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20. Sep 2022

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Gesellschaft

„Bauen ist per se nicht nachhaltig“

Journalist: Armin Fuhrer

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Foto: Presse

Wie Architekten die Transformation der Baubranche vorantreiben, erklären Christoph Felger, Maria Wyller und Simon Wiesmaier von David Chipperfield Architects Berlin.

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Christoph Felger, Simon Wiesmaier und Maria Wyller 

Dekarbonisierung und Nachhaltigkeit sind heute wichtige Themen in der Baubranche. Sehen Sie trotzdem noch Luft nach oben?

Christoph Felger: Ich glaube, dass ein noch stärkeres Umdenken in unserer Gesellschaft und vor allem in der Baubranche nötig ist. Wir müssen und können erheblich effizienter bauen. Die Forschung ist viel weiter als die Praxis. Allerdings sind Erkenntnisse aus Forschung in die Praxis zu integrieren, trägen Prozessen unterworfen. Da ist die Gesetzgebung gefragt, aber auch der Mut von Architekten, Bauherrn und Unternehmern, Neues zu wagen.

Welche Rolle spielen die Architekturbüros bei diesem Prozess?

Christoph Felger: Wir selbst waren in der Vergangenheit Teil einer heute erkannten Problematik, auch wenn wir für uns in Anspruch nehmen, mit großer Verantwortung gehandelt zu haben. Wir befinden uns in einem Un-Learning-Prozess, in dem wir auch unsere bisherigen ästhetischen Prägungen und Vorlieben in Frage stellen müssen. Ein ehemals sicheres Terrain zu verlassen ist unbequem, es verunsichert. Aber Unsicherheit kann uns auch sensibel und offen für Neues machen.

Maria Wyller: Genau, ich finde nämlich, dass nachhaltiges Bauen von einem viel zu negativem Beigeschmack begleitet wird. In großen Herausforderungen steckt oft auch ein großes kreatives Potenzial. Wir Architekten, als kreative Problemlöser sollten viel mehr wagen, Probleme zu „umarmen“.

Inwieweit ist Nachhaltigkeit ein Thema, das auch Architekten von Anfang eines Projekts an mitdenken müssen?  

Simon Wiesmaier: Die Frage muss von zwei Seiten beantwortet werden. Einerseits gibt es ja gesetzliche Normen und Rahmen – im Fokus steht hier die Frage der Energieeinsparung. Wenn es aber um die Ressourcenschonung im Bauen geht, ist die gesetzliche Seite bislang schwächer ausgeprägt. Überlegungen zur Nachhaltigkeit sollten ganz am Anfang eines Entwurfs stehen. Es fehlt uns jedoch zum Teil noch an notwendigen Methoden und Instrumenten. Die Digitalisierung spielt an dieser Stelle eine wichtige Rolle, denn sie eröffnet uns neue methodische Ansätze.

Christoph Felger: Die Forderung nach Nachhaltigkeit löst bei vielen Bauherrn nach wie vor eine gewisse Zurückhaltung aus, da sie nachhaltiges Bauen immer noch vor allem mit Mehrkosten verbinden. Aber man kann auch kostensensibel nachhaltig bauen. In anderen Zeithorizonten zu denken und zu antizipieren, was unser heutiges Handeln für die Generation unserer Kinder und Kindeskinder bedeutet, sollte vielmehr im Fokus stehen und an Wert für alle am Bau Beteiligten gewinnen. Ich sehe uns Architekten in diesem Zusammenhang zunehmend in der Rolle von Haushältern dieser Werte für eine nachhaltige und sozial gerechte Welt.

Welche Rolle spielt BIM für nachhaltiges Bauen?

Simon Wiesmaier: Eine Idee von BIM ist, möglichst große Teile des Entwurfs dreidimensional abzubilden, und dadurch in einem wesentlich umfangreicheren und komplexeren Maß die einzelnen Planungsbeiträge gegeneinander geometrisch abgleichen zu können. Das bringt zweifelsohne einen Mehrwert, allerdings nicht in Richtung Nachhaltigkeit. Anders sieht das aus bei einer zweiten Idee von BIM, dass nämlich ein digitales Modell auch als Datenbank genutzt werden kann. Hier kann man Schnittstellen zu Plattformen schaffen, mit denen man zum Beispiel die Menge und den Wiederverwertungswert verbauter Materialien erfassen und damit einen Beitrag zum Life Cycle Assessment leisten kann.

Maria Wyller: BIM ist für uns allerdings nicht so revolutionär wie andere digitale Werkzeuge, wie zum Beispiel Computational Design oder auch die digitale Fabrikation. Diese erlauben uns, unsere bisherigen Entwurfsmethoden neu zu denken. Integrative Planungen und eine engere interdisziplinäre Zusammenarbeit sind digital viel leichter zu organisieren.

Sie bauen in Hamburg den Elbtower, einen 245 Meter hohen Wolkenkratzer, der 2025 fertig werden soll. Wie nachhaltig wird er?

Christoph Felger: Im Elbtower haben wir mit vielen neuen digitalen Prozessen experimentiert. Sie boten uns die Möglichkeit, auch ein Hochhaus nachhaltiger zu planen. Aber ein Hochhaus ist kein nachhaltiges Gebäude. Da müssen wir uns nichts vormachen. Bauen ist per se nicht nachhaltig. Wenn wir wirklich nachhaltig sein wollten, dürften wir nicht mehr bauen. Ich sehe hier einen Konflikt, mit dem sich unsere Branche auseinandersetzen muss.

Fakten: Christoph Felger, Partner und geschäftsführender Gesellschafter bei David Chipperfield Architects Berlin, hat den Entwurf des geplanten Elbtowers in Hamburg gezeichnet. Das Hochhaus in der Hafencity wird mit 245 Metern und 64 Etagen das höchste Gebäude Hamburgs und das dritthöchste Deutschlands. Maria Wyller ist Projektleiterin und Spezialistin in Computational Design und Digital Fabrication. Simon Wiesmaier ist Head of Digital Strategy und begleitet die Implementierung von BIM im Berliner Büro von DCA Berlin.

9. Jul 2025

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Gesellschaft

Die Herausforderungen des Wohnens heute und morgen – ein Beitrag vin Dr. Christine Lemaitre

Kaum ein Bereich des Lebens ist so individuell und emotional behaftet wie das Wohnen. Die Gestaltung des eigenen Zuhauses spiegelt unsere Persönlichkeit wider, zeigt, worauf wir Wert legen und was wir bereits erlebt haben. Die eigenen vier Wände bieten Sicherheit und sind Orte der Entspannung. Nun rückt das Thema Wohnen in der aktuellen Debatte immer wieder in den Fokus. Es herrscht ein Mangel insbesondere an bezahlbarem Wohnraum und das in allen Schichten der Gesellschaft. Gründe dafür gibt es viele, darunter der Bevölkerungswachstum, Binnenwanderung und gestiegene Baukosten. Lösungsansätze sind vorhanden, die nicht nur angesichts der politischen Klimaziele im Einklang mit Nachhaltigkeit und Klimaschutz umgesetzt werden müssen. Denn die Auswirkungen des Klimawandels sind längst spürbar. Die Baubranche steht als einer der Hauptverursacher klar in der Pflicht, Gebäude und Außenräume wieder für den Menschen zu planen und auf eine langfristige, qualitätsvolle Nutzung auszulegen. Das größte Potenzial, um Ressourcen und CO2 einzusparen, bieten der Erhalt und bei Bedarf die Umnutzung bestehender Gebäude, wodurch auch gleich die baukulturelle Identität des Ortes bewahrt wird. Gerade in Städten, wo der Wohnraum besonders knapp ist, stehen Flächen leer deren ursprünglich vorgesehene Nutzung nicht mehr benötigt wird. Durch Offenheit und Mut kann hier etwas ganz Besonderes entstehen. Nachhaltige Strategien wie Suffizienz und Lowtech bieten sowohl im Neubau als auch im Bestand reizvolles Innovationspotenzial. Mit dem Suffizienz-Gedanken geht die Frage einher, wie viel genug ist. Sie sollte immer wieder gestellt werden, um abzuwägen, was bezüglich Fläche, Material und Gebäudetechnik wirklich gebraucht wird. Wer hier einspart, übernimmt Verantwortung. Das gesparte Geld lässt sich an anderer Stelle beispielsweise zugunsten einer hohen Qualität und guter Gestaltung sinnvoll investieren. Ein weiterer wichtiger Punkt ist Flexibilität, um auf sich ändernde Lebenssituationen reagieren zu können. Diese Ansätze sind wie geschaffen für einen neuen, zukunftsweisenden Trend beim Planen, Bauen und Erhalten von Gebäuden. Hilfestellung zur Umsetzung kann das speziell für kleine Wohngebäude entwickelte Zertifizierungssystem der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen geben. Neben Klimaschutz, Kreislauf- und Zukunftsfähigkeit stehen bei der Planung, beim Bau und bei der Sanierung nachhaltiger Wohngebäude der akustische, thermische und visuelle Komfort, sprich die Wohnqualität und das Wohlbefinden der Nutzenden im Mittelpunkt. Neben dem ganz eigenen, individuellen Rückzugsraum, bestückt mit liebgewonnenen Möbelstücken und Accessoires, entsteht dadurch ein besonderer Wert, nämlich der der körperlichen und geistigen Gesundheit. >Neben Klimaschutz, Kreislauf- und Zukunftsfähigkeit stehen bei der Planung, beim Bau und bei der Sanierung nachhaltiger Wohngebäude der akustische, thermische und visuelle Komfort, sprich die Wohnqualität und das Wohlbefinden der Nutzenden im Mittelpunkt. Als Non-Profit-Verein setzen wir uns bei der DGNB für die nachhaltige Transformation der Bau- und Immobilienwirtschaft ein. Wir klären auf, leisten Hilfestellung und sensibilisieren für ein verantwortungs- und qualitätvolles Bauen und Betreiben von Gebäuden. Das DGNB-Zertifizierungssystem verhilft dabei allen am Bau Beteiligten zu einem gemeinsamen Verständnis darüber, welche Möglich- aber auch Notwendigkeiten das nachhaltige Bauen mit sich bringt, um einen positiven Beitrag für Mensch, Umwelt und Wirtschaftlichkeit zu leisten.