20. Sep 2022
|
Gesellschaft
Journalist: Tim-Oliver Müller, Hauptgeschäftsführer Hauptverband der Deutschen Bauindustrie (HDB)
|
Foto: Presse
Die aktuelle Situation unserer Branche ist schnell umfasst: Nachdem wir der Corona-Pandemie weitgehend getrotzt haben, sind die Folgen des Krieges in der Ukraine auch am Bau spürbar: Preissteigerungen, gestörte Lieferketten und Unsicherheiten bei den Auftraggebern. Doch die viel interessantere Frage ist: Was lernt unsere Branche hieraus? Ich wage eine Prognose: Der Bau ist krisensicher und wenn wir die derzeitigen Herausforderungen annehmen, als Chance der Transformation begreifen, werden wir weiter gestärkt sein.
Denn eines ist klar: Ohne uns geht es nicht! Wir bauen Krankenhäuser, Schulen, Wohnungen, Altenheime und Verkehrswege – wir begleiten die Bürgerinnen und Bürger ein Leben lang. Der Bau war und ist die Stütze der deutschen Volkswirtschaft. Es ist deshalb richtig, dass die Bundesregierung auch weiter den notwendigen Fokus auf den Infrastrukturausbau und die Modernisierung setzt, damit unser Land vorankommt. Die Ziele sind ambitioniert – die Bauindustrie steht parat, muss sich aber ebenso weiterentwickeln. Nachhaltigkeit, Klimaschutz und Digitalisierung sind sicher die größten disruptiven Transformatoren. Die Bauindustrie bekennt sich etwa klar zu den Klimaschutzzielen im Gebäudesektor, der rund 40 Prozent aller CO2-Emissionen bundesweit emittiert. Auch wenn wir als Bauindustrie nur einen Bruchteil dieser Emissionen selbst verantworten, können wir dem Gebäude- und auch anderen Sektoren helfen, ihre Emissionen langfristig zu senken. Wir sind eine Schlüsselbranche für den Klimaschutz, der enorme Bauaufgaben mit sich bringt. Doch wie gelingt nachhaltiges Bauen in der Praxis? Technisch sind wir bereits heute in der Lage, klimaschonend zu bauen. Wir sind allerdings auf einen Auftraggeber angewiesen, der diese Potentiale abruft und beauftragt. Gerade die öffentliche Hand nutzt dies bisher noch zu wenig. In fast allen öffentlichen Ausschreibungen zählt ausschließlich der Preis und nicht die beste Idee. Um dies zu ändern, braucht es einerseits Vergabekriterien, die eine Bewertung der nachhaltigsten und wirtschaftlichsten Idee transparent und nachvollziehbar möglich machen. Andererseits sollten bei Projektvergaben Emissionen über alle Phasen des Bauwerks berücksichtigt werden, damit wir ganzheitlich optimieren können. Digitalisierung wird uns dabei helfen: Building Information Modeling (BIM) spielt neben Technologien wie Robotik, der Ein- satz von Drohnen, Sensorik etc. bereits heute eine entscheidende Rolle, um Bauwerke ganzheitlich zu planen bzw. den Bauablauf zu verbessern. Unternehmen, Planer und Auftraggeber erkennen mehr und mehr die Vorteile dieses Ansatzes: weniger Fehlplanungen durch digitale Simulation des Bauvorhabens vor Baubeginn oder Zeit- und Kostenreduktion durch optimierte Personal-, Material-, Geräte- und Maschineneinsätze. Doch: Digitalisierung ist kein Selbstzweck, sondern eine gemeinsame Aufgabe aller Bau-Beteiligten, um die Anforde- rungen der Kunden und Nutzer zu erfüllen, und die Komple-xität durch die verändernden ökonomischen, ökologischen und soziokulturellen Rahmenbedingungen zu meistern. Nachhaltiges Bauen, mehr Wohnungen, Sanierung der Brücken, Ausbau der Infrastruktur: Um all die vor uns liegenden Bauaufgaben bewältigen zu können, müssen wir unsere Produktivität durch Industrialisierung steigern. Auch hierbei wird uns die digitale Transformation helfen. Zu guter Letzt wird sie auch beim Thema Fachkräfte für den nötigen Schub sorgen. Wir haben in den letzten 15 Jahren 200.000 Menschen eingestellt. Das hat keine andere Branche geschafft. In den letzten zwei Jahren gab es immer mehr Ausbildungsabsolventen. Wir haben einfach eine extrem gute Zukunftsperspektive zu bieten. In den kommenden Jahren müssen wir diese Perspektive noch stärker herausstellen, da wir allein auf Grund der Abgänge in die Rente viele neue Menschen beschäftigen wollen. Der Bau ist vielfältig, innovativ und schafft Arbeits- und Lebenswelten, die Generationen überdauern. Diese Faszination zu vermitteln, ist eine Zukunftsaufgabe, um im „war for talents“ zu bestehen. Der Fokus auf digitale Arbeitsmethoden und innovative Produkte wird wiederum Begeisterung bei jungen Menschen auslösen und neben der Produktivität auch die Branchenattraktivität steigern würden.