Diesen Artikel teilen:

16. Dez 2022

|

Wirtschaft

Warum die Matrix punktet

Journalist: Prof. Dr.-Ing. Thomas Bauernhansl

|

Foto: Presse

Gesprächspartner:  Prof. Dr.-Ing. Thomas Bauernhansl, Leiter des Fraunhofer-  Instituts für Produktionstechnik und Automatisierung IPA, Stuttgart und des Instituts für Industrielle Fertigung und Fabrikbetrieb der Universität Stuttgart, IFF

Was ist das besondere an Matrixproduktionssystemen?
Matrixproduktionssysteme bieten eine hohe Flexibilität bei gleichzeitig hoher Produktivität, denn sie arbeiten mit frei anfahrbaren Prozessmodulen. Dabei ist ein Prozessmodul die aus logistischer Sicht kleinste unabhängig beplanbare Produktionsressource, die häufig mittels fahrerlosen Transportsystemen logistisch mit Material versorgt werden.

Wie sieht das im Einzelnen aus?
In einem getakteten Fließband ist jede Anpassung an  neue Varianten mit enormem Aufwand verbunden. Bei der Matrixproduktion ist das ganz anders: Sie löst über kurz oder lang nämlich Band und Takt auf. Die Systeme sind adaptiv, Maschinen, Anlagen und Stationen sowie der Auftragsdurchlauf passen sich an neue Stückzahlen und Varianten an. Somit sind die Prozessketten sind flexibel: Produkte durchlaufen nur die jeweils benötigten Prozessmodule und auch die Reihenfolge der Prozesse kann, sofern es das Produkt zulässt, flexibel verändert werden.

Wie ist es zum Begriff Matrix gekommen?
Produktionstechniker verstehen unter einer Matrix eine schachbrettförmige Anordnung von FertigungsmodulenProzessmodulen: Warenlager, Fertigungsmaschinen, Montagearbeitsplätze arbeiten nicht taktgebundengebunden an einen gemeinsamen Arbeitstakt und sind über flexible Transportsysteme flexibel miteinander verbunden. Gleichzeitig sind sie jedoch cyberphysisch vernetzt: Im virtuellen Raum gibt es einen Digitalen Zwilling, der die Produktionsprozesse und Fertigungs- bzw. Produktionsmodule abbildet. Durch ihn lassen sich die Arbeitsproduktivität, Stoffströme und Maschinenauslastungen optimieren. Mithilfe der Ergebnisse werden dann die realen – physischen – Module gesteuert.

Können Sie uns ein Beispiel aus der Praxis nennen?
Ja, der Deutschen Lieblingskind, das Auto, ist ein gutes Beispiel: In einer Produktionslinie gehen alle Autos über die Station Sitzeinbau. Danach teilt sich der Fluss für Modelle, die beispielsweise ein Cabrio-Dach oder ein Panorama-Dach bekommen. Für die Endprüfung fließen dann alle Varianten wieder zusammen. In einer Matrixproduktion sind die die Stationen, also die Prozessmodule, frei anfahrbar.

Ja, der Deutschen Lieblingskind, das Auto, ist ein gutes Beispiel: In einer klassischen Produktionslinie gehen alle Autos über alle verbundenen Stationen eines Fließbands. Die Stationen haben alle die gleiche Zeit zur Verfügung zur Ausführung ihrer Arbeitsinhalte. Je höher die Variantenvielfalt desto häufiger passt die benötigte Zeit für die Ausführung nicht mehr zu der festen Vorgabe. Das nennt man Taktzeitspreizung. Häufige werden auch zusätzliche Arbeitsinhalte zur Herstellung einer spezifischen Variante gebraucht, die dann sehr mühsam auf die vorhandenen Stationen verteilt oder mit einer neuen Station integriert werden müssen. Das alles führt zu hohen Produktivitätseinbußen. In einer Matrixproduktion kann jede Variante einen anderen Weg durch die Stationen nehmen und jede Station kann eine andere Ausführungszeit zur Verfügung haben. Braucht es mehr Kapazität an einer Station, wird diese mir mehr Personal oder Automatisierung versehen oder die Station wird vervielfältigt. Die Auslastung bzw. Produktivität aller Stationen ist somit sehr hoch, während die Varianten und Kapazitätsflexibilität ebenfalls sehr hoch ist.

Wie wird das Ganze gesteuert?
Eine intelligente Steuerung lastet die Prozessmodule gleichmäßig aus. Weil viele Arbeiten auf mehreren Stationen durchgeführt werden können, werden die Aufträge der Station zugewiesen, die freie Kapazität aufweist. Die Stationen arbeiten also ohne einheitlichen Takt und die Matrixproduktion lastet damit die verfügbaren Ressourcen optimal aus.

Das klingt nach einem fragilen Gleichgewicht, wie robust ist das System denn?
Nein, das ist gar nicht fragil. Denn, weil für einen Prozessschritt oft mehr als ein Prozessmodul zur Verfügung steht, fällt nicht das gesamte System aus, wenn ein Modul, also eine Station, nicht mehr funktionsfähig ist. Eine Linie wäre in einem solchen Fall vollständig blockiert. Ganz anders die Matrixproduktion: sie ist deutlich weniger störungsanfällig.

Wie sieht es mit der Personalisierung aus?
Gut! Auf unterschiedliche Kundenwünsche und Varianten wird im Rahmen der Matrixproduktion sehr flexibel reagiert, indem Stationen hinzugefügt oder entfernt werden. Bei einer Rekonfiguration bzw. Umplanung verteilen sich Prozesse neu auf die Stationen, die Prozessketten werden fast ohne Aufwand angepasst. Ohne das laufende System zu stören, können neue Produkte oder Technologien im Sinne der Wandlungsfähigkeit integriert und getestet werden.

Das klingt, wie wenn Matrix das ideale System wäre
Ist es auch in vielerlei Hinsicht. Immer mehr Unternehmen setzen heute auf Matrixproduktion ohne Takt und Band, weil sie eine hohe Flexibilität bei einer gleichzeitig hohen Produktivität bietet. Die eingesetzten Prozessmodule können produkt-, kapazitäts- und/ oder prozessorientiert gestaltet werden.

Insbesondere bei komplexen Montagesystemen mit vielen Prozessschritten hat sich in der Praxis gezeigt, dass der manuelle Entscheidungsaufwand zur Gestaltung dieser Prozessmodule und des Gesamtsystems aufgrund der vielen Freiheitsgrade noch sehr hoch ist. Bei engen Restriktionen bezüglich der verfügbaren Fläche, insbesondere bei Brownfield-Planungen oder großen Produkten, sind der Flexibilität Grenzen gesetzt.

Was sind denn die neusten Matrix-Entwicklungen an Ihrem Institut, dem Fraunhofer IPA
Eine ganz neue Entscheidungsunterstützungs-Methode des Fraunhofer IPA reduziert den manuellen Aufwand bei der Gestaltung von Matrixproduktionssystemen. Die Methode stellt sicher, dass insbesondere die Prozesse in eine flexible Struktur gebracht werden, die auch wirklich einen hohen Flexibilitätsbedarf haben. Prozesse mit geringerem oder keinem Flexibilitätsbedarf werden im Kompromiss zur begrenzten Fläche und für eine hohe Produktivität in ein Prozessmodul in klassischer Linienstruktur geplant.

30. Jun 2025

|

Wirtschaft

Krise als Chance: Wie KI und strategisches Supply Chain Management Europas Rolle stärken können – Ein Beitrag von Dr. Lars Kleeberg, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands für Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik e.V. (BME)

Globale Lieferketten stehen unter massivem Druck. Handelskonflikte, Protektionismus und geopolitische Krisen haben die Weltwirtschaft grundlegend verändert – mit direkten Auswirkungen auf Produktion, Versorgungssicherheit und Wettbewerbsfähigkeit. Seit Trumps Zoll-Eskalationen ist klar: Lieferketten sind keine stille Infrastruktur im Hintergrund mehr – sie sind kritische Erfolgsfaktoren für Unternehmen und Volkswirtschaften. Just-in-time ist out, just-in-case-Konzepte sind jetzt notwendig. Es ist höchste Zeit, dass Deutschland und Europa ihre Abhängigkeiten hinterfragen und ihre Versorgungssicherheit neu denken. Politik und Wirtschaft sind gleichermaßen gefordert, die Schlüsselrolle von Einkauf, Logistik und Supply Chain Management strategisch anzuerkennen und aktiv zu stärken. Gerade Deutschland als Exportnation ist in besonderem Maße auf stabile, resiliente Lieferketten angewiesen. Steigende regulatorische Anforderungen wie CSRD, CSDDD, EUDR oder REACH verschärfen den Druck auf die Unternehmen zusätzlich: Einkauf, Supply Chain Management und Logistik müssen heute ökologische, soziale und wirtschaftliche Ziele gleichzeitig erfüllen – ein Spagat, der die Komplexität erheblich erhöht und insbesondere den Mittelstand herausfordert. In diesem Spannungsfeld wächst die Bedeutung von Künstlicher Intelligenz. Mithilfe von KI können Supply Chain-Manager Transparenz entlang globaler Lieferketten herstellen, Risiken frühzeitig erkennen, Compliance-Anforderungen effizienter erfüllen und Prozesse automatisieren. Doch trotz des enormen Potenzials sind KI- Anwendungen heute oft noch Pilotprojekte – gehemmt durch mangelnde Integration, rechtliche Unsicherheiten und zögerliche Entscheidungen in der Unternehmensführung. Es braucht deshalb eine klare Haltung in den Vorstandsetagen: Der strategische Einsatz von KI muss Chefsache werden. Nur, wer Technologie gezielt integriert und daraus neue Fähigkeiten entwickelt, sichert sich langfristige Wettbewerbsvorteile. Gleichzeitig müssen die politischen Entscheidungsträger in Berlin und Brüssel an einem Strang ziehen. Angesichts geopolitischer Spannungen, zunehmenden Protektionismus und wirtschaftlicher Entkopplung muss die EU mit einer Stimme zentrale Handelsabkommen und strategische Partnerschaften vorantreiben. Die neue Bundesregierung muss zügig die wirtschaftliche Resilienz unserer Unternehmen durch ein neues Außenwirtschaftsgesetz stärken und die versprochene Expertenkommission zur Risikoanalyse globaler Abhängigkeiten einsetzen. Europa kann gestärkt aus dieser Krise hervorgehen, wenn es gelingt, strategische Rohstoffe zu sichern, Handelsbeziehungen auf Augenhöhe auszubauen und ein level playing field – insbesondere im Verhältnis zu China – durchzusetzen. Ein strategischer Wandel ist unumgänglich. Insbesondere für Deutschland und Europa gilt: Versorgungssicherheit, Innovationsfähigkeit und wirtschaftliche Souveränität sind untrennbar mit robusten Lieferketten verbunden. Supply Chain Management, Einkauf und Logistik sind längst keine operativen Randfunktionen mehr – sie sind zentrale Erfolgsfaktoren in einer zunehmend fragmentierten Weltwirtschaft. Die internationale Wettbewerbsfähigkeit Europas entscheidet sich nicht in der nächsten Krise – sie entscheidet sich jetzt. >Angesichts geopolitischer Spannungen, zunehmenden Protektionismus und wirtschaftlicher Entkopplung muss die EU mit einer Stimme zentrale Handelsabkommen und strategische Partnerschaften vorantreiben.

27. Jun 2025

|

Wirtschaft

Warum deutsche Gründlichkeit KI nicht killt, sondern krönt – mit Markus Willems, Geschäftsführer der wibocon GmbH

![Markus Willems-2025 Online.jpg](https://cwbucket.fra1.digitaloceanspaces.com/Markus_Willems_2025_Online_14a23ae24b.jpg) ``` Markus Willems, Geschäftsführer der wibocon GmbH ``` Die Integration von Künstlicher Intelligenz in die deutsche Wirtschaft erfordert einen strategischen Balanceakt. Unternehmen müssen robuste Dateninfrastrukturen schaffen, in Fachkräfte investieren und eine Innovationskultur etablieren, die KI als Werkzeug versteht, nicht als Bedrohung. Die Absicherung von KI-Modellen gegen Angriffe wie Model oder Data Poisoning verlangt einen ganzheitlichen Ansatz: kontinuierliches Monitoring, regelmäßige Audits und die Implementierung des „Security-by-Design”-Prinzips. Besonders wichtig ist die Nachvollziehbarkeit von KI-Systemen durch transparente Dokumentation der Trainingsverfahren und Datenquellen. „Trustworthy AI” bedeutet im Cybersicherheitskontext konkret: Robustheit gegen Manipulationen, Transparenz in Entscheidungsprozessen und nachvollziehbare Compliance-Mechanismen. Deutschland kann hier durch die Verbindung seiner traditionellen Stärken in Qualitätssicherung mit innovativen KI-Ansätzen Standards setzen – nicht durch übermäßige Regulierung, sondern durch praxisnahe Zertifizierungsverfahren und Best Practice-Richtlinien. Die Cybersicherheitsanforderungen werden zur Chance, wenn sie sich als Qualitätsmerkmal „Made in Germany” etablieren lassen. Deutsche Unternehmen können durch vertrauenswürdige KI-Lösungen internationale Wettbewerbsvorteile erzielen – vorausgesetzt, Sicherheitsanforderungen werden nicht als Innovationshemmer, sondern als Qualitätstreiber verstanden. Dabei lässt sich die technologische Abhängigkeit von Cloud-Anbietern durch hybride Ansätze reduzieren: Kritische Prozesse können in europäischen Cloud-Infrastrukturen verbleiben, während standardisierte Schnittstellen die Interoperabilität sicherstellen. Entscheidend ist stets die Entwicklung souveräner Kompetenzen für Datenverarbeitung und -analyse, ohne sich vom globalen Innovationsökosystem abzukoppeln. Letztlich wird erfolgreiche KI-Integration in Deutschland davon abhängen, ob es gelingt, Sicherheit nicht als Gegenpol zu Innovation zu begreifen, sondern als deren Fundament. >Deutsche Unternehmen können durch vertrauenswürdige KI-Lösungen internationale Wettbewerbsvorteile erzielen – vorausgesetzt, Sicherheitsanforderungen werden nicht als Innovationshemmer, sondern als Qualitätstreiber verstanden.