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16. Dez 2022

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Wirtschaft

„Wir sind als Land ärmer geworden“

Journalist: Armin Fuhrer

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Foto: Presse

Deutschland braucht die Solidarität der Reichen, um den Ärmeren durch die Krise zu helfen, sagt die Chefin der Wirtschaftsweisen Monika Schnitzer

Frau Schnitzer, viele Menschen ächzen unter den gestiegenen Energiekosten und manche können sie gar nicht mehr stemmen. Was muss eine Solidargemeinschaft tun, um gezielt zu helfen?
Grundsätzlich muss man feststellen, dass Deutschland als Land ärmer geworden ist. Das müssen wir jetzt alle verkraften, aber es gibt einen bestimmten Teil der Bevölkerung, der das nicht alleine verkraften kann, weil das Einkommen nicht reicht, um die Extrakosten wie die hohen Gas- und Strompreise zu tragen. Und weil bei diesen Menschen auch nichts oder nicht genug auf der hohen Kante liegt. Diese ärmeren Menschen, die sich das alles nicht leisten können, brauchen die Unterstützung des Staates, also der Solidargemeinschaft. Bei den reicheren Menschen ist das anders – sie hätten genug Einkommen und auch genug Ersparnisse, um diese Zusatzkosten stemmen zu können. Daher kommen sie alleine zurecht.

Und wie sollte die Unterstützung Ihrer Ansicht nach aussehen?
Das Problem ist, dass wir kein zielgenaues Instrument haben. Zielgenau im Sinne von: Wir unterstützen genau diejenigen, die mit Gas heizen und sich das nicht mehr leisten können. Das aktuelle Instrument der Ampelregierung sieht vor, dass alle unterstützt werden – also auch diejenigen, die diese Hilfe gar nicht benötigen. Die Gaspreiskommission hat viel darüber nachgedacht, ob man das besser hinbekommen kann, aber das klappt nicht. Wir Wirtschaftsweisen haben vorgeschlagen, mehr Zielgenauigkeit zu schaffen, indem man ein Gesamtpaket schnürt mit Entlastungen auf der einen Seite und Belastungen auf der anderen.

Wie stellen Sie sich das vor?
Das ist eigentlich ganz einfach: Diejenigen, die keine Unterstützung benötigen, werden belastet. Diese Belastungen sollte es so lange geben, wie es auf der anderen Seite Entlastungen für alle gibt. Das wäre ein Gesamtpaket, das erheblich zielgenauer ist, als die jetzt beschlossenen und diskutierten Regelungen.

Wo ziehen Sie die Grenze zwischen reich und arm und wie könnte die Belastung aussehen?Diese Grenze ist nicht so einfach festzumachen. Aber es gibt dennoch Möglichkeiten, sie zu ziehen. Die einfachste ist unserer Meinung nach, den geplanten Abbau der Kalten Progression zu verschieben, denn davon sind die mittleren und vor allem die hohen Einkommen stärker betroffen als die Niedrigeren. Ich mache mir aber keine Illusionen, dass dieser Vorschlag Gehör findet. Eine andere Möglichkeit wäre ein Energiesoli, denn bei dieser Variante sind diejenigen betroffen, die auch jetzt schon den Solidaritätszuschlag zahlen – und das sind die oberen zehn Prozent. Man könnte beispielsweise den aktuellen Soli verdoppeln, das würde einen zweistelligen Milliardenbetrag bringen. Ebenso könnte man den Spitzensteuersatz erhöhen

Warum sind Sie dagegen, dass die Bundesregierung einfach weitere Schulden macht?
Schulden belasten die Generationen, die nach uns kommen, denn wir zahlen sie nicht in den kommenden drei oder vier Jahren zurück, sondern in den nächsten 30 oder 40. Diese Krise muss die jetzige Generation stemmen. Allerdings ist in der aktuellen Situation eine gewisse Schuldenaufnahme wohl nicht zu vermeiden. Ein anderer Grund, der gegen weitere Schulden spricht, ist der, dass dadurch zu viel Geld ins System kommt und die derzeit ohnehin schon sehr hohe Inflation weiter angetrieben wird. Aber eigentlich wollen wir die Inflation ja begrenzen, indem wir die Nachfrage zurückdrehen. Durch die Entlastungspakete heizen wir sie aber wieder an und damit auch die Inflation.

Also keine weiteren Schulden – wie wäre es mit Sparen?
An der Stelle frage ich Jeden, der dies vorschlägt, wo er denn sparen möchte. Klar ist doch: Es wäre fatal, an den Investitionen zu sparen. Wir müssen zum Beispiel die erneuerbaren Energien dringend weiter ausbauen, hier kann nicht gespart werden, im Gegenteil. Das Gleiche gilt für die Digitalisierung und natürlich für Bereiche wie Bildung, Infrastruktur oder Nah- und Fernverkehr. All das sind Zukunftsinvestitionen und es wäre völlig verkehrt, hier den Rotstift anzusetzen. Und bei dem großen Posten der Sozialausgaben und den Renten zu sparen, während gleichzeitig die Reichen Geld vom Staat bekommen, ist schwer zu vermitteln. Es kann hier bestenfalls darum gehen, zu verhindern, dass die Kosten, z.B. für die Renten, in Zukunft noch deutlich steigen.

Glauben Sie, dass die Besserverdienenden zu einer solchen Solidarleistung bereit sind?
Ohne mich auf Umfragen beziehen zu können, glaube ich das tatsächlich. Ich glaube auch nicht, dass die Belastungen für mittelständische Unternehmen zu groß wären. Außerdem reden wir ja über eine temporäre Belastung.

Wäre es nicht auch ein Ausdruck von Solidarität, die Kohlekraft- und Atomkraftwerke länger laufen zu lassen, wenn dadurch die Energiepreise sinken?
Auf jeden Fall. Denn die beste Art, jemanden vor steigenden Preisen zu schützen, ist, dass die Preise gar nicht erst steigen. Dafür muss aber das Angebot an Energie erweitert werden und dazu ist die Laufzeitverlängerung ein probates Mittel, wenn sie technisch machbar ist. Dazu gehört es auch, Flüssiggas zu besorgen. Auf diesem Gebiet ist in den vergangenen Monaten Erstaunliches geleistet worden. Und genauso muss jetzt der Ausbau der Erneuerbaren Energien beschleunigt werden, denn je mehr wir davon haben, desto stärker werden die Energiepreise für die Verbraucher sinken. Auch der Ausbau der erneuerbaren Energie hat also eine soziale Komponente und ist Teil des solidarischen Handels.

4. Jul 2025

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Wirtschaft

Chancen für die Zukunft der Versorgung – mit Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Jürgen Debus & Dr. Johannes Danckert

![Dr_Johannes_Danckert_Copyright_Kevin_Kuka_Vivantes_online.jpg](https://cwbucket.fra1.digitaloceanspaces.com/Dr_Johannes_Danckert_Copyright_Kevin_Kuka_Vivantes_online_6e3b6d01f5.jpg) ``` Dr. Johannes Danckert, Vorsitzender der Geschäftsführung, Vivantes – Netzwerk für Gesundheit GmbH ``` **Dr. Johannes Danckert, Vorsitzender der Geschäftsführung, Vivantes – Netzwerk für Gesundheit GmbH** Digitalisierung kann die Patientenversorgung schneller, besser und sicherer machen. Immer öfter werden dabei auch die traditionellen Grenzen zwischen ambulanten und stationären Bereichen sowie einzelnen Versorgungseinrichtungen abgebaut. So kann die ‚Patient Journey‘, also der gesamte Behandlungsweg eines Patienten von Diagnose bis Nachsorge, zu einer vernetzten Gesundheitsregion verbunden werden. Trotz deutlicher digitaler Fortschritte haben deutsche Krankenhäuser allerdings weiterhin erheblichen Entwicklungsbedarf, bedingt vor allem durch kleinteilige Strukturen und unzureichende Finanzierung. Denn die Implementierung innovativer Lösungen setzt bereits einen hohen Digitalisierungsgrad voraus. Bei Vivantes wurden zentrale Prozesse wie die Patientenkurve, Medikation, Pflegeprozesssteuerung sowie Anforderungs- und Befundungsprozesse digitalisiert. Auch große Teile der Medizintechnik sind eingebunden. KI-gestützte Systeme helfen uns, Frakturen und Embolien schneller zu erkennen oder warnen vor Komplikationen wie Delir oder Nierenversagen. Künstliche Intelligenz unterstützt uns auch dabei, Patientendaten direkt aus dem Rettungswagen in das Klinik-Informationssystem (KIS) zu übertragen, sodass die Krankenakte bei Ankunft bereits angelegt ist. Eine von uns entwickelte, interoperable Datenplattform ermöglicht zudem den automatisierten Datenaustausch von inzwischen 15 Klinikträgern in der Region Berlin-Brandenburg. Damit entstehen telemedizinische Versorgungskonzepte weit über Berlin hinaus. ![prof.dr.dr.jurgendebus_online.jpg](https://cwbucket.fra1.digitaloceanspaces.com/prof_dr_dr_jurgendebus_online_d7f732ea04.jpg) ``` Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Jürgen Debus, Vorstandsvorsitzender und Leitender Ärztlicher Direktor des Universitätsklinikums Heidelberg ``` **Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Jürgen Debus, Vorstandsvorsitzender und Leitender Ärztlicher Direktor Universitätsklinikum Heidelberg** Smarte Technologien und eine optimale Datennutzung verbessern den Klinikalltag und die Patientenversorgung. Das zukünftige Herzzentrum am Universitätsklinikum Heidelberg planen wir als Smart Hospital: Dort werden z. B. OPs gefilmt und das KI-System warnt automatisch bei Veränderungen des Patienten oder ungewöhnlichen Vorgängen. So werden Risiken früh erkannt und die Sicherheit erhöht. Dank verknüpfter Patientendaten und digitalem Terminmanagement läuft auch die Vorbereitung auf Eingriffe effizienter, da benötigte Ressourcen wie CT-Termine frühzeitig ersichtlich sind. Ein smartes Entlassmanagement stellt relevante Dokumente für den Patienten automatisch bereit und koordiniert Sozialdienst, Pflege und Medikamentenbedarf, sodass der Übergang in die weitere Versorgung optimal organisiert ist. In all diesen Algorithmen und Systemen steckt das gebündelte Wissen von Ärztinnen und Ärzten, Pflegepersonal und Forschenden. Die meisten KI-Anwendungen basieren auf maschinellen Lernmodellen, die mit Patientendaten trainiert werden, um Muster zu erkennen. Je größer der verfügbare Datensatz, desto exakter fallen Diagnosen und Prognosen aus – ein wichtiger Faktor angesichts des steigenden Versorgungsbedarfs bei gleichzeitig sinkender Zahl an Fachkräften. Smarte Technologien helfen, diese Lücke zu schließen und die Versorgung weiterhin auf hohem Niveau zu gewährleisten. Damit es nicht bei Insellösungen bleibt, treiben wir die übergreifende Datenintegration voran, ähnlich wie sie in der internationalen Forschung etabliert ist.

30. Jun 2025

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Wirtschaft

Krise als Chance: Wie KI und strategisches Supply Chain Management Europas Rolle stärken können – Ein Beitrag von Dr. Lars Kleeberg, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands für Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik e.V. (BME)

Globale Lieferketten stehen unter massivem Druck. Handelskonflikte, Protektionismus und geopolitische Krisen haben die Weltwirtschaft grundlegend verändert – mit direkten Auswirkungen auf Produktion, Versorgungssicherheit und Wettbewerbsfähigkeit. Seit Trumps Zoll-Eskalationen ist klar: Lieferketten sind keine stille Infrastruktur im Hintergrund mehr – sie sind kritische Erfolgsfaktoren für Unternehmen und Volkswirtschaften. Just-in-time ist out, just-in-case-Konzepte sind jetzt notwendig. Es ist höchste Zeit, dass Deutschland und Europa ihre Abhängigkeiten hinterfragen und ihre Versorgungssicherheit neu denken. Politik und Wirtschaft sind gleichermaßen gefordert, die Schlüsselrolle von Einkauf, Logistik und Supply Chain Management strategisch anzuerkennen und aktiv zu stärken. Gerade Deutschland als Exportnation ist in besonderem Maße auf stabile, resiliente Lieferketten angewiesen. Steigende regulatorische Anforderungen wie CSRD, CSDDD, EUDR oder REACH verschärfen den Druck auf die Unternehmen zusätzlich: Einkauf, Supply Chain Management und Logistik müssen heute ökologische, soziale und wirtschaftliche Ziele gleichzeitig erfüllen – ein Spagat, der die Komplexität erheblich erhöht und insbesondere den Mittelstand herausfordert. In diesem Spannungsfeld wächst die Bedeutung von Künstlicher Intelligenz. Mithilfe von KI können Supply Chain-Manager Transparenz entlang globaler Lieferketten herstellen, Risiken frühzeitig erkennen, Compliance-Anforderungen effizienter erfüllen und Prozesse automatisieren. Doch trotz des enormen Potenzials sind KI- Anwendungen heute oft noch Pilotprojekte – gehemmt durch mangelnde Integration, rechtliche Unsicherheiten und zögerliche Entscheidungen in der Unternehmensführung. Es braucht deshalb eine klare Haltung in den Vorstandsetagen: Der strategische Einsatz von KI muss Chefsache werden. Nur, wer Technologie gezielt integriert und daraus neue Fähigkeiten entwickelt, sichert sich langfristige Wettbewerbsvorteile. Gleichzeitig müssen die politischen Entscheidungsträger in Berlin und Brüssel an einem Strang ziehen. Angesichts geopolitischer Spannungen, zunehmenden Protektionismus und wirtschaftlicher Entkopplung muss die EU mit einer Stimme zentrale Handelsabkommen und strategische Partnerschaften vorantreiben. Die neue Bundesregierung muss zügig die wirtschaftliche Resilienz unserer Unternehmen durch ein neues Außenwirtschaftsgesetz stärken und die versprochene Expertenkommission zur Risikoanalyse globaler Abhängigkeiten einsetzen. Europa kann gestärkt aus dieser Krise hervorgehen, wenn es gelingt, strategische Rohstoffe zu sichern, Handelsbeziehungen auf Augenhöhe auszubauen und ein level playing field – insbesondere im Verhältnis zu China – durchzusetzen. Ein strategischer Wandel ist unumgänglich. Insbesondere für Deutschland und Europa gilt: Versorgungssicherheit, Innovationsfähigkeit und wirtschaftliche Souveränität sind untrennbar mit robusten Lieferketten verbunden. Supply Chain Management, Einkauf und Logistik sind längst keine operativen Randfunktionen mehr – sie sind zentrale Erfolgsfaktoren in einer zunehmend fragmentierten Weltwirtschaft. Die internationale Wettbewerbsfähigkeit Europas entscheidet sich nicht in der nächsten Krise – sie entscheidet sich jetzt. >Angesichts geopolitischer Spannungen, zunehmenden Protektionismus und wirtschaftlicher Entkopplung muss die EU mit einer Stimme zentrale Handelsabkommen und strategische Partnerschaften vorantreiben.