komplexität erheblich erhöht und insbesondere den Mittelstand herausfordert. In diesem Spannungsfeld wächst die Bedeutung von Künstlicher Intelligenz. Mithilfe von KI können Supply Chain-Manager Transparenz entlang globaler Lieferketten herstellen, Risiken frühzeitig erkennen, Compliance-Anforderungen effizienter erfüllen und Prozesse automatisieren. Doch trotz des enormen Potenzials sind KI- Anwendungen heute oft noch Pilotprojekte – gehemmt durch mangelnde Integration, rechtliche Unsicherheiten und zögerliche Entscheidungen in der Unternehmensführung. Es braucht deshalb eine klare Haltung in den Vorstandsetagen: Der strategische Einsatz von KI muss Chefsache werden. Nur, wer Technologie gezielt integriert und daraus neue Fähigkeiten entwickelt, sichert sich langfristige Wettbewerbsvorteile. Gleichzeitig müssen die politischen Entscheidungsträger in Berlin und Brüssel an einem Strang ziehen. Angesichts geopolitischer Spannungen, zunehmenden Protektionismus und wirtschaftlicher Entkopplung muss die EU mit einer Stimme zentrale Handelsabkommen und strategische Partnerschaften vorantreiben. Die neue Bundesregierung muss zügig die wirtschaftliche Resilienz unserer Unternehmen durch ein neues Außenwirtschaftsgesetz stärken und die versprochene Expertenkommission zur Risikoanalyse globaler Abhängigkeiten einsetzen. Europa kann gestärkt aus dieser Krise hervorgehen, wenn es gelingt, strategische Rohstoffe zu sichern, Handelsbeziehungen auf Augenhöhe auszubauen und ein level playing field – insbesondere im Verhältnis zu China – durchzusetzen. Ein strategischer Wandel ist unumgänglich. Insbesondere für Deutschland und Europa gilt: Versorgungssicherheit, Innovationsfähigkeit und wirtschaftliche Souveränität sind untrennbar mit robusten Lieferketten verbunden. Supply Chain Management, Einkauf und Logistik sind längst keine operativen Randfunktionen mehr – sie sind zentrale Erfolgsfaktoren in einer zunehmend fragmentierten Weltwirtschaft. Die internationale Wettbewerbsfähigkeit Europas entscheidet sich nicht in der nächsten Krise – sie entscheidet sich jetzt. >Angesichts geopolitischer Spannungen, zunehmenden Protektionismus und wirtschaftlicher Entkopplung muss die EU mit einer Stimme zentrale Handelsabkommen und strategische Partnerschaften vorantreiben.

27. Jun 2025

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Wirtschaft

Warum deutsche Gründlichkeit KI nicht killt, sondern krönt – mit Markus Willems, Geschäftsführer der wibocon GmbH

![Markus Willems-2025 Online.jpg](https://cwbucket.fra1.digitaloceanspaces.com/Markus_Willems_2025_Online_14a23ae24b.jpg) ``` Markus Willems, Geschäftsführer der wibocon GmbH ``` Die Integration von Künstlicher Intelligenz in die deutsche Wirtschaft erfordert einen strategischen Balanceakt. Unternehmen müssen robuste Dateninfrastrukturen schaffen, in Fachkräfte investieren und eine Innovationskultur etablieren, die KI als Werkzeug versteht, nicht als Bedrohung. Die Absicherung von KI-Modellen gegen Angriffe wie Model oder Data Poisoning verlangt einen ganzheitlichen Ansatz: kontinuierliches Monitoring, regelmäßige Audits und die Implementierung des „Security-by-Design”-Prinzips. Besonders wichtig ist die Nachvollziehbarkeit von KI-Systemen durch transparente Dokumentation der Trainingsverfahren und Datenquellen. „Trustworthy AI” bedeutet im Cybersicherheitskontext konkret: Robustheit gegen Manipulationen, Transparenz in Entscheidungsprozessen und nachvollziehbare Compliance-Mechanismen. Deutschland kann hier durch die Verbindung seiner traditionellen Stärken in Qualitätssicherung mit innovativen KI-Ansätzen Standards setzen – nicht durch übermäßige Regulierung, sondern durch praxisnahe Zertifizierungsverfahren und Best Practice-Richtlinien. Die Cybersicherheitsanforderungen werden zur Chance, wenn sie sich als Qualitätsmerkmal „Made in Germany” etablieren lassen. Deutsche Unternehmen können durch vertrauenswürdige KI-Lösungen internationale Wettbewerbsvorteile erzielen – vorausgesetzt, Sicherheitsanforderungen werden nicht als Innovationshemmer, sondern als Qualitätstreiber verstanden. Dabei lässt sich die technologische Abhängigkeit von Cloud-Anbietern durch hybride Ansätze reduzieren: Kritische Prozesse können in europäischen Cloud-Infrastrukturen verbleiben, während standardisierte Schnittstellen die Interoperabilität sicherstellen. Entscheidend ist stets die Entwicklung souveräner Kompetenzen für Datenverarbeitung und -analyse, ohne sich vom globalen Innovationsökosystem abzukoppeln. Letztlich wird erfolgreiche KI-Integration in Deutschland davon abhängen, ob es gelingt, Sicherheit nicht als Gegenpol zu Innovation zu begreifen, sondern als deren Fundament. >Deutsche Unternehmen können durch vertrauenswürdige KI-Lösungen internationale Wettbewerbsvorteile erzielen – vorausgesetzt, Sicherheitsanforderungen werden nicht als Innovationshemmer, sondern als Qualitätstreiber verstanden.