20. Jun 2022
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Gesellschaft
Journalist: Theo Hoffmann
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Foto: Nick Fewings/unsplash, Presse
Wie schaffen es Architektinnen und Architekten bei Materialknappheit, Energiekrise und Nachhaltigkeit beim Bauen die Anforderungen an ihr Design zu bewahren? Dazu spricht Susanne Wartzeck, Präsidentin des Bund deutscher Architektinnen und Architekten (BDA), im Interview.
Susanne Wartzeck, Präsidentin des BDA (Bund deutscher Architektinnen und Architekten)
Für Architekten ist die Verschmelzung historischer Bauten mit modernstem Architekturdesign eine nicht immer leicht zu lösende Aufgabe. Welche Kriterien müssen beachtet werden, damit so etwas harmonisch wirken kann?
An erster Stelle versuchen wir, die bestehenden Häuser zu verstehen, ihre Stärken zu erkennen und sie wertzuschätzen. Und dann ihre Potenziale zu erschließen. Das Neue soll nicht als Störung, sondern als selbstverständliche Ergänzung und Verbesserung wahrgenommen werden. Wir sehen die Rahmenbedingungen eines Bauprojektes damit nicht als Begrenzung oder Einengung, sondern wollen ähnlich wie bei einem Puzzle durch richtiges Zusammensetzen ein Bild schaffen.
Wie wirkt sich die Materialknappheit dieses Rohstoffs (aber auch anderer) gegenwärtig auf die Architektenarbeit aus?
Materialknappheit erschwert zurzeit unsere Arbeit vor allem auf den Baustellen. Das sind also die Projekte, die bereits fertig geplant und in der Ausführung sind. Zukünftig müssen wir lernen, sowohl sparsamer zu sein als auch in längeren Zeiträumen zu denken. Die Langlebigkeit der neu eingesetzten Materialien steht dann im Vordergrund. Außerdem müssen wir dazu übergehen, Materialien wiederzuverwenden und zu einer Kreislaufwirtschaft zu kommen, denn die Grenzen des Wachstums haben wir längst überschritten.
Wo liegen aus Ihrer Sicht aber auch die Nachteile des Baustoffes Holz in unserer Zeit?
Holz wird als nachwachsender Baustoff zurzeit sehr hervorgehoben. Die Verwendung von Holz allein wird aber nicht dazu führen, dass wir unsere Klimaziele im Bausektor erreichen. Die CO2-Neutralität des Baustoffes ergibt sich erst über einen langen Betrachtungsraum (ca. 80 Jahre) und nur wenn wir gleichzeitig nachhaltig aufforsten. Der Weg kann daher nur sein, insgesamt viel weniger neues Material zu verbrauchen und – wenn wir neu bauen – auf nachhaltige Baustoffe zu setzen.
Steht Nachhaltigkeit mittlerweile hauptsächlich im Fokus neuer Konzeptionierungen?
Wir tun unser Möglichstes, allerdings erfolgt die Projektentwicklung von Auftraggeberseite meist zu einem viel früheren Zeitpunkt. Damit sind oft die Weichenstellungen bereits erfolgt.
Wo es uns möglich ist, erarbeiten wir mit unseren Auftraggebern Konzepte für den Erhalt von Gebäuden, die so wenig Rückbau und damit Abfall produzieren wie möglich. Ich denke da an einen großen Schulkomplex und ein Bürogebäude aus den 1970er Jahren wo es uns gelungen ist die Tragkonstruktion der Fassaden und auch die vorhandene Dachdämmung weiter zu nutzen. Das war in beiden Fällen gut für den Bauprozess und zugleich für die Auftraggeber sehr wirtschaftlich.
Wie verstehen Sie den Begriff des klimagerechten Bauens ganz persönlich?
Für mich ist die Welt bereits gebaut. Jedenfalls hier in Europa. Das Problem ist vielmehr der stark ansteigende Flächenbedarf bei weitgehend gleichbleibender Einwohnerzahl. Das gilt ja nicht nur für unsere Ansprüche im Wohnen, sondern ist auch durch unseren steigenden Konsum und die damit wachsenden Gewerbe- und Büroflächen bedingt. Wenn wir ernsthaft damit anfangen, unsere Bedürfnisse zu hinterfragen und aus dem Bestand heraus unsere Zukunft zu entwickeln, hätten wir eventuell noch die Möglichkeit das „Haus der Erde“ für die Menschheit zu bewahren.
In der Architektur spielen die Umbauten und Umnutzungen von Bestandsgebäuden immer eine besondere Rolle. Wird darüber vor allem mit Blick auf die Nachkriegsbauten in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts vielleicht zu wenig nachgedacht?
Unsere große Chance für eine nachhaltige Entwicklung im Bauen liegt im Bestand. Die dort gebundenen Ressourcen und die gebundene Energie, dürfen nicht mehr leichtfertig vernichtet werden. Diese sogenannte graue Energie, ist eigentlich eine goldene Energie, denn Gebäude sind eingebettet ins Quartier, haben eine eigene Geschichte und sind Teil sozialer Strukturen. Noch immer wird zu leichtfertig abgerissen, wir brauchen eine Umbauordnung. Ein großes Potential für Wohnungsbau liegt zum Beispiel in der Umnutzung von Gewerbeimmobilien in Wohnhäuser.
Was sollten wir – vielleicht auch unter dem Aspekt des Designs – tun, um unsere Innenstädte attraktiver zu gestalten?
Attraktivität der Innenstädte hängt aus meiner Sicht nicht in erster Linie an gestalterischen Fragen, sondern an den Möglichkeiten der Aneignung durch viele gesellschaftliche Gruppen. Dafür sind Freiräume notwendig, die nicht konsumorientiert sind. Diese öffentlichen Räume dann gut zu gestalten, heißt, auf die unterschiedlichen Anforderungen ihrer Nutzer zu reagieren. Eine 16-jährige Skaterin hat andere Wünsche als eine betagte Seniorin. Die Idee, den öffentlichen Raum als eine Art „Urban Living Room“ aufzufassen finde ich spannend: Wenn öffentliche Flächen als Raum verstanden werden, für den alle Verantwortung tragen. Der Anspruch an gute Gestaltung bekommt damit eine soziale und gesellschaftliche Relevanz.