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2. Dez 2021

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Business

Aufbruchstimmung beim Hidden Champion

Darmstadt gilt als heimlicher Star der Tech-Start-up-Branche. Mit disruptiven Technologien treten hier innovative Gründerinnen und Gründer an, die Welt zu verbessern.

Unsere globalisierte Welt befindet sich in einem fundamentalen Transformationsprozess. Die treibende Kraft für Innovationen und neue Technologien sind dabei Start-ups. Sie tragen mit ihren oft disruptiven Lösungen und innovativen Geschäftsmodellen dazu bei, dass die europäische Wirtschaft auch in Zukunft ein starker Global-Player bleibt. Mit ihren Sprunginnovationen sind sie mutige Wegbereiter einer wirtschaftlichen Erneuerung. 

Einer dieser Wegbereiter ist Focused Energy. Mit laserinduzierter Fusionsenergie will das Darmstädter Start-up Energieerzeugung komplett neu denken. Wenn dies gelingt, würde Atomenergie obsolet. „Wir untersuchen Wege zur kommerziellen Nutzung von Fusionsenergie. Ein neuartiges Konzept, das wir in enger Zusammenarbeit mit der internationalen Wissenschaftsgemeinschaft entwickelt haben“, erklärt Prof. Roth, CSO von Focused Energy, und ergänzt: „In unserem kompletten Gründungsprozess, vom Businessplan bis zum Aufbau von Marketing und Vertrieb, wurden wir dabei von HIGHEST tatkräftig unterstützt.“ Bis zur Demonstration der Technologie werden noch in etwa acht Jahre vergehen. Auch das von HIGHEST, dem Innovations- und Gründungszentrum der TU Darmstadt, begleitete Start-up Magnotherm ist ebenso disruptiv wie nachhaltig: Auf Basis magnetischer Materialien wird dort die nächste Generation von Kühlgeräten entwickelt, ganz ohne CO2 und mit 40 Prozent weniger Energieeinsatz. Sie entwickeln Wasserstoffverflüssigungsanlagen, die den Transport und die Lagerung von grünem Wasserstoff erstmals energieeffizient und einfach ermöglichen.

Als führender Tech-Inkubator in der Region Frankfurt-Rhein-Main/Neckar für Deep Tech/Green Tech vernetzt HIGHEST, das Innovationszentrum der TU Darmstadt, seit 2007 Investoren, Wissenschaftler, Erfinder und Gründer wie etalytics. Bei dessen Austausch-Event „foundersXchange CAPITAL Day“ haben jüngst 56 Start-ups ihre Ideen vor 70 Investoren gepitcht. Dieser gelebte Austausch steigert die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und wirkt sich wachstumsfördernd auf die Region aus. So belegt Darmstadt im Start-up-Monitor Platz vier der wichtigsten zehn Start-up-Zentren Deutschlands.

Interview mit HIGHEST-Geschäftsführer Harald Holzer (rechts) und Prof. Dr.-Ing. Jens Schneider (links), Vizepräsident für Transfer und Internationalisierung der TU Darmstadt.; Foto: Axel Gross Grossaufnahmen Frankfurt

Motor für disruptive Innovationen

Herr Holzer, HIGHEST ist einer der führenden Tech-Inkubatoren in Deutschland. Was zeichnet Sie aus?

Wir sehen uns als „Motor für Innovation“. Mit unserem leistungsfähigen Ökosystem und Cluster-Beteiligungen unterstützen wir Innovatoren und Start-ups der TU Darmstadt dabei, dass ihre Hochtechnologien einen positiven Effekt für Wirtschaft und Gesellschaft erzeugen. Als Trusted Advisor unterstützen wir die Start-ups beim Aufbau eines erfolgreichen, skalierbaren Geschäftsmodells und bei der Vermarktung. Hervorzuheben sind derzeit die Ausgründungen in den Bereichen KI, Energy, Mobility und Security, da die äquivalenten Märkte aktuell hochattraktiv und dynamisch sind.

Auf welche Erfolge können Sie zurückblicken?

Auf die Erfolge unserer Start-ups, die wir auf dem Weg aus der Wissenschaft in ein erfolgreiches Unternehmen begleiten, sind wir wirklich stolz. Viele unserer Ausgründungen stehen für disruptive Innovationen und haben das Potenzial, Antworten auf die drängendsten globalen Herausforderungen zu finden. Eine große Rolle für unsere Erfolge spielen die Forschungsergebnisse und Patente, welche an der TU entstanden sind. Seit Beginn der 1990er Jahre wurden so über 200 Start-ups gegründet, allein ab 2015 waren es 85. Derzeit kommen wir auf ca. 20 Ausgründungen pro Jahr, darunter befinden sich oft Gewinner verschiedenster Gründungsauszeichnungen. Unser Ziel ist es, zukünftig bis zu 40 Start-ups pro Jahr an den Markt zu begleiten. 

Herr Vizepräsident Schneider, welche Rahmenbedingungen benötigen erfolgreiche Tech-Gründungen?

Wir brauchen deutlich mehr Finanzierung von Land, Bund und auch privaten Investoren. Wir haben noch nicht die Rahmenbedingungen, die wir benötigen, um alle vorhandenen Potenziale auszuschöpfen. Das Potenzial für disruptive Gründungen ist extrem hoch. Finanzierungen müssen kontinuierlich und verlässlich erfolgen, Programme von geringer zeitlicher Dauer werden den Anforderungen, die sich uns stellen, nicht gerecht. Außerdem sollten regulatorische Hemmnisse reduziert werden, bislang verhindern diese noch zu oft die Umsetzung vieler spannender Ideen. Die neue Bundesregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag Deutschland deutlich in diesem Sinne positioniert und die Innovationskraft von Start-ups klar benannt. An diesen Aussagen wird sie sich messen lassen müssen. 

27. Jun 2025

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Wirtschaft

Nachhaltig, transparent und partnerschaftlich – Im Interview mit Barbara Frenkel, Vorstandsmitglied Porsche AG

**Warum bekommt die Beschaffung oft so wenig Aufmerksamkeit – obwohl so viel von ihr abhängt?** Weil Beschaffung meist im Hintergrund läuft – und erst dann in den Blickpunkt rückt, wenn etwas fehlt. Das kennt jeder aus dem Alltag: Fehlt beim Kochen eine Zutat oder beim Möbelaufbau eine Schraube, steht meist alles still. Im industriellen Maßstab kann das bedeuten: keine Teile, kein Auto. Unsere Lieferketten sind heute hochgradig komplex, global und auf Effizienz ausgelegt. Fällt ein einziges Teil aus, sei es durch eine Naturkatastrophe, einen Cyberangriff oder geopolitische Spannungen, kann dies die Produktion gefährden. Deshalb denken wir bei Porsche Beschaffung heute anders: vorausschauender, vernetzter und deutlich resilienter. **Welche Strategie verfolgen Sie, um Lieferketten auch in Krisenzeiten stabil und widerstandsfähig zu halten?** Entscheidend ist die Transparenz in der gesamten Lieferkette – also über unsere direkten Lieferanten hinaus. Uns interessiert: Wer sind die Partner dahinter? Wo haben sie ihre Standorte und welchen Risiken sind sie ausgesetzt? Dabei simulieren wir beispielsweise Wetterereignisse oder Cyberattacken. Wir bewerten globale Rohstoffverfügbarkeiten und identifizieren Single-Source-Situationen. Über allem steht die Frage: Wo könnte ein möglicher Ausfall besonders kritisch für uns sein? **Und welche konkreten Maßnahmen ergreifen Sie, um Risiken zu minimieren?** Hier braucht es ein ganzes Maßnahmenbündel. Als vergleichsweise kleiner Hersteller können wir nicht überall auf eine Zwei-Lieferanten-Strategie setzen. Stattdessen überlegen wir uns etwa, wo wir bei kritischen Materialien gezielt Lagerbestände in Werksnähe aufbauen. Oder wir beauftragen zusätzliche Werkzeugsätze, die bei Bedarf schnell aktiviert werden können. **Wie wählen Sie Lieferanten aus, welche Kriterien sind dabei besonders wichtig?** Die Auswahl unserer Lieferanten ist immer Teamwork. Beschaffung, Entwicklung und Produktion arbeiten eng zusammen. Häufig entwickeln wir die Lösungen gemeinsam mit unseren Lieferanten. Hierbei spielt die technische Bewertung in enger Abstimmung mit unserer Entwicklung eine wichtige Rolle. Die Produktion wiederum achtet sehr stark auf die Logistik. Jeder potenzielle Partner durchläuft ein umfassendes Auditverfahren. Dabei geht es um Qualitäts- und Machbarkeitsaudits. Aber auch um eine umfassende Risikoanalyse. Ein fester Bestandteil bei der Auswahl sind zudem Kriterien bei der Nachhaltigkeit. Also rechtliche, ethische und ökologische Standards. >Viele unserer Fahrzeuge sind stark individualisiert – das erfordert flexible, anpassungsfähige Partner. Viele Mittelständler aus Deutschland bieten genau diese Qualität. **Wie wichtig ist Ihnen die Einbindung mittelständischer Lieferanten in Ihrer Lieferkette?** Viele unserer Fahrzeuge sind stark individualisiert – das erfordert flexible, anpassungsfähige Partner. Viele Mittelständler aus Deutschland bieten genau diese Qualität. Vor allem, wenn sie sich in unmittelbarer Werksnähe befinden. Vorteile sind kurze Wege und schnelle Reaktionszeiten. Als in Deutschland verwurzeltes Unternehmen ist uns zudem daran gelegen, die heimische und europäische Lieferkette zu stärken. **Sie haben die Nachhaltigkeit bereits angesprochen. Nochmals konkret: Wie integrieren Sie diese Kriterien in den Beschaffungsprozess?** Wie gesagt, wir denken hier ganzheitlich und in drei Dimensionen: ökologisch, sozial und ethisch. Im ökologischen Bereich legen wir besonderen Wert auf den CO₂-Fußabdruck in der Lieferkette. Hier entscheiden der Energiemix, die verwendeten Rohstoffe und der Anteil an recyceltem Material. Auch der Wasserverbrauch wird immer wichtiger. Soziale und ethische Aspekte sind ebenfalls von Bedeutung. Wir erwarten, dass internationale Arbeitsstandards eingehalten und faire Löhne gezahlt werden. **Wie haben Sie Einkaufprozesse bzw. das Lieferantenmanagement erfolgreich verbessert?** Rund 80 Prozent der Wertschöpfung entsteht bei uns in der Lieferkette. Entsprechend hoch ist die Bedeutung eines effizienten und partnerschaftlich ausgerichteten Lieferantenmanagements. Deshalb setzen wir bewusst früh an: Bereits in der Entwicklungsphase binden wir Lieferanten eng in unsere Prozesse ein. Gemeinsam können wir Kosten optimieren, die Umsetzung garantieren und verlässliche Qualität reproduzieren. Über diesen engen Austausch entstehen belastbare Partnerschaften – von Anfang an. **Wie reagieren Sie auf regionale Marktanforderungen?** Angesichts fragmentierter Märkte gewinnt die regionale Verankerung an Bedeu-tung. In China arbeiten wir beispielsweise gezielt mit starken lokalen Partnern zusammen. Mit dem Ziel, marktgerechte Lösungen zu entwickeln – etwa beim Infotainment. Auch regulatorische Anforderungen erfordern spezifische Lösungen, das Aufspüren innovativer Technologien und innovativer Partner. Immer mehr handelt es sich dabei auch um Start-ups aus branchenfremden Bereichen, etwa beim autonomen Fahren, der Konnektivität oder Software. >Bereits in der Entwicklungsphase binden wir Lieferanten eng in unsere Prozesse ein. Gemeinsam können wir Kosten optimieren, die Umsetzung garantieren und verlässliche Qualität reproduzieren. ## Infos zur Person Barbara Frenkel: Als Kind wollte sie Astronautin werden. Heute leitet Barbara Frenkel das Vorstandsressort Beschaffung der Porsche AG. Frenkel war die erste Frau im Vorstand des Sportwagenherstellers. Sie blickt auf eine mehr als 20-jährige Managementkarriere bei Porsche zurück. Zuvor war sie bei verschiedenen Automobilzulieferern tätig. Barbara Frenkel (62) scheidet zum 19. August 2025 auf eigenen Wunsch aus dem Porsche-Vorstand aus und übergibt ihre Verantwortung an Joachim Schar-nagl (49), der ihre Nachfolge antritt. Privat genießt sie Ausfahrten mit ihrem Oldtimer, einem 911 G-Modell. Sie ist begeisterte Taucherin und unternimmt gerne Ausflüge mit ihrem Hund in die Natur.