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19. Jun 2024

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Wirtschaft

Wir brauchen deutlich mehr Tempo! – Ein Beitrag von Prof. Dr. Claudia Kemfert

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Foto: Oliver Betke

Langsam, aber sicher läuft der Prozess, damit Deutschland klimaneutral wird, auf den Stichtag zu: Ab 2045 ist Schluss mit fossilen Energien. Schon beim Zwischenziel 2030 sollen 80 Prozent des Stroms aus Erneuerbaren Energien kommen. Und wo stehen wir? Nun ja. Heute liegt der Anteil knapp über 50 Prozent. Das ist bei Weitem nicht genug. Bis 2030 sind es nur noch knapp sechs Jahre. Zum Vergleich: Der Bau der Elbphilharmonie hat elf Jahre gedauert, Stuttgart 21 wird vielleicht nach 15 Jahren fertig und die Münchner Stammstrecke hoffentlich nach 18 Jahren. Wir brauchen deutlich mehr Tempo!Zwar hat sich jüngst das Ausbautempo der Solarenergie deutlich erhöht, aber die Lücke bei der Windenergie ist gewaltig: Hier müsste das Ausbautempo verdreifacht werden, sowohl an Land als auch auf See. Um die Situation zu verbessern, hat die Bundesregierung diverse Gesetze verabschiedet. Vor allem das „Windenergie-an-Land-Gesetz“ schafft juristische Klarheit und erleichtert somit den Ausbau der Windenergie. Langwierige Genehmigungsverfahren, Personalmangel in Behörden und Engpässe in der Infrastruktur machen ein dreifaches Ausbautempo jedoch weiterhin sehr schwer.

Prof. Dr. Claudia Kemfert, Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin)

Zwar hat sich jüngst das Ausbautempo der Solarenergie deutlich erhöht, aber die Lücke bei der Windenergie ist gewaltig: Hier müsste das Ausbautempo verdreifacht werden, sowohl an Land als auch auf See. Um die Situation zu verbessern, hat die Bundesregierung diverse Gesetze verabschiedet. Vor allem das „Windenergie-an-Land-Gesetz“ schafft juristische Klarheit und erleichtert somit den Ausbau der Windenergie. Langwierige Genehmigungsverfahren, Personalmangel in Behörden und Engpässe in der Infrastruktur machen ein dreifaches Ausbautempo jedoch weiterhin sehr schwer.

Auch im Gebäudesektor gibt es erheblichen Nachholbedarf. Unabhängig von der Energiequelle muss Energiesparen höchste Priorität haben. Besonders effizient sind Wärmepumpen. Doch was deren Einbau angeht, steht Deutschland europaweit auf dem vorletzten Platz! Spitzenreiter Dänemark hat die Wärmewende schon vor 40 Jahren eingeläutet. Der Anteil von Fernwärme liegt bei 60 Prozent, die zu mehr als 50 Prozent aus erneuerbaren Quellen gespeist wird. Seit 2013 ist dort der Einbau neuer Öl- und Gasheizungen verboten. In Deutschland sorgt nun nach zähem Streit das „Gebäudeenergiegesetz“ dafür, dass fortan möglichst jede neue Heizung immerhin zu mindestens 65 Prozent mit Erneuerbarer Energie betrieben wird. Echtes Aufholtempo ist das nicht.

Und auch bei Elektrofahrzeugen, Ladesäulen oder Wasserstoffproduktion hinken wir den Notwendigkeiten weit hinterher. Das zwischenzeitliche „Deutschlandtempo“ zeigte sich ausgerechnet nur bei fossilen Energien: Überdimensionierte Flüssiggas-Terminals binden uns nun über Jahrzehnte an fossile Regime oder stranden als gewaltige Vermögensverluste.

Das ohne Sachgründe aufgeweichte Klimagesetz nimmt leider zudem die einzelnen Bundesministerien aus der Verantwortung. Das Versagen in den Verkehrs- und Gebäudesektoren sollen jetzt der Energie- und der Industriesektor ausbügeln. Ohne rasanten Ausbau der Erneuerbaren wird das nur möglich sein, wenn die Emissionen in der Industrie weiterhin aufgrund einer kriselnden Wirtschaft niedrig bleiben. Keine echte Traum-Perspektive. Und jetzt auf eine revolutionäre Wasserstoff-Innovation zu setzen, ist nur noch eine verzweifelte „Alles-auf-die-17“-Entscheidung.

Energiewende ist keine Liebhaberei. Der Umstieg auf Erneuerbare Energien ist von enormer strategischer Bedeutung. Er schafft Spielräume für Wohlstandswachstum. Klimaschonende Technologien werden zum Schlüssel im globalen Wettbewerb. Das fossile Zeitalter geht zu Ende. Wir steuern auf eine digitale Clean-Tech-Ära zu. Darin stecken enorme Chancen. Es wird Zeit, das endlich zu erkennen!

4. Jul 2025

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Wirtschaft

Chancen für die Zukunft der Versorgung – mit Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Jürgen Debus & Dr. Johannes Danckert

![Dr_Johannes_Danckert_Copyright_Kevin_Kuka_Vivantes_online.jpg](https://cwbucket.fra1.digitaloceanspaces.com/Dr_Johannes_Danckert_Copyright_Kevin_Kuka_Vivantes_online_6e3b6d01f5.jpg) ``` Dr. Johannes Danckert, Vorsitzender der Geschäftsführung, Vivantes – Netzwerk für Gesundheit GmbH ``` **Dr. Johannes Danckert, Vorsitzender der Geschäftsführung, Vivantes – Netzwerk für Gesundheit GmbH** Digitalisierung kann die Patientenversorgung schneller, besser und sicherer machen. Immer öfter werden dabei auch die traditionellen Grenzen zwischen ambulanten und stationären Bereichen sowie einzelnen Versorgungseinrichtungen abgebaut. So kann die ‚Patient Journey‘, also der gesamte Behandlungsweg eines Patienten von Diagnose bis Nachsorge, zu einer vernetzten Gesundheitsregion verbunden werden. Trotz deutlicher digitaler Fortschritte haben deutsche Krankenhäuser allerdings weiterhin erheblichen Entwicklungsbedarf, bedingt vor allem durch kleinteilige Strukturen und unzureichende Finanzierung. Denn die Implementierung innovativer Lösungen setzt bereits einen hohen Digitalisierungsgrad voraus. Bei Vivantes wurden zentrale Prozesse wie die Patientenkurve, Medikation, Pflegeprozesssteuerung sowie Anforderungs- und Befundungsprozesse digitalisiert. Auch große Teile der Medizintechnik sind eingebunden. KI-gestützte Systeme helfen uns, Frakturen und Embolien schneller zu erkennen oder warnen vor Komplikationen wie Delir oder Nierenversagen. Künstliche Intelligenz unterstützt uns auch dabei, Patientendaten direkt aus dem Rettungswagen in das Klinik-Informationssystem (KIS) zu übertragen, sodass die Krankenakte bei Ankunft bereits angelegt ist. Eine von uns entwickelte, interoperable Datenplattform ermöglicht zudem den automatisierten Datenaustausch von inzwischen 15 Klinikträgern in der Region Berlin-Brandenburg. Damit entstehen telemedizinische Versorgungskonzepte weit über Berlin hinaus. ![prof.dr.dr.jurgendebus_online.jpg](https://cwbucket.fra1.digitaloceanspaces.com/prof_dr_dr_jurgendebus_online_d7f732ea04.jpg) ``` Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Jürgen Debus, Vorstandsvorsitzender und Leitender Ärztlicher Direktor des Universitätsklinikums Heidelberg ``` **Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Jürgen Debus, Vorstandsvorsitzender und Leitender Ärztlicher Direktor Universitätsklinikum Heidelberg** Smarte Technologien und eine optimale Datennutzung verbessern den Klinikalltag und die Patientenversorgung. Das zukünftige Herzzentrum am Universitätsklinikum Heidelberg planen wir als Smart Hospital: Dort werden z. B. OPs gefilmt und das KI-System warnt automatisch bei Veränderungen des Patienten oder ungewöhnlichen Vorgängen. So werden Risiken früh erkannt und die Sicherheit erhöht. Dank verknüpfter Patientendaten und digitalem Terminmanagement läuft auch die Vorbereitung auf Eingriffe effizienter, da benötigte Ressourcen wie CT-Termine frühzeitig ersichtlich sind. Ein smartes Entlassmanagement stellt relevante Dokumente für den Patienten automatisch bereit und koordiniert Sozialdienst, Pflege und Medikamentenbedarf, sodass der Übergang in die weitere Versorgung optimal organisiert ist. In all diesen Algorithmen und Systemen steckt das gebündelte Wissen von Ärztinnen und Ärzten, Pflegepersonal und Forschenden. Die meisten KI-Anwendungen basieren auf maschinellen Lernmodellen, die mit Patientendaten trainiert werden, um Muster zu erkennen. Je größer der verfügbare Datensatz, desto exakter fallen Diagnosen und Prognosen aus – ein wichtiger Faktor angesichts des steigenden Versorgungsbedarfs bei gleichzeitig sinkender Zahl an Fachkräften. Smarte Technologien helfen, diese Lücke zu schließen und die Versorgung weiterhin auf hohem Niveau zu gewährleisten. Damit es nicht bei Insellösungen bleibt, treiben wir die übergreifende Datenintegration voran, ähnlich wie sie in der internationalen Forschung etabliert ist.

30. Jun 2025

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Wirtschaft

Krise als Chance: Wie KI und strategisches Supply Chain Management Europas Rolle stärken können – Ein Beitrag von Dr. Lars Kleeberg, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands für Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik e.V. (BME)

Globale Lieferketten stehen unter massivem Druck. Handelskonflikte, Protektionismus und geopolitische Krisen haben die Weltwirtschaft grundlegend verändert – mit direkten Auswirkungen auf Produktion, Versorgungssicherheit und Wettbewerbsfähigkeit. Seit Trumps Zoll-Eskalationen ist klar: Lieferketten sind keine stille Infrastruktur im Hintergrund mehr – sie sind kritische Erfolgsfaktoren für Unternehmen und Volkswirtschaften. Just-in-time ist out, just-in-case-Konzepte sind jetzt notwendig. Es ist höchste Zeit, dass Deutschland und Europa ihre Abhängigkeiten hinterfragen und ihre Versorgungssicherheit neu denken. Politik und Wirtschaft sind gleichermaßen gefordert, die Schlüsselrolle von Einkauf, Logistik und Supply Chain Management strategisch anzuerkennen und aktiv zu stärken. Gerade Deutschland als Exportnation ist in besonderem Maße auf stabile, resiliente Lieferketten angewiesen. Steigende regulatorische Anforderungen wie CSRD, CSDDD, EUDR oder REACH verschärfen den Druck auf die Unternehmen zusätzlich: Einkauf, Supply Chain Management und Logistik müssen heute ökologische, soziale und wirtschaftliche Ziele gleichzeitig erfüllen – ein Spagat, der die Komplexität erheblich erhöht und insbesondere den Mittelstand herausfordert. In diesem Spannungsfeld wächst die Bedeutung von Künstlicher Intelligenz. Mithilfe von KI können Supply Chain-Manager Transparenz entlang globaler Lieferketten herstellen, Risiken frühzeitig erkennen, Compliance-Anforderungen effizienter erfüllen und Prozesse automatisieren. Doch trotz des enormen Potenzials sind KI- Anwendungen heute oft noch Pilotprojekte – gehemmt durch mangelnde Integration, rechtliche Unsicherheiten und zögerliche Entscheidungen in der Unternehmensführung. Es braucht deshalb eine klare Haltung in den Vorstandsetagen: Der strategische Einsatz von KI muss Chefsache werden. Nur, wer Technologie gezielt integriert und daraus neue Fähigkeiten entwickelt, sichert sich langfristige Wettbewerbsvorteile. Gleichzeitig müssen die politischen Entscheidungsträger in Berlin und Brüssel an einem Strang ziehen. Angesichts geopolitischer Spannungen, zunehmenden Protektionismus und wirtschaftlicher Entkopplung muss die EU mit einer Stimme zentrale Handelsabkommen und strategische Partnerschaften vorantreiben. Die neue Bundesregierung muss zügig die wirtschaftliche Resilienz unserer Unternehmen durch ein neues Außenwirtschaftsgesetz stärken und die versprochene Expertenkommission zur Risikoanalyse globaler Abhängigkeiten einsetzen. Europa kann gestärkt aus dieser Krise hervorgehen, wenn es gelingt, strategische Rohstoffe zu sichern, Handelsbeziehungen auf Augenhöhe auszubauen und ein level playing field – insbesondere im Verhältnis zu China – durchzusetzen. Ein strategischer Wandel ist unumgänglich. Insbesondere für Deutschland und Europa gilt: Versorgungssicherheit, Innovationsfähigkeit und wirtschaftliche Souveränität sind untrennbar mit robusten Lieferketten verbunden. Supply Chain Management, Einkauf und Logistik sind längst keine operativen Randfunktionen mehr – sie sind zentrale Erfolgsfaktoren in einer zunehmend fragmentierten Weltwirtschaft. Die internationale Wettbewerbsfähigkeit Europas entscheidet sich nicht in der nächsten Krise – sie entscheidet sich jetzt. >Angesichts geopolitischer Spannungen, zunehmenden Protektionismus und wirtschaftlicher Entkopplung muss die EU mit einer Stimme zentrale Handelsabkommen und strategische Partnerschaften vorantreiben.