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31. Mär 2025

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Wirtschaft

„Wir brauchen ein Umdenken – in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft“ – Im Interview mit Anja Siegesmund, Präsidentin des BDE, und Dr. Andreas Bruckschen, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des BDE

Journalist: Thomas Soltau

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Foto: Presse

Ein Gespräch mit Anja Siegesmund, Präsidentin des BDE, und Dr. Andreas Bruckschen, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des BDE, über den Stand der Kreislaufwirtschaft, notwendige Veränderungen und erfolgreiche Praxisbeispiele.

Eine funktionierende Kreislaufwirtschaft ist essenziell für die Transformation der Wirtschaft und die Sicherung der Rohstoffsouveränität. Im Jahr 2023 betrug das Pro-Kopf-Aufkommen an Haushaltsabfällen in Deutschland 433 Kilogramm, der niedrigste Wert seit Beginn der Erhebung im Jahr 2004. Das ergeben Daten vom Statistischen Bundesamt. Auch als Arbeitgeber für Beschäftigte ist die deutsche Kreislaufwirtschaft ein wichtiger Baustein: 2021 erzielte sie einen Umsatz von rund 105 Milliarden Euro und beschäftigte etwa 310.000 Menschen. Durch zirkuläres Wirtschaften könnten die Treibhausgasemissionen bis 2050 um etwa 30 bis 50 Prozent reduziert werden. Welche Weichen für die Zukunft gestellt werde müssen, wissen Anja Siegesmund, Präsidentin des BDE, und Dr. Andreas Bruckschen, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des BDE.

Frau Siegesmund, Herr Dr. Bruckschen, die Kreislaufwirtschaft gilt als Schlüssel für eine nachhaltige Zukunft. Doch wie weit sind wir in Deutschland wirklich?

Siegesmund: Deutschland hat eine lange Tradition im Recycling und der Abfallwirtschaft – etwa im Verpackungs- und Papierbereich. Doch wir dürfen uns nicht ausruhen. Die geopolitische Lage zeigt, dass die Verfügbarkeit von Rohstoffen nicht nur relevant für wirtschaftliches Wachstum ist, sondern auch über Sicherheit entscheidet. Hier haben wir riesige Potenziale im Bereich Recyclingrohstoffe, die wir verfügbar machen können.

Dr. Bruckschen: Obwohl wir über eine funktionierende Recyclinginfrastruktur verfügen, stehen wir noch am Anfang. Ein stabiler Rezyklatmarkt in Europa ist unerlässlich, um unsere Rohstoffversorgung zu sichern und wettbewerbsfähig zu bleiben.

Welche Branchen sind momentan am weitesten in der Umsetzung der Kreislaufwirtschaft, welche stehen noch am Anfang?

Siegesmund: Die Bauwirtschaft, verantwortlich für einen Großteil des Abfalls, und die Textilbranche, bei der zu wenige Fasern recycelt werden, stehen noch am Anfang. Auch die Elektronikindustrie hat Herausforderungen beim hochwertigen Recycling.

Dr. Bruckschen: Die Verpackungsindustrie ist weit entwickelt, ebenso wie die Papier- und Glasproduktion, die seit Jahrzehnten auf Recyclingrohstoffe setzt.

Politik muss klare Rahmenbedingungen schaffen, Rezyklateinsatz fördern und bürokratische Hürden abbauen. Die Kreislaufwirtschaft bietet riesige Chancen für Deutschland.

Was muss sich ändern – politisch, in der Wirtschaft und bei den Konsumenten?

Siegesmund: Politik muss klare Rahmenbedingungen schaffen, Rezyklateinsatz fördern und bürokratische Hürden abbauen. Die Kreislaufwirtschaft bietet riesige Chancen für Deutschland.

Dr. Bruckschen: Kreislaufwirtschaft fängt beim Design an: Produkte müssen von Anfang an recycelbar sein – ein Prozess, der intensive Forschung erfordert. Auch Konsumenten tragen bei, indem sie Produkte aus recycelten Materialien wählen und Abfälle korrekt trennen.

Wie unterstützt der BDE Politik, Wirtschaft und Gesellschaft?

Siegesmund: Wir beraten Politik und Wirtschaft auf nationaler und europäischer Ebene, fördern innovationsfreundliche Rahmenbedingungen und fordern verbindliche Quoten für Rezyklate.

Dr. Bruckschen: Der BDE vertritt Unternehmen der Kreislaufwirtschaft als zentralen Standortfaktor, der Umwelt und Wirtschaft vereint und Arbeitsplätze sichert.

Welche technologischen Innovationen sehen Sie als entscheidend, um die Kreislaufwirtschaft effizienter zu gestalten?

Siegesmund: Digitalisierung ist entscheidend. Intelligente Sortieranlagen mit KI verbessern die Materialtrennung, und Blockchain könnte die Rückverfolgbarkeit von Rohstoffen optimieren.

Beim Kunststoffrecycling ermöglichen neue Verfahren die Rezyklatgewinnung, die vor wenigen Jahren noch unvorstellbar war.

Können Sie konkrete Beispiele nennen, wo die Kreislaufwirtschaft bereits erfolgreich funktioniert?

Siegesmund: Im Bausektor gibt es positive Ansätze: Pilotprojekte zu Recyclingbeton und innovative Verfahren zur Rückgewinnung von Gips und Dämmstoffen.

Dr. Bruckschen: Beim Kunststoffrecycling ermöglichen neue Verfahren die Rezyklatgewinnung, die vor wenigen Jahren noch unvorstellbar war. Allerdings bremsen falsch gelabelte Importe und ein unfairer Preiskampf mit Virgin-Kunststoffen vor allem den Mittelstand.

Fazit: Wo stehen wir in fünf Jahren?

Siegesmund: Der Wandel zur Circular Economy ist herausfordernd, aber notwendig. Wir haben die Werkzeuge, die klugen Köpfe. Das Fenster steht weit auf.

Dr. Bruckschen: Gelingt der Wandel, kann Deutschland weltweit führend werden und die Industrie bleibt ein Wachstumstreiber.

Factbox

Am Tag der Kreislaufwirtschaft, 05. Juni 2025 in Berlin, zeigt der BDE, wie die deutsche Entsorgungs- und Kreislaufwirtschaftsbranche in Deutschland und Europa den Wandel zur Circular Economy gestaltet. Die Problemlöser der Kreislaufwirtschaft geben dort im Dialog mit der Politik spannende Einblicke in innovative Konzepte, Herausforderungen und Lösungsansätze.

30. Jun 2025

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Wirtschaft

Krise als Chance: Wie KI und strategisches Supply Chain Management Europas Rolle stärken können – Ein Beitrag von Dr. Lars Kleeberg, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands für Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik e.V. (BME)

Globale Lieferketten stehen unter massivem Druck. Handelskonflikte, Protektionismus und geopolitische Krisen haben die Weltwirtschaft grundlegend verändert – mit direkten Auswirkungen auf Produktion, Versorgungssicherheit und Wettbewerbsfähigkeit. Seit Trumps Zoll-Eskalationen ist klar: Lieferketten sind keine stille Infrastruktur im Hintergrund mehr – sie sind kritische Erfolgsfaktoren für Unternehmen und Volkswirtschaften. Just-in-time ist out, just-in-case-Konzepte sind jetzt notwendig. Es ist höchste Zeit, dass Deutschland und Europa ihre Abhängigkeiten hinterfragen und ihre Versorgungssicherheit neu denken. Politik und Wirtschaft sind gleichermaßen gefordert, die Schlüsselrolle von Einkauf, Logistik und Supply Chain Management strategisch anzuerkennen und aktiv zu stärken. Gerade Deutschland als Exportnation ist in besonderem Maße auf stabile, resiliente Lieferketten angewiesen. Steigende regulatorische Anforderungen wie CSRD, CSDDD, EUDR oder REACH verschärfen den Druck auf die Unternehmen zusätzlich: Einkauf, Supply Chain Management und Logistik müssen heute ökologische, soziale und wirtschaftliche Ziele gleichzeitig erfüllen – ein Spagat, der die Komplexität erheblich erhöht und insbesondere den Mittelstand herausfordert. In diesem Spannungsfeld wächst die Bedeutung von Künstlicher Intelligenz. Mithilfe von KI können Supply Chain-Manager Transparenz entlang globaler Lieferketten herstellen, Risiken frühzeitig erkennen, Compliance-Anforderungen effizienter erfüllen und Prozesse automatisieren. Doch trotz des enormen Potenzials sind KI- Anwendungen heute oft noch Pilotprojekte – gehemmt durch mangelnde Integration, rechtliche Unsicherheiten und zögerliche Entscheidungen in der Unternehmensführung. Es braucht deshalb eine klare Haltung in den Vorstandsetagen: Der strategische Einsatz von KI muss Chefsache werden. Nur, wer Technologie gezielt integriert und daraus neue Fähigkeiten entwickelt, sichert sich langfristige Wettbewerbsvorteile. Gleichzeitig müssen die politischen Entscheidungsträger in Berlin und Brüssel an einem Strang ziehen. Angesichts geopolitischer Spannungen, zunehmenden Protektionismus und wirtschaftlicher Entkopplung muss die EU mit einer Stimme zentrale Handelsabkommen und strategische Partnerschaften vorantreiben. Die neue Bundesregierung muss zügig die wirtschaftliche Resilienz unserer Unternehmen durch ein neues Außenwirtschaftsgesetz stärken und die versprochene Expertenkommission zur Risikoanalyse globaler Abhängigkeiten einsetzen. Europa kann gestärkt aus dieser Krise hervorgehen, wenn es gelingt, strategische Rohstoffe zu sichern, Handelsbeziehungen auf Augenhöhe auszubauen und ein level playing field – insbesondere im Verhältnis zu China – durchzusetzen. Ein strategischer Wandel ist unumgänglich. Insbesondere für Deutschland und Europa gilt: Versorgungssicherheit, Innovationsfähigkeit und wirtschaftliche Souveränität sind untrennbar mit robusten Lieferketten verbunden. Supply Chain Management, Einkauf und Logistik sind längst keine operativen Randfunktionen mehr – sie sind zentrale Erfolgsfaktoren in einer zunehmend fragmentierten Weltwirtschaft. Die internationale Wettbewerbsfähigkeit Europas entscheidet sich nicht in der nächsten Krise – sie entscheidet sich jetzt. >Angesichts geopolitischer Spannungen, zunehmenden Protektionismus und wirtschaftlicher Entkopplung muss die EU mit einer Stimme zentrale Handelsabkommen und strategische Partnerschaften vorantreiben.

27. Jun 2025

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Wirtschaft

Warum deutsche Gründlichkeit KI nicht killt, sondern krönt – mit Markus Willems, Geschäftsführer der wibocon GmbH

![Markus Willems-2025 Online.jpg](https://cwbucket.fra1.digitaloceanspaces.com/Markus_Willems_2025_Online_14a23ae24b.jpg) ``` Markus Willems, Geschäftsführer der wibocon GmbH ``` Die Integration von Künstlicher Intelligenz in die deutsche Wirtschaft erfordert einen strategischen Balanceakt. Unternehmen müssen robuste Dateninfrastrukturen schaffen, in Fachkräfte investieren und eine Innovationskultur etablieren, die KI als Werkzeug versteht, nicht als Bedrohung. Die Absicherung von KI-Modellen gegen Angriffe wie Model oder Data Poisoning verlangt einen ganzheitlichen Ansatz: kontinuierliches Monitoring, regelmäßige Audits und die Implementierung des „Security-by-Design”-Prinzips. Besonders wichtig ist die Nachvollziehbarkeit von KI-Systemen durch transparente Dokumentation der Trainingsverfahren und Datenquellen. „Trustworthy AI” bedeutet im Cybersicherheitskontext konkret: Robustheit gegen Manipulationen, Transparenz in Entscheidungsprozessen und nachvollziehbare Compliance-Mechanismen. Deutschland kann hier durch die Verbindung seiner traditionellen Stärken in Qualitätssicherung mit innovativen KI-Ansätzen Standards setzen – nicht durch übermäßige Regulierung, sondern durch praxisnahe Zertifizierungsverfahren und Best Practice-Richtlinien. Die Cybersicherheitsanforderungen werden zur Chance, wenn sie sich als Qualitätsmerkmal „Made in Germany” etablieren lassen. Deutsche Unternehmen können durch vertrauenswürdige KI-Lösungen internationale Wettbewerbsvorteile erzielen – vorausgesetzt, Sicherheitsanforderungen werden nicht als Innovationshemmer, sondern als Qualitätstreiber verstanden. Dabei lässt sich die technologische Abhängigkeit von Cloud-Anbietern durch hybride Ansätze reduzieren: Kritische Prozesse können in europäischen Cloud-Infrastrukturen verbleiben, während standardisierte Schnittstellen die Interoperabilität sicherstellen. Entscheidend ist stets die Entwicklung souveräner Kompetenzen für Datenverarbeitung und -analyse, ohne sich vom globalen Innovationsökosystem abzukoppeln. Letztlich wird erfolgreiche KI-Integration in Deutschland davon abhängen, ob es gelingt, Sicherheit nicht als Gegenpol zu Innovation zu begreifen, sondern als deren Fundament. >Deutsche Unternehmen können durch vertrauenswürdige KI-Lösungen internationale Wettbewerbsvorteile erzielen – vorausgesetzt, Sicherheitsanforderungen werden nicht als Innovationshemmer, sondern als Qualitätstreiber verstanden.